Essen. Der AfD-Parteitag und die Demos rufen bei den Anwohnern in Rüttenscheid ganz unterschiedliche Reaktionen hervor. Das Stimmungsbild am Samstag.

Während auf dem Messeparkplatz tausende Menschen gegen den AfD-Parteitag lautstark demonstrieren, bleibt es in den umliegenden Straßen in Essen-Rüttenscheid an diesem Samstag eher ruhig. An den Straßenecken stehen Sicherheitsleute, die das Geschehen unweit der Grugahalle, wo die AfD tagt, im Auge behalten sollen. Viel zu tun haben sie scheinbar nicht, stattdessen wird am Handy gedaddelt. Und die Anwohner? Sie scheinen sich mit dem Ausnahmezustand in ihrem Wohnviertel arrangiert zu haben.

„Wir sind eingesperrt, aber was willste machen?“, sagt Holger Becker und fegt die Blätter vor dem Eingang eines Mehrfamilienhauses in an der oberen Rüttenscheider Straße zusammen. „Ich habe Treppendienst“, sagt er lächelnd und weist auf ein gegenüberliegendes Gebäude. Dort sind die Fenster eines Geschäfts mit Holz verbarrikadiert. „Ich kann das nachvollziehen. Man hat schließlich gesehen, was in Hamburg bei Demos alles von Chaoten zerstört worden ist.“ So ein Parteitag gehöre eben nicht in eine Innenstadt mit so vielen Menschen und Geschäften, sondern „auf die grüne Wiese“. Er hoffe, dass alles friedlich bleibe.

„Wir sind eingesperrt, aber was willste machen?“

Holger Becker, Anwohner

Die Sperrmaßnahmen sind Gesprächsthema in Rüttenscheid

Ein Protest-Banner hängt an den Wohnhäusern gegenüber dem Kundgebungsgelände an der Messe.
Ein Protest-Banner hängt an den Wohnhäusern gegenüber dem Kundgebungsgelände an der Messe. © WAZ | Petra Treiber

Diese Hoffnung hegen auch Lea und Gisela. Die beiden Seniorinnen genießen auf einer Bank die Sonne. Ihr Gesprächsthema: der AfD-Parteitag und das große Aufgebot an Polizei um sie herum. „Jede Gegendemo ist gut“, findet Lea, das sei schließlich Demokratie. Nur Ausschreitungen seien nicht hinnehmbar. Insofern sei eine gewisse Polizeipräsenz schon notwendig.

„Ich bin zwar nicht aktiv bei den Demos dabei, aber sie sind gerechtfertigt. Den Parteitag hier stattfinden zu lassen, finde ich nicht richtig“, sagt Dominic Kleinkückelkothen. Der 33-Jährige akzeptiert dafür Einschränkungen in seiner Nachbarschaft, auch das entsprechende Polizeiaufgebot. Ferhat Gökyar und seine Freundin Katharina Götze sind dagegen eher skeptisch. „Das ist doch alles sehr übertrieben. An einigen Stellen stehen zig Mannschaftswagen hintereinander“, sagt der 31-Jährige. „Es ist sehr viel Trubel dafür, dass es nur ein Parteitag ist“, ergänzt seine Freundin.

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Das Polizeiaufgebot wird teilweise als beängstigend wahrgenommen

„Schade, dass sie es nicht geschafft haben, die Nazis aus der Stadt rauszuhalten“, äußert sich ein Passant auf dem Weg zur U-Bahnhaltestelle. Ein anderer outet sich als AfD-Wähler. „Aus Protest gegenüber den etablierten Parteien“, wie er betont. Er sei froh, dass die Polizei für die Sicherheit der Leute in Rüttenscheid sorge. Gegen die Demonstrationen habe er aber grundsätzlich nichts.

„Mir tun die Polizisten leid, die von den Demonstranten so angegangen werden“, sagt Christine Berg. Sie wohnt an der Messeallee und hat am Samstagmorgen die Ausschreitungen an der Grugahalle mitbekommen, bei denen es zu Festnahmen gekommen ist. „Ich bin auch nicht für die AfD, aber wir leben in einem Rechtsstaat und da muss man aufeinander Rücksicht nehmen.“

Angelika Strauch hält die Absperrungen in ihrem Wohnviertel für lästig, aber hinnehmbar.
Angelika Strauch hält die Absperrungen in ihrem Wohnviertel für lästig, aber hinnehmbar. © WAZ | Petra Treiber

Ihr sei die viele Polizeipräsenz zunächst beängstigend vorgekommen, gesteht Angelika Strauch. Die Rüttenscheiderin fühlte sich durch den Trubel bei der Rave-Demo am Freitagabend etwas gestört. „Das ging bis spätnachts.“ Aber jetzt am Samstag habe sie den Eindruck gewonnen, „dass doch alles sehr friedlich abläuft“. Die Sperrungen seien zwar lästig, aber hinnehmbar.

Anwohner marschieren bei Rave-Demo mit und finden es toll

Inzwischen haben sich auf der Rü einige Cafés und Gastronomien gefüllt. Etliche Demonstranten suchen außerdem Abkühlung im Schatten der Bäume. Auf einer Bank an der Ecke Gußmannplatz gönnen sich Eberhard und Anne Santner sowie Willy Heim und Reem Saaid ein kühles Eis. Das Kleeblatt will später gemeinsam zum Messeparkplatz zum Markt der Möglichkeiten und zu den Konzerten. „Am Freitag waren wir auf der Rave-Demo, die ging direkt bei uns an der Friederikenstraße vorbei, wo wir wohnen. Wir sind die ganze Strecke bis zum Ende mitgelaufen. Die Leute waren super gut drauf“, berichtet der 67-jährige Willy Heim begeistert.

Die Plakate sind kunterbunt, die Sprüche deutlich: Die AfD soll in Essen keinen Platz haben.
Die Plakate sind kunterbunt, die Sprüche deutlich: Die AfD soll in Essen keinen Platz haben. © WAZ | Petra Treiber

„Es war meine erste Demo. Und das mit 71 Jahren! Ich bin sehr stolz darauf“, sagt Anne Santner. Es sei ein total schönes Erlebnis gewesen. „Wenn man es nur nicht so hochgepusht hätte in den Medien. Die Anwohner wurden regelrecht in Angst versetzt.“ Dabei seien alle Leute auf der Demo sehr friedlich gewesen. Was den Aufwand der Sperrungen angehe, so ergänzt Willy Heim, sei das erträglich. „Wenn Messen sind, ist es ja nicht anders. Und diesmal ist es für einen guten Zweck.“

„Es war meine erste Demo. Und das mit 71 Jahren! Ich bin sehr stolz darauf.“

Anne Santner, Anwohnerin

Reem Saaid, 38, lebt seit mehr als 20 Jahren in Deutschland. Über ihre Zukunft in der neuen Heimat habe sie sich nie Sorgen machen müssen. Doch das habe sich mit der AfD und deren Wahlerfolgen inzwischen geändert. „Ich arbeite in einem systemrelevanten Beruf, da bekommt man die zunehmende Ausländerfeindlichkeit schon deutlich mit.“ Deswegen sei sie sehr froh, dass es diese große Protestwelle in Essen gebe.

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