Essen-Bochold. Bochold gilt nicht als beste Lage für eine neue Gastronomie. Anwalt Jörg Daube aus dem Essener Süden investiert genau dort in die „Wundertüte“.
Was drin steckt in der „Wundertüte“, das weiß niemand genau, der sie zum ersten Mal betritt. Irgendwie will das Lokal nicht recht an die Haus-Berge-Straße passen. Draußen rattert die Straßenbahn, drinnen läuft Jazz-Musik. Auf der Speisekarte stehen Currywurst, Frikadellen und Pils genauso wie provenzalischer Rinderschmortopf und französische Weine. Es lässt sich ab fünf Euro speisen, es gibt aber auch Gerichte für 30 Euro.
Auf dem gelben Schild über dem Eingang steht „essen, trinken, Freunde treffen“. Ist die Wundertüte ein Restaurant, ein Nachbarschaftstreff, eine gemeinnützige Einrichtung? Auf den ersten Blick passt sie in keine Schublade. Es kann einem ganz schwindelig werden beim Versuch, sie in eine zu stecken. Wenn Jörg Daube das beobachtet, dann ist eine Mischung aus Freude und Neugier in seinen Augen abzulesen. Denn mit der Wundertüte will er neue Wege eröffnen, weder sich noch den Stadtteil oder die Menschen hier in eine Ecke zwängen lassen.
Investor der „Wundertüte“ glaubt an Bochold
Der 67-jährige Kettwiger hat die Immobilie an der Haus-Berge-Straße vor einigen Jahren gekauft. Damals befand sich im Erdgeschoss noch ein griechisches Restaurant. Doch das kam nicht durch die Pandemie und Daube überlegte, was mit den Räumen geschehen soll. Über eine Kita dachte er kurz nach, entschied dann aber, dass die Menschen in Bochold weiterhin einen Ort brauchen, an dem sie sich treffen, gemeinsam essen und feiern können.
Laut Akten gab es an der Haus-Berge-Straße schon vor 1900 Gastronomie. Generationen von Bocholderinnen und Bocholdern hätten sich hier schon zu Taufen, Geburtstagen, Beerdigungen getroffen, erklärt Daube. Und in der Umgebung gebe es nicht allzu viele Alternativen. Eine Schließung oder Umnutzung hätte einen Verlust bedeutet. Als Eigentümer sehe er sich in der Verantwortung. „Wenn man in eine Immobilie investiert, sollte man sich auch für das Umfeld interessieren“, sagt er. „Ich finde es schade, wenn Stadtteile links liegen gelassen werden.“
Also wollte er dem Stadtteil etwas zurückgeben. Ausgerechnet hier und jetzt ein Restaurant zu eröffnen und dann noch Speisen zu diesem Preis-Leistungs-Verhältnis anzubieten, darüber habe sich so mancher zunächst gewundert. Doch der Anwalt und Notar aus Kettwig wollte diesen Weg gehen, auch wenn er die Bezeichnung als Restaurant nicht mag.
Küchenteam der „Wundertüte“ experimentiert gerne
Er wolle einen Ort der Begegnung schaffen, der mehr sei als das. Ihm gehe es nicht um maximalen Ertrag, die „Wundertüte“ müsse sich finanziell nur irgendwann selbst tragen können. „Es gab einen irren Investitionsstau“, sagt Daube. Er investierte in Inneneinrichtung, Sanitärbereich, Theke – alles ist neu. „Wir wollten eine Atmosphäre schaffen, in der sich jeder wohl fühlen kann“, sagt Gabriele Daube-Schäferkordt, die sich mit ihrem Mann für die Idee eines Begegnungsortes engagiert.
Ein Team für Küche und Service habe sich quasi wie von selbst gefunden. Koch Marlon Kouth zum Beispiel hat über Bekannte von dem Projekt erfahren und war begeistert. „Es macht wirklich Spaß, hier zu arbeiten“, sagt er. „Wir sind sehr frei in dem, was wir in der Küche tun und die Gäste sind experimentierfreudig, das Konzept funktioniert gut.“ Wer mag, kann sich auch vom Team mit einem Menü mit mehreren Gängen überraschen lassen. Es gibt einige vegetarische Gerichte und auch vegane Varianten.
Menschen mit Demenz sollen in der Essener „Wundertüte“ kellnern
Die Schwestern Andrea Steinbach und Sandra Kraufmann-Voß sind auf einen Kaffee hergekommen. Sie sind in Bochold aufgewachsen, leben mittlerweile woanders, aber besuchen regelmäßig das Grab ihrer Eltern. „Wir versuchen uns einmal zu treffen und nach dem Friedhofsbesuch hier einzukehren, um uns zu unterhalten“, sagt Steinbach.
- Die „Wundertüte“ an der Haus-Berge-Straße 129 ist mittwochs bis samstags von 12 bis 22 Uhr geöffnet.
- Mehr Informationen gibt es unter www.wundertuete.ruhr.
Viele Menschen aus dem Stadtteil hätten ihre Ideen beigetragen für die „Wundertüte“, berichten die Betreiber. Regelmäßig werden die Tische zu langen Tafeln zusammengeschoben, damit viele Leute gemeinsam essen und sich kennenlernen können. Musik, Tanz und Literatur sind willkommen. Bei den Kindern ist besonders das Eis beliebt, das es als Nachtisch zu jedem Kindergericht gibt, und der Griff in eine große Papier-Wundertüte, in der kleine Überraschungen warten.
In Zukunft möchte das Ehepaar Daube gerne auch Menschen mit Demenz in den Service einbinden. In Japan haben sie sich von diesem Konzept begeistern lassen. Doch mangels Vorbildern in Deutschland sei der Weg dahin wohl noch länger. Interesse gibt es im Stadtteil, ganz in der Nähe liegt das Haus-Berge-Quartier der Contilia, in dem viele Demenzerkrankte leben. Wie sich die „Wundertüte“ ansonsten weiterentwickeln wird, das hängt auch von den Wünschen und Ideen all derer ab, die hier ein und ausgehen.
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