Essen-Altenessen. Der Kinderschutzbund hat eine ehemalige Sparkassenfiliale aufwändig umgebaut. Es sei wichtig, dort präsent zu sein, wo der Bedarf am größten ist.
Noch wirkt die Fassade am Gebäude Altenessener Straße 435 wenig einladend, doch der äußere Schein trügt. Im Inneren der ehemaligen Sparkassenfiliale sieht alles nach Neubau aus: Hell gestrichen, hell ausgeleuchtet, neue Fußböden, Schallschutzpaneele an den Decken, und viele Wände, wo vorher keine waren.
Zwei Millionen Euro hat sich der Kinderschutzbund den Kauf und Umbau des Gebäudes kosten lassen. Zwei wichtige Einrichtungen sind nun dort untergebracht: das von der Altenessener Straße aus zugängliche „Zentrum für Kindesentwicklung“ und die „Interdisziplinäre Frühförderstelle“, die einen separaten Eingang mit eigener Adresse auf der Gebäuderückseite hat, Mallinckrodtplatz 6.
Essener Kinderschutzbund kaufte die ehemalige Sparkassenfiliale und baute sie komplett um
Zigmal seien sie umgezogen, an verschiedenen Standorten punktuell gewachsen und hätten 2021 schließlich entschieden, dass zentrale Räumlichkeiten her müssten. Und jetzt, endlich, sei alles unter einem Dach, sagt Prof. Dr. Ulrich Spie, Vorstandsvorsitzender des Kinderschutzbundes Essen. „Ruck-zuck“ sei dieser vorerst letzte große Umzug gelaufen, so Birgit Pammé, Fachbereichsleitung für Kindesentwicklung beim Kinderschutzbund. Nur eine Woche hätten sie den Betrieb pausieren müssen. „Dabei stand hier im Januar noch keine Wand. Und jetzt ist es so schön geworden!“
Sichtlich stolz führt sie durch die Räume: hier der große Bewegungsraum mit Matten und Reifen und Springseilen, dort der kleinere mit einer Sprossenwand, hier der Raum für Ergotherapie mit einer Werkbank im Miniaturformat, dort ein Regal mit Bilderbüchern. Malstifte, Bastelsachen, Holzspielzeug. Ein „Haus des Spielens, der Bewegung und des Spaßhabens“ wollen sie sein, so Birgit Pammé. „Und das soll man sehen!“
Standort in Altenessen seit 1986
Der Kinderschutzbund Essen wurde 1968 gegründet.
Das Zentrum für Kindesentwicklung wurde 1998 eröffnet und war von vornherein in Altenessen angesiedelt.
Der erste Standort des Kinderschutzbundes in Altenessen (Süd) eröffnete 1986: die Kindernotaufnahme „Spatzennest“, die später nach Altenessen-Nord umgezogen ist, und eine Kita.
Noch wird an manchen Stellen ein bisschen improvisiert, noch laufen neben den 28 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kinderschutzbundes, den Eltern und ihren Kindern immer wieder auch Handwerker über die Flure. „Da kommt noch Glas hin“, sagt Birgit Pammé im Vorübergehen. Auch die Fassade solle nachgebessert werden, und der Eingang hin zur Altenessener Straße ein ordentliches Schild bekommen.
„Wenn man da nicht eingreift, ist das Schicksal des Kindes womöglich schon entschieden“.“
Insgesamt etwa 700 Quadratmeter stehen dem Kinderschutzbund am neuen Standort für den Fachbereich Kindesentwicklung zur Verfügung: für Heilpädagogik, Ergo-, Sprach-, Physiotherapie und weitere Leistungen. Der Kinderschutz habe verschiedene Bausteine, erläutert Ulrich Spie: Dazu gehöre etwa die Inobhutnahme von Kindern, die Opfer von Gewalt und Missbrauch geworden sind, aber auch die Gesundheitsfürsorge und die Unterstützung von Kindern und Familien.
Im Essener Norden brauchen viele Kinder Unterstützung: je früher, desto besser
Der Fachbereich sei ursprünglich wegen des Mangels an Therapieplätzen gegründet worden, so Spie. Der Gedanke dabei: „Wir müssen die nötige Hilfe selbst anbieten.“ Idealerweise dort, wo der Bedarf am größten ist. Und der Bedarf im Essener Norden sei enorm: Ein Großteil der Kinder erhalte nicht alle regulären Vorsorgeuntersuchungen.
