Essen. Der Kaufmännische Direktor der Universitätsmedizin Essen über die Baustellen der Klinik und die Zukunft der beiden Standorte im Süden der Stadt.
Stefan Starke (35) ist seit einem halben Jahr kommissarischer Kaufmännischer Direktor der Universitätsmedizin Essen. Im Interview beschreibt er, vor welchen Herausforderungen das Haus auch mit Blick auf die Krankenhausreform steht, wie man dort gegen das hohe zweistellige Defizit angehen will – und was die Pläne für das St. Josef-Krankenhaus in Werden und die Ruhrlandklinik sind.
Herr Starke, Sie sind Ende 2023 in turbulenten Zeiten an die Uniklinik gekommen: Ihr Vorgänger Thorsten Kaatze hatte seinen Posten überraschend verlassen müssen, es gab Compliance-Vorwürfe gegen einzelne Klinikdirektoren und eine finanzielle Schieflage. Eine Jobbeschreibung nach Ihrem Geschmack?
Starke: Ja, total! Die Universitätsmedizin Essen ist die größte Klinik im Ruhrgebiet, und es ist für mich eine absolute Ehre, so einen Posten bekleiden zu dürfen. Was die Turbulenzen angeht: Ich komme oft in Strukturen, in denen große Herausforderungen bestehen. Das treibt mich an! Ich bin nicht der klassische Verwalter, sondern möchte gestalten. Das braucht es, um das Gesundheitswesen für die Zukunft aufzustellen – und da hat dieses Haus hervorragende Voraussetzungen.
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Unter dem Dach der Universitätsmedizin gibt es die Ruhrlandklinik, das St. Josef-Krankenhaus Werden, dazu etliche Zentren und Kliniken mit insgesamt 11.000 Beschäftigten. Wie gut haben Sie die UME in einem halben Jahr kennengelernt?
Ich versuche, mir einerseits die Struktur zu erschließen, andererseits tagtäglich mit den Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen, um zu verstehen, was deren Sorgen und Ängste sind – und zu erkennen, wie man sie so unterstützen kann, dass sie die bestmögliche Leistung für die Universitätsmedizin erbringen. Dabei habe ich viel positiven Rückenwind gespürt. Ich erlebe eine offene Haltung der Mitarbeiter und fühle mich gut angekommen.
Berater stellen Krankenhäuser neu auf
Stefan Starke (35) ist einer der drei Geschäftsführer der Hospital Management Group Gmbh (HMG) mit Sitz in Schleswig. Er ist Betriebswirt und seit mehr als 14 Jahren Krankenhausmanager. Vor seiner Zeit bei der HMG war er sechs Jahre für einen großen privaten Klinikträger in Managementpositionen in ganz Deutschland tätig.
Die HMG ist ein Management- und Beratungsunternehmen, das Krankenhäusern „durch kurz- und mittelfristige Ergebnisverbesserungen“ bei Restrukturierungen und Transformationen hilft. Die Leistungen reichen von der Budget-Verhandlung über das OP-Management bis zum Management auf Zeit, wie es Starke nun für die Universitätsmedizin Essen erbringt.
Thorsten Kaatze war mehr als 13 Jahre in der Führungsspitze der Uniklinik, die er als sein „zweites Zuhause“ bezeichnet hat. Sie haben als Geschäftsführer der Hospital Management Group GmbH mit 35 Jahren schon mehr als ein Dutzend Krankenhäuser betreut. Hilft es bei teils schmerzhaften Veränderungsprozessen, wenn man quasi als Zeitarbeiter in der Chefetage ist?
Ich glaube, dass einem das eine gewisse Beinfreiheit bei bestimmten Entscheidungen gibt. Nichtsdestotrotz verstehe ich das Management von Krankenhäusern nicht als Sprint: Wir brauchen auch Kontinuität für die Beschäftigten, weswegen wir alle strukturellen Entscheidungen gemeinsam im Vorstand treffen. Dabei habe ich aufgrund meiner Vita den Vorteil, dass ich das Beste aus allen Welten mitbringe: Ich habe lange für einen großen privaten Klinikträger gearbeitet, war in konfessionellen, freigemeinnützigen und kommunalen Häusern tätig. Es kann für die Universitätsmedizin ein echter Mehrwert sein, wenn jemand mit meiner Erfahrung kommt, unvoreingenommenen auf das blickt, was er hier vorfindet, und es im Sinne eines Best-Practice-Modells an den Erfolgen andernorts misst.
