Essen-Bochold. Die Essener Citybahn-Pläne stoßen am östlichen Ende auf Widerstand: In Bochold gründet sich sogar eine Bürgerinitiative. Worum es geht.

Sie fürchten um ihre Existenz: Mehrere Unternehmen in Essen-Bochold fühlen sich vom derzeit aktuell größten Straßenbahn-Bauprojekt in NRW, der Citybahn, bedroht und schließen mögliche Pleiten als Folge des Vorhabens nicht aus. Ihr Vorwurf: Weder Stadt noch Ruhrbahn hätten die Anrainer über die kommenden Arbeiten auf der Haus-Berge-Straße informiert, man lasse die Geschäftsleute mit massiven Herausforderungen allein. Die Citybahn soll ab 2026 den Essener Osten mit dem Westen der Stadt verbinden.

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„Wenn ich gewusst hätte, dass dieses Projekt schon 2022 beschlossen war, hätte ich damals nicht 100.000 Euro in die Renovierung des Restaurants investiert“, klagt Jörg Daube, der gemeinsam mit seiner Frau Gabriele Daube-Schäferkordt an der Haus-Berge-Straße 129 die „Wundertüte“ betreibt. Das Restaurant wurde in den vergangenen zwei Jahren zunehmend zum Treffpunkt für Geburtstags- und Hochzeitsfeiern sowie Nachbarschaftstreffen.

Dass die Citybahn gebaut wird und nach Bergeborbeck führen soll, steht lange fest. Bitter für die Betroffenen: Sie kennen die genauen Pläne für die Haus-Berge-Straße in Bochold erst seit kurzem. Daube: „Wir haben vor knapp drei Wochen zufällig erfahren, dass die Pläne zwei Monate im Internet veröffentlicht waren und dass die Frist für Einwände am 19. Juli ausgelaufen ist.“

Stadt Essen: Bürgerbeteiligung hat stattgefunden

Dem Vorwurf, im Vorfeld nicht ausreichend informiert zu haben, widerspricht die Stadt Essen auf Anfrage dieser Redaktion. „Bevor das Projekt Citybahn der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, haben im Dezember 2019 und Januar 2020 intensive Gespräche mit Anrainern, Interessenvertretern, Kooperationspartnern und Politikern stattgefunden“, so Stadtsprecherin Silke Lenz. „Aufgrund der Corona-Pandemie waren öffentliche Info-Messen für Bürgerinnen und Bürger nicht möglich. Deshalb wurde in fünf digitalen Themenwochen den Essenerinnen und Essenern das Projekt ab 22. Februar 2021 vorgestellt und Woche für Woche ein neues Thema beleuchtet.“

Der Grünstreifen rechts soll wegfallen, um Platz für die Citybahn, den Autoverkehr und Radwege zu schaffen. 54 Bäume werden gefällt.
Der Grünstreifen rechts soll wegfallen, um Platz für die Citybahn, den Autoverkehr und Radwege zu schaffen. 54 Bäume werden gefällt. © FUNKE Foto Services | Judith Michaelis

Die Anlieger betonen, nicht generell gegen den Bau der Citybahn zu sein. Nichtsdestotrotz fordern sie, die Pläne zu modifizieren – aus wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Gründen. Fest steht: Für den Bau der Citybahn muss die Haus-Berge-Straße deutlich verbreitert werden. In der Mitte wird ein Rasengleis verlegt, rechts und links davon verläuft jeweils der Autoverkehr, daneben je ein Radweg.

Dafür muss der einseitige Grünstreifen mit insgesamt 51 Bäumen entfernt werden. Die Öko-Bilanz des Gesamtvorhabens ist allerdings durchaus positiv. Zwar werden Bäume gefällt, aber auch neue gepflanzt: An der Hollestraße müssen 41 Bäume weichen, davon werden 25 ersetzt. An der Hachestraße werden 27 Bäume gefällt und 29 gepflanzt. 115 neue Bäume sind es entlang des Berthold-Beitz-Boulevards. An der Haus-Berge-Straße in Bergeborbeck hingegen werden von 62 Bäumen lediglich 18 ersetzt.