Ein Blick in die Statistik der Schuleingangsuntersuchungen zeigt zudem, dass im Jahr 2022 bei etwa 50 Prozent aller Kinder aus den Stadtbezirken 5 und 6 gesundheitliche Auffälligkeiten festgestellt wurden. Dazu gehören laut Pammé und Spie beispielsweise Störungen der Fein- oder Grobmotorik und daraus resultierende Schwierigkeiten mit alltäglichen Handlungen sowie Sprachprobleme und Verhaltensauffälligkeiten. Drastisch zugenommen hätten auch Probleme mit Konzentration und Aufmerksamkeit. „Wenn man da nicht eingreift, ist das Schicksal des Kindes womöglich schon entschieden“, sagt Ulrich Spie.
Allein im Zentrum für Kindesentwicklung würden jede Woche etwa 150 Kinder behandelt, aufs Jahr gerechnet seien das mehr als 6500 Behandlungen; in der Frühförderstelle seien es im gleichen Zeitraum etwa 4350.
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Je früher man Eltern und Kinder begleiten könne, desto weniger müsse man später therapeutisch eingreifen. Es sei denn, es liegen gleich mehrere Probleme vor, oder es kommen im Laufe der Kindheit neue Auffälligkeiten hinzu. Aber auch dann sei der frühe Kontakt von Vorteil, erklärt Birgit Pammé: Weil die Eltern dann auch später wüssten, an wen sie sich wenden könnten.
So habe sie gerade noch mit einer Mutter gesprochen, die sie mit ihrem Sohn erstmals in der Schreikindambulanz getroffen habe. In den Folgejahren sei die Familie immer mal wieder beraten worden, schließlich habe das Kleinkind auch logopädische und ergotherapeutische Behandlung erhalten. „Das war nicht durchgehend, aber wir sind immer in Kontakt geblieben.“ Im Schulalter habe man den Jungen dann an die Lernhäuser vermittelt, für Hausaufgabenbetreuung und Freizeitgestaltung. Heute sei er ein Teenager, „und es könnte gar nicht besser laufen“, so die Mutter, sie habe nur mal vorbeischauen wollen im neuen Gebäude, um „Hallo“ zu sagen.
„Die Anmeldezahlen explodieren. Wir können Wartelisten eigentlich nicht ertragen, aber auch wir haben sie.“
Wie diese Mutter sei die Mehrheit der Eltern übrigens sehr kooperativ, betonen Birgit Pammé und Ulrich Spie. „Die meisten Eltern wollen für ihre Kinder bessere Entwicklungsmöglichkeiten, als sie sie hatten.“ Doch manche täten sich schwer damit, die nötige Hilfe zu bekommen. Sie sei deshalb sehr froh, sagt Birgit Pammé, im neuen Zentrum nun viele Angebote gebündelt zu haben. So könnten sich die verschiedenen Fach-Disziplinen im Haus untereinander austauschen und beraten. Sei eine weitere Therapie notwendig, könne die am gleichen Ort stattfinden, „und wir müssen nicht sagen: ‚Fünf Straßen weiter ist eine andere Stelle, rufen Sie da doch mal an‘“.
Und doch: „Die Anmeldezahlen explodieren. Wir können Wartelisten eigentlich nicht ertragen, aber auch wir haben sie.“ Die Nachfrage betreffe nicht nur die Einrichtungen des Kinderschutzbundes, sondern sämtliche Therapieangebote und Praxen. Manche hätten ihre Listen komplett geschlossen, so Birgit Pammé. So weit wolle man nicht gehen, auch wenn sich die Wartezeiten mitunter auf eineinhalb bis zwei Jahre belaufen können. „Wir raten den Familien dazu, sich anzumelden, denn es kann ja auch schneller gehen.“ In der Zwischenzeit würde man sich bemühen, die Zeit sinnvoll zu überbrücken: mit Beratung, erforderlichen Vorbereitungen, falls nötig der Kontaktaufnahme etwa zu Lehrern. „Wir versuchen, die Eltern nicht alleinzulassen.“
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