Essen-Heisingen. Ein Essener Verein verteilt an der Heisinger Buswende kostenlos Kaffee. Was dahinter steckt – und was nur am Rande eine Rolle spielt.
Ein Klapptisch, zwei Kaffeekannen, 36 Tüten voller Streuselkuchen: Mehr brauchte es am vergangenen Montag (4. November) nicht für eine ungewöhnliche Aktion der Heisinger Bürgerschaft mitten auf dem Buswendeplatz Fährenkotten/Stemmering. Keine Demo an einer „berüchtigten Erwartungsbaustelle“, wie Henner Höcker, erster Vorsitzender der Heisinger Bürgerschaft, es formuliert. Auch, wenn die große schwarze Kreidetafel, die Vereinsmitglied Esther Drößer den ankommenden Bussen entgegenreckt, auf den ersten Blick anderes vermuten lässt.
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Seit vier Jahrzehnten steht der Umbau der Heisinger Buswende immer wieder zur Diskussion. An diesem Montag jedoch geht es am Fährenkotten nicht um Stadt- und Verkehrspolitik, sondern darum, „einfach mal danke zu sagen“. Wem? Wofür? Höcker lächelt: „Den Busfahrerinnen und Busfahrern natürlich. Denn die leisten hier vor Ort einen tollen Job.“
Die Idee zur Käffken-und-Kuchen-Aktion, die den Fahrern über die schwarze Tafel angekündigt wird, hatte Roderich Drößer. Und auch, wenn an diesem Tag im Heisinger Unterdorf viel gelacht wird, der Hintergrund der Aktion ist durchaus ernst: „Einer meiner Bekannten ist Straßenbahnfahrer. Vor drei Monaten ist es in seiner Bahn zu einem heftigen Vorfall gekommen, das ging mit drei Männern an der Fahrerkabine richtig zur Sache“, berichtet Drößer. „Und kaum war das ausgestanden und die Männer hatten die Bahn verlassen, haben die anderen Fahrgäste meinen Bekannten angebrüllt, er solle endlich weiterfahren.“
Anerkennung für Essener ÖPNV-Fahrer
Kein Verständnis, kein Respekt, kein Mitgefühl. Der Freund schmiss seinen Job, konnte und wollte einfach nicht mehr – und Drößer kam ins Grübeln. „Meine Frau und ich nutzen Bus und Bahn sehr häufig. Wenn wir das nicht könnten, verlören wir jede Menge Lebensqualität. Und diese ewige Meckerei wegen Kleinigkeiten, wegen ein paar Minuten Verspätung, wo es uns allen hier doch so gut geht, das geht einfach gar nicht mehr.“ Bereits seit mehreren Jahren fährt das Ehepaar ehrenamtlich beim Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bundes mit, erfüllt todkranken Menschen letzte Herzenswünsche. Eine Anerkennungs-Aktion für ÖPNV-Fahrer war da schnell auf die Beine gestellt.
Kaffee, Tee, Cola und Kuchen verteilen die Drößers gemeinsam mit Henner Höcker und Andrea Kunze, Geschäftsführerin der Heisinger Bürgerschaft und erste Vorsitzende der Werbegemeinschaft „Wir für Heisingen“, an diesem Tag an die Busfahrer der Linien 145 und 153. Die Begegnungen sind herzlich, aber kurz, schließlich drängt der Fahrplan. Das Ruhrpott-Du ist gesetzt.
