Essen. Der Vorreiter des deutschen Kinos im Gespräch über seine Essener Werkschau, ein neues Filmprojekt und Arbeit im fortschreitenden Alter.

Er dreht in Japan Filme, wartet in Hollywood auf den Oscar, erhält in Cannes einen Ehrenpreis für sein Lebenswerk. Doch der weltweit bekannte Regisseur Wim Wenders (79) lässt es sich nicht nehmen, mit seinen Filmen Premieren in Essen zu feiern oder anlässlich seiner großen Werkschau zum Publikumsgespräch anzureisen. Auch für ein Interview nimmt er sich noch Zeit. Entspannt, aufmerksam, zugewandt spricht er mit Redakteurin Dagmar Schwalm über seine Klassiker und neue Filmprojekte, über Freundschaften und die Arbeit im fortschreitenden Alter.

Anlässlich der Wiederaufführung des vielfach ausgezeichneten Wenders-Klassikers „Paris, Texas“ am 13. Oktober im Eulenspiegel veröffentlichen wir das Wim-Wenders-Interview vom Juni 2024 erneut.

Herr Wenders, Sie waren viermal in über 50 Schaffensjahren für den Oscar nominiert. In diesem Jahr mit „Perfect Days“. Waren Sie enttäuscht, dass es nicht geklappt hat?

Die Enttäuschung fand nicht statt. Wir wussten das vorher. Sämtliche Vorhersagen deuteten auf „The Zone of Interest“ hin. Mit über 400.000 Zuschauerinnen und Zuschauern, dem Darstellerpreis für Koji Yakusho in Cannes und der Oscarnominierung sind wir sehr gut bedient.

Sie haben viele Ehrenpreise erhalten. Wie groß ist die Ehre einer umfassenden Retrospektive in Essen, die ein Jahr dauert und mit 25 Filmen rund die Hälfte ihrer Werke zeigt?

Das ist außerordentlich. Eine sehr komplette Schau und eine große Freude für mich.

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Wim Wenders spricht in Essen über wichtige Filme wie „Alice in den Städten“

Sie haben die Filme selbst mit ausgewählt. Welche liegen Ihnen besonders am Herzen?

Ein paar Klassiker wie „Paris, Texas“ und „Himmel über Berlin“ waren klar. Die wollen die Leute sehen. Die brauchen keine Retrospektive. Aber wenn man so lange wie ich Filme macht, sind auch Filme dabei, die 20, 30, 40 Jahre alt sind. „Im Lauf der Zeit“ zum Beispiel, der an der deutsch-deutschen Grenze gedreht wurde. Es gerät in Vergessenheit, dass es die mal gab. Oder „In weiter Ferne, so nah“, der oft Fortsetzung von „Himmel über Berlin“ genannt wird. Ist er ja auch.

Für den Besuch in Essen haben Sie „Bis ans Ende der Welt“ gewählt. Warum?

„Bis ans Ende der Welt“ lief in einer stark gekürzten Fassung in den Kinos. Damit war ich sehr unglücklich. Als die Filmrechte wieder an mich fielen, habe ich die Originalfassung wieder hergestellt. Aufgrund seiner Länge braucht er Unterstützung durch meine Anwesenheit. „Alice in den Städten“, der auch teilweise im Ruhrgebiet gedreht wurde, gehört zu meinen Lieblingsfilmen. Es ist 50 Jahre her, seit ich ihn gedreht habe. Mit diesem Film habe ich mich als Regisseur definiert.

Läuft am 23. Juni in der Wim Wenders-Werkschau: „In weiter Ferne, so nah!“ von 1992/93 mit Nastassja Kinski. Der Film ist die Fortsetzung von „Himmel über Berlin“ und zeigt Berlin nach dem Mauerfall.
Läuft am 23. Juni in der Wim Wenders-Werkschau: „In weiter Ferne, so nah!“ von 1992/93 mit Nastassja Kinski. Der Film ist die Fortsetzung von „Himmel über Berlin“ und zeigt Berlin nach dem Mauerfall. © Wim Wenders Stiftung | Wim Wenders Stiftung

Wim Wenders über Schauspielerin Sandra Hüller und Künstlerfreundschaften

Sie haben mit herausragenden Schauspielern gearbeitet. Warum nie mit Sandra Hüller?

