Essen. Der sinnlose Gerichtsstreit ist vorbei, nun muss alle Kraft der Bewältigung des Ausnahmezustands in Essen und dem Schutz der Anwohner gelten.

Die Stadt ist gescheitert mit ihrem Versuch, den AfD-Parteitag juristisch zu verhindern, aber die kritische Diskussion darüber geht weiter. Denn von Anfang an war klar, dass das Infragestellen des Gleichheitsgrundsatzes keinerlei Aussicht auf Erfolg haben würde, und bei aller AfD-Antipathie hätte man sich das nicht einmal wünschen sollen. Wenn die Grugahalle allen Parteien zur Verfügung steht, dann auch dieser: Der Rechtsstaat ist zu wichtig, um ihn für parteipolitische Geländegewinne zu beugen, mag das im Fall der AfD vielen auch noch so naheliegend erscheinen. Die Auseinandersetzung mit dieser Partei muss auf politischem Feld erfolgen.

AfD-Parteitag: Neben anderen Fehlleistungen, hat die Stadt sich auch taktisch verzockt

Der Eindruck ist jedenfalls übermächtig, dass die Stadtverwaltung mit Oberbürgermeister Thomas Kufen an der Spitze eine politische Gerichts-Show abgezogen hat, nach dem Motto: Wir tun was, es muss nach außen gut aussehen, ob es Sinn hat, ist nicht so wichtig. Der Versuch, mit einem juristisch offenbar schwachbrüstigen Soziologen-„Gutachten“ vor Gericht Eindruck zu schinden, ist da fast schon rührend, wären dafür nicht noch Steuermittel überwiesen worden. Letztlich wirkte die gesamte Attitüde, die die Stadt Essen an den Tag legte, wenig überzeugend, teilweise anmaßend und auch taktisch unklug. Denn der AfD wurde quasi mit Ansage ein billiger Triumph beschert.

AfD-Parteitag in Essen:

Man habe ein Recht darauf, in städtischen Gebäuden Straftaten vorsorglich zu verhindern, war die Generalbegründung für die städtische Initiative. Das klingt gut. Aber das Gericht sah keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für dieses Erwartungs-Szenario, trotz einzelner strafbewehrter Äußerungen etwa eines Björn Höcke. Auch hier sind Meinungsfreiheit und Parteienprivileg zunächst die höheren Rechtsgüter, ihre Verwirkung ist zu Recht an hohe Hürden gekoppelt.

Die geplante Satzungsänderung für städtische Gebäude ist zweischneidig

Der Teufel steckt zudem im Detail: Wer soll auf einem Parteitag oder auch bei kleineren Veranstaltungen eigentlich in einem fiktiven konkreten Fall entscheiden, was eine strafbare politische Äußerung ist? Wohl kaum ein Aufpasser des OB. Die Feststellung, ob jemand die Meinungsfreiheit für Strafbares missbraucht hat, ist immer noch Sache der zuständigen Behörden, das letzte Wort haben im Zweifel Gerichte. Eine Kommunalverwaltung hat da herzlich wenig Kompetenz, weshalb übrigens auch die geplante Satzungsänderung für städtische Gebäude ein zweischneidiges Instrument ist. Kufen und die Stadtspitze drohen sich hier einmal mehr zu überheben.

Statt sich also in einem sinnlosen Rechtsstreit zu verheddern, im Rahmen dessen der Stadtrat erst mit großer Geste Beschlüsse fällt, um sie kleinlaut nur Tage später wieder aufheben zu müssen, wäre die alleinige nüchterne Konzentration auf die Sicherheitsaspekte rund um den Parteitag ratsam gewesen. Hier gibt es in Zusammenarbeit mit der verantwortlichen Polizeibehörde reichlich zu tun, damit der dichtbesiedelte Stadtraum um die Grugahalle nicht zum Schlachtfeld wird, was radikale Antifa-Gruppen bereits angekündigt haben. Und der Rechtsstreit hat da womöglich noch Öl ins Feuer gegossen und die Wut weiter angestachelt.

Die Rechte unbeteiligter Anwohner spielen eine arg untergeordnete Rolle

Demonstrieren ist ein Grundrecht, wozu auch das Recht gehört, dem Anlass des Protestes räumlich möglichst nahe zu kommen. Demgegenüber haben Gerichte immer wieder bestätigt, dass die Rechte unbeteiligter Anwohner im Zweifel zurückstehen müssen, was zu respektieren ist. Allerdings verwundern Tragweite und Selbstverständlichkeit, mit der diese Anwohnerrechte an den Tagen des AfD-Parteitags eingeschränkt werden. Je nach Einsatzlage und Ausmaß möglicher Eskalationen ist man in seiner Wohnung gefangen. In den betroffenen Rüttenscheider Quartieren sorgt das für viel Unmut. Wer kann, versucht zu verreisen.

Vermutlich ist das kein schlechter Vorsatz. Denn die Grugahalle mit ihrem urbanen Umfeld ist für einen AfD-Parteitag wegen der erwartbaren Gegenreaktionen unter Sicherheitsaspekten besonders ungeeignet. Ausschreitungen können hier verheerend sein. Das aber spielte genau keine Rolle bei der Frage, ob die Veranstaltung juristisch zu verhindern ist. Der Stadt ist das nicht vorzuwerfen, der Versuch wäre ebenfalls chancenlos gewesen. Doch sollte die unterschiedliche Belastbarkeit von Stadträumen künftig in solchen Fällen ein Faktor sein. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Nicht alles muss überall stattfinden können.

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