Universitätsmedizin Essen stellt Drei- bis Fünfjahresplan auf
An einem Uniklinikum waren Sie allerdings bisher noch nicht...
Richtig, und natürlich gibt es hier Besonderheiten: Es ist komplexer, auch Forschung und Lehre mit dem Klinikalltag in Einklang zu bringen. Grundsätzlich sind die Herausforderungen in der Krankenhausversorgung aber bundesweit identisch.
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Tarifvertrag Entlastung kostet jährlich 20 bis 25 Millionen Euro extra
Eine dieser Herausforderungen ist Wirtschaftlichkeit. Was kann die Uniklinik gegen ihr hohes zweistelliges Millionendefizit tun?
Wir erstellen einen Drei- bis Fünfjahresplan, der das beantworten soll. Das NRW-Wissenschaftsministerium hat uns aufgefordert, auskömmlich zu wirtschaften: Das klare Ziel ist die schwarze Null.
Wo wollen Sie ansetzen?
Wir müssen uns vor allem mit drei Dimensionen beschäftigen. Erstens haben wir einen Investitionsstau, der durch die fragmentierte Baustruktur verschärft wird. Allein hier reden wir von einem hohen zweistelligen Millionendefizit. Wir können die dadurch erhöhte Instandhaltung nicht allein aus dem operativen Geschäft finanzieren, darüber müssen wir mit dem Ministerium sprechen
Das sind die Steine...
Das andere ist der Tarifvertrag Entlastung, der zur Folge hat, dass wir an vielen Stellen in der patientennahen Versorgung deutlich höhere Personalschlüssel haben als andere Kliniken. Das verursacht bei mehr als 500 Millionen Euro Personalkosten im Jahr noch 20 bis 25 Millionen Euro zusätzlich. Diese Summe ist nicht gegenfinanziert. Diese zwei Effekte sorgen ungefähr für die Hälfte des Defizits. Ich schaue mir – Punkt drei – besonders das operative Defizit an: Was können wir in der Krankenversorgung besser machen? Das fängt damit an, dass wir den Kostenträgern auch das in Rechnung stellen, was wir erbracht haben. Das geschieht nicht immer vollständig und schnell genug. Zudem müssen wir uns so aufstellen, dass wir mehr Patienten in unseren vorhandenen Strukturen versorgen können.
Die Patienten wären ja da, es gibt stellenweise lange Wartelisten. Wollen Sie die Liegezeiten verkürzen?
Jede unserer Kliniken hat ein bestimmtes Fließgleichgewicht, das man permanent verbessern muss, etwa indem man OP-Kapazitäten besser nutzt. Am Ende muss man sich auch die Verweildauern ansehen, die in Deutschland im internationalen Vergleich sehr lang sind.
Teure Klinikbetten sollen abgebaut werden
Wie kommt es, dass viele Patienten den Eindruck haben, die Liegezeiten seien längst so verkürzt, dass mancher „blutig entlassen“ wird?
Was die Menschen da wohl meinen, ist, dass nach der Entlassung die Nachversorgung nicht gut genug greift. Nur: Da sind andere Versorgungsformen gefragt, da müssen sich beispielsweise Reha- und Pflegeeinrichtungen kümmern. Aber hier braucht es in Deutschland innovative zusätzliche Versorgungsformen, denn dort können diese Probleme zurzeit auch nicht aufgefangen werden. Wieso sollte jemand weiter im kostspieligen Klinikbett liegen, wenn eine klassische stationäre Behandlung beendet ist?
Schicken Sie alte Patienten demnächst nach Hause, auch wenn sie da nicht mehr allein klarkommen?
Natürlich nicht, es gehört auch zu unserem Selbstverständnis, dass wir nicht alles den Gesetzen der Ökonomie unterwerfen. Gleichzeitig ist es etwas unfair, wenn wir uns für Versorgungslücken verantworten sollen, die an anderer Stelle auftreten. Unser engagierter Sozialdienst schaut, dass jeder Patient nach der Entlassung adäquat versorgt ist. Sache der Politik ist es dafür zu sorgen, dass alle Versorgungsformen im Sinne des Patienten ineinandergreifen. Es ist genug Geld im System; es wird nicht optimal eingesetzt. Ziel muss sein, teure Klinikbetten abzubauen und andere Angebote zu stärken.
In einigen Jahren wird die UME also keine 1700 Betten mehr haben?