Ja, warum eigentlich nicht? Gute Frage. Sie ist eine der großen Schauspielerinnen ihrer Generation. Man kann sie nicht irgendetwas spielen lassen. Man braucht das richtige Projekt. Wir sind im Wort (er schmunzelt).

Sie sind ein ständig Reisender und mit einer Reihe von Künstlern befreundet: Anselm Kiefer, Wolfgang Niedecken, Peter Handke, Yohji Yamamoto. Wie pflegen Sie Freundschaften?

Manchmal halten Freundschaften, weil man sich nicht dauernd sieht. Manchmal reicht eine Karte oder ein Telefonat. Es sind Menschen, die auch viel reisen. Über Anselm zum Beispiel habe ich einen Film gemacht. Ich weiß aber nicht, wann ich ihn wiedersehe, wann ich wieder nach Frankreich komme.

Mit Marianne Menze, Chefin der Lichtburg und der Essener Filmkunsttheater, sind Sie seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden. Was macht sie besonders?

Es ist nicht unbedingt gegeben, dass man zu Kinobetreibern eine andauernde Beziehung hat. In Essen ist das gewachsen. Man merkt, wie sie dieses Kino pflegt, wie viel Mühe und Zuneigung sie hineinsteckt. Und die Lichtburg ist das einzige Kino, in dem ich einen Film gedreht habe („Viel passiert - Der BAP-Film“) und für das ich in den Stadtrat gezogen bin. Das braucht auch viel Vertrauen.

Geschafft: Marianne Menze und Wim Wenders in der Filmbar nach den Feierlichkeiten zum 90. Geburtstag der Essener Lichtburg.
Geschafft: Marianne Menze und Wim Wenders in der Filmbar nach den Feierlichkeiten zum 90. Geburtstag der Essener Lichtburg. © Lokales NRW - WES 6 | Vladimir Wegener

Wim Wenders über die Lichtburg und die Kinobetreiberin Marianne Menze

Worüber sprechen Sie, wenn sie sich treffen?

Ich frage sie, wie es ihr geht, wie sie klarkommt, ob ich etwas für sie tun kann. Für mich ist klar, dass ich meine Filme in Essen vorstelle. Für mich bedeutet Marianne Kontinuität. Jeder Abend, den ich hier bin, ist liebevoll durchgeführt. Ich hänge an der Lichtburg. Es ist jedes Mal offen und schön.

Wird Ihnen im fortschreitenden Alter das Reisen, die Arbeit nicht manchmal zu viel?

Ich arbeite gern. Ich kann nicht im Strandkorb sitzen und nichts tun. Ich langweile mich. Für mich ist Arbeit ein Lebenselixier. Ich bin bekennender Workaholic.

Ich habe gehört, es gibt ein neues Filmprojekt, „Peace by Peace“?

Frieden bewegt die Welt mehr und mehr. Mich hat der Film schon sehr beschäftigt. Meistens überlappen sich die Projekte. Er war als Dokumentarfilm gedacht, jetzt wird es ein szenischer Film. Es wird der erste Science-Fiction mit dokumentarischen Teilen.

Sie werden im kommenden Jahr 80. Werden Sie eine Autobiografie schreiben?

Das Schreiben braucht viel Zeit. In der Zeit könnte ich einen Film machen.

Wenders-Werkschau: Was noch kommt

Bis Dezember 2024 läuft die Wim Wenders-Werkschau. Noch sechs Filme sind im Eulenspiegel und in der Lichtburg zu sehen.

Mit dem Klassiker „Paris, Texas“ geht es am 13. Oktober, 17 Uhr) weiter. Es folgen u.a. „Am Ende der Gewalt“ (27.10.), „The Million Dollar Hotel“ (10.11.) und „Don‘t Come Knocking“ (15.12.).

Karten unter: https://filmspiegel-essen.de

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