Die Reaktionen der Fahrer schwanken zwischen, nennen wir es mal: lächelnder Sprachlosigkeit und offener Begeisterung. Nur einmal wird das Vierer-Team mit seinen Kannen und Tüten komplett links liegen gelassen – der Gang zur Toilette hinter der Haltestelle ist wichtiger. Doch schon die nächste Fahrerin grinst wieder breit und zückt ihr Handy, um die „total süße Aktion“ festzuhalten. Busfahrer Veli Sisman nimmt sich gar die Zeit für ein schnelles Gruppenfoto. „Ich habe meine Schicht ja gerade erst angefangen, das ist echt eine tolle Überraschung, ich freue mich total. Aber jetzt muss ich weiter, Leute.“
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Die Uhrzeit zwischen 13 und 15 Uhr habe man, sagt Henner Höcker, in Absprache mit der Tourenplanung der Ruhrbahn bewusst ausgewählt, um möglichst viele Fahrer zu erreichen: „Zu dieser Zeit muss man hier an der Buswende nicht auf den Fahrplan gucken, da kommt der 145 im Fünf-Minuten-Takt. Das hat Hauptstadt-Niveau.“
Essen-Heisinger Buswende genügt Ansprüchen nicht mehr
Und mit der Erwähnung der seit 2019 geltenden engen Taktung klingt an diesem Tag dann auch zum ersten Mal durch, warum der Heisinger Buswendeplatz zu einem der am meisten diskutierten Haltepunkte in Essen gehört: Er genügt den Ansprüchen längst nicht mehr. Zu eng ist es dort für die teils 18 Meter langen Busse, gerade wenn aufgrund der Fünf-Minuten-Taktung gleich mehrere Fahrzeuge vor Ort sind. Auch Velis Sisman schafft es letztlich nur mit einigen Wendemanövern um die Kurve.
„Warum sollte man nicht mal für die Feuerwehr einen Kuchen backen oder der Polizeiwache an der Ecke was vorbeibringen?“
Die Problematik selbst ist altbekannt und reicht deutlich weiter als bis 2019 zurück. Seit gut 40 Jahren gibt es immer wieder Beschwerden der Anrainer und immer mal wieder Vorstöße der Politik, den Haltepunkt umzubauen, gar zu verlegen. Zuletzt kochte die Diskussion vor gut drei Jahren mit einem ersten Bebauungsplanentwurf hoch. Knackpunkte für viele Heisinger damals: die rund 40 geplanten Parkplätze und der Wegfall von Grünflächen. Doch seit der frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung im November 2021 ist es eher still geworden um das Thema.
Projektbaustein im „Masterplan Erlebnisketten Baldeneysee“
Dabei ist der Heisinger Buswendeplatz zwischenzeitlich zu einem Projektbaustein im „Masterplan Erlebnisketten Baldeneysee“ avanciert, einer Aktualisierung des „Entwicklungskonzeptes Baldeneysee“ aus dem Jahr 2013, die der Rat im Mai dieses Jahres mehrheitlich beschlossen hat. Darin heißt es, die Buswende solle als „Fokusraum priorisiert“ und als „neuer Ankunftsort“ etabliert werden. Das Ziel indes ist weitgehend das gleiche wie 2021: der Umbau zu einer barrierefreien, „verkehrlich funktionierenden“ Endhaltestelle mit vier An- und Abfahrtssteigen, verbunden unter anderem auch mit der Schaffung von Bike- und Car-Sharing-Angeboten. Kostenpunkt: grob geschätzt 5,2 Millionen Euro. Möglicher Baubeginn: nicht vor Ende 2027.
Denn um die Verkehrsanlage erweitern zu können, muss die angrenzende Grünfläche weichen – was einen neuen Bebauungsplan und neue Gutachten notwendig macht. Um diese Leistungen noch 2024 vergeben zu können, war der Verkehrsausschuss im Juni dieses Jahres einstimmig dem Vorschlag der Verwaltung gefolgt, die notwendigen Mittel in Höhe von 309.000 Euro kurzfristig aus drei anderen Essener Projekten abzuziehen, deren Baubeginn sich verschiebt – einem an der Pollstraße in Schönebeck und zweien am Pläßweidenweg in Horst.
Stichtag für die europaweite Ausschreibung war just der vergangene Montag. „Zufall“, sagt Henner Höcker. „Davon wussten wir wirklich nichts. Und auch wenn wir uns freuen, dass sich hier in naher Zukunft endlich etwas tun wird, geht es uns wirklich nicht um diese alte Diskussion.“ Es gehe vielmehr um die Anerkennung von Leistungen, die Menschen für das Gemeinwohl erbringen. Oder wie Roderich Drößer sagt: „Warum sollte man nicht mal für die Feuerwehr einen Kuchen backen oder der Polizeiwache an der Ecke was vorbeibringen? Warum nicht auch mal den Männern der Müllabfuhr einen Kaffee rüberreichen? Ich hoffe, dass sich möglichst viele Menschen in Essen an unserer Aktion ein Beispiel nehmen und das Meckern einfach mal für einen Moment einstellen.“
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