Wir sind da Trendsetter: Die Universitätsmedizin behandelt im Jahr gut 70.000 Patienten stationär – und mehr als 300.000 ambulant. In drei, vier Jahren sollen es 400.000 oder mehr sein, denen wir hochspezialisierte Medizin bieten. Durch die Krankenhausreform wird die Bildung von Zentren und die Fokussierung auf spezialisierte Leistungsgruppen noch zulegen. Auf der anderen Seite müssen wir Leistungen, die nicht zwingend in eine Universitätsmedizin gehören, ausgliedern.
Universitätsmedizin will auf Augenhöhe mit anderen Trägern reden
Die drei freigemeinnützigen Klinikträger in der Stadt werden das gern hören. Sie haben Ende 2023 ein gemeinsames Essener Modell verkündet, von dem man zuletzt allerdings wenig hörte. Kann ein solcher Verbund der Weg für die nicht-universitäre Medizin sein?
Als leidenschaftlicher Krankenhausmanager mit dem Blick von außen habe ich mich schon gewundert, dass wir als größter Gesundheitsversorger nur am Rande auftauchen, wenn von einem Essener Modell die Rede ist. Wir können nur gemeinsam und trägerübergreifend abgestufte Versorgungsmodelle bereitstellen, wie sie die Krankenhausreform ja vorsieht. Es hilft auch den Patienten nichts, wenn in einem urbanen Gebiet Doppelstrukturen vorgehalten werden.
Noch gibt es die in vielen Bereichen, wo sollte man da ansetzen?
Ich tue mich schwer, mich nach sechs Monaten in Essen da im Detail zu positionieren. Grundsätzlich sehe ich kleinere Häuser als erste Anlaufstelle für Patienten: Von hier sollte ihnen der bestmögliche Weg durch eine komplexe Gesundheitsversorgung gebahnt werden. Das ist eine unterschätzte Kompetenz.
Das dürfte anderen Häusern zu wenig sein. Nehmen wir beispielhaft die Evangelischen Kliniken Essen-Mitte, die bundesweit Strahlkraft für Brustkrebspatientinnen haben.
Ich verstehe die Furcht kleinerer und mittlerer Träger, etwas abzugeben, das man hervorragend macht, und damit auch Identität zu verlieren. Wir werden uns auf Augenhöhe begegnen und die Leistungen anerkennen, die außerhalb der Universitätsmedizin erbracht werden.
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Ruhrlandklinik und St. Josef Werden sind stark defizitär: Gibt es Pläne, sich von ihnen zu trennen?
Erstmal ist es sehr erfreulich, dass wir 2023 in beiden Häusern einen positiven Jahresabschluss vorzeigen können. Auch haben sie in mehrfacher Hinsicht eine Daseinsberechtigung, angefangen damit, dass wir hier am Campus räumlich sehr limitiert sind und uns beide Standorte entlasten. Sie ermöglichen uns eine abgestufte Versorgung unter einem Dach: Wir haben nun zwei Klinikdirektoren der Uniklinik, die auch in Werden Patienten behandeln oder operieren, so dass dort zum Beispiel OP-Säle und Stationen besser ausgelastet sind und damit die Refinanzierung der dortigen Infrastruktur deutlich verbessert wird. Weil das St. Josef Patienten übernimmt, die sonst in der Uniklinik gelandet wären, können dort nun mehr hochspezialisierte Eingriffe stattfinden.
Warum wurde das nicht längst so gehandhabt?
Dieses Verständnis hat vielleicht in der Vergangenheit nicht immer so gefruchtet. Jetzt wollen wir das weiterentwickeln, etwa indem dort verstärkt ambulante Operationen stattfinden. Wir glauben daher an eine Zukunft dieser beiden Standorte.
Haben Sie auch eine Idee, wie das Westdeutsche Protonentherapiezentrum Essen (WPE) wirtschaftlicher arbeiten kann? Die Auslastungszahlen bleiben ja bis heute hinter den Erwartungen zurück.
Aber sie steigen: Es ist europaweit das größte Protonenzentrum und für viele die letzte Anlaufstelle, gerade für Kinder. Trotzdem ist die Finanzierungssituation schwierig und hat sich durch die gestiegenen Energiepreise weiter verschlechtert. Wir reden mit dem Wissenschaftsministerium, weil im WPE auch geforscht wird und das nicht auskömmlich finanziert ist. Es gibt auch die Überlegung, es wieder in die Universitätsmedizin zu integrieren; aktuell ist es ja eine eigenständige Gesellschaft. Es aufzugeben ist keine Option.
Ihr Vertrag endet am 30. Juni, ist Ihre Mission erfüllt?
Noch wird eine Nachfolge gesucht, ich werde meinen Vertrag daher um einige Monate verlängern.
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