Aus Sicht der Anwohner steht damit auch die Lebensqualität des Viertels auf dem Spiel: Die „letzte Grünfläche in diesem Umfeld“ diene als Begegnungsort und Kommunikationsraum. „Man trifft sich hier, unterhält sich beim Spaziergang. Wenn das wegfällt, verlieren wir einen wichtigen sozialen Raum“, erklärt Andreas Wibbe, der seit 59 Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft wohnt und dort zudem vier Wohnungen vermietet. Auch er sieht Leerstände auf sich zukommen.

Zudem könne man, so die Befürchtung der Anrainer mit Blick auf die Pläne, die jeweils andere Straßenseite kaum noch erreichen. „Die Haus-Berge-Straße wird sich anfühlen wie eine Stadtautobahn, die den Stadtteil in zwei Hälften teilt“, so Daube. „Es gibt nur einen Übergang, der nicht einmal mit einer Ampel gesichert ist. Wie sollen ältere Menschen da sicher die Straße überqueren, wenn die Bahn im Dreiminutentakt fährt?“ Seine Befürchtung als Unternehmer: Auch Gäste von Trauerfeiern auf dem Friedhof gegenüber können sein Restaurant dann nicht mehr erreichen. Zudem könnten Autos nicht mehr wenden – etwa um die „Wundertüte“ anzufahren.

Am Essener Hauptbahnhof haben die Arbeiten an der Trasse der Citybahn bereits begonnen.
Am Essener Hauptbahnhof haben die Arbeiten an der Trasse der Citybahn bereits begonnen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Die Stadt interpretiert die Pläne positiver: „Die Querung für Fußgänger erfolgt mittels Überweg auf Höhe der Hausnummer 131“, so Lenz. „Da die einzelne zu überquerende Strecke kürzer und einsehbarer wird, wird die Situation verbessert.“ Der Straßenzug werde durch das geplante Rasengleis außerdem deutlich aufgewertet. Pkw könnten die Kreuzung Bocholder Straße oder die Kreuzung zur Zollstraße zum Wenden benutzen.

Doch die Liste der Probleme ist noch deutlich länger: So sollen etwa 40 Parkplätze am Straßenrand künftig entfallen. Das hat die Stadt bestätigt. „Unsere Kunden kommen mit dem Auto hierher, das Parken ist schon jetzt eine Herausforderung“, erklärt Daube und spricht dabei auch für den Lebensmittelhändler und die Wäscherei in unmittelbarer Nachbarschaft. Besonders ältere Gäste seien auf das Auto angewiesen. Das Fehlen von Parkmöglichkeiten könne das Ende des Restaurants sowie einen dauerhaften Leerstand bedeuten. „Schon die monatelangen Umbauarbeiten werden wir voraussichtlich nicht überstehen.“

Anrainer in Essen-Bochold wehren sich

Der Frust unter den Betroffenen ist groß, doch sie wollen sich nicht kampflos geschlagen geben. Ihre Bedenken haben sie in zwölf Fragen formuliert und an die Bezirksvertretung 4 und Oberbürgermeister Thomas Kufen geschickt. Erstere wird sich in der Oktobersitzung mit den Vorwürfen der Bürger befassen.

Daube und weitere Mitstreiter haben zudem eine Informationsveranstaltung am 7. Oktober im Gemeindezentrum „Kreuzer“ organisiert. Sie soll den Anliegern eine Plattform bieten, um ihre Sorgen zu äußern und über weitere Schritte zu diskutieren. Am Ende der Veranstaltung könnte die Gründung einer Bürgerinitiative stehen. „Wir wollen erstmal sichtbar machen, wie dramatisch unsere Situation ist“, so Daube. „Bisher sind wir nur Zuschauer, wir müssen aber auf das Spielfeld kommen. Wir kämpfen für unsere Zukunft.“

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