Essen-Rüttenscheid. Das Dorint-Hotel in Rüttenscheid ist in ein Flüchtlingsheim umgewandelt worden, die meisten Bewohnerinnen kommen aus der Ukraine. Ein Besuch.

Optisch hat sich am ehemaligen Dorint-Hotel an der Müller-Breslau-Straße kaum etwas verändert. Doch ein massives Schild aus Metall zeigt an, dass der Hotelbetrieb hier längst Geschichte ist. „Behelfsunterkunft für Asylbewerber und Flüchtlinge“ steht darauf. Am Eingang wehen Banner des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Seit Anfang Dezember leben hier Geflüchtete aus verschiedenen Ländern. 35 sind es im Moment, die meisten von ihnen sind aus der Ukraine geflohen.

Eine von ihnen ist Tatjana. Sie ist 53 Jahre alt und stammt aus Buzova, einem Dorf unweit von Kiew. „Germany, I love you. Thank you“, ruft sie uns entgegen, als sie Reporterin und Fotografen in der Hotellobby entdeckt. Ihr Englisch reicht nur für ein paar Brocken, doch sie tippt mit schnellen Fingern ukrainische Worte in ihre Übersetzungsapp. Mit diesen Apps arbeiten sie viel in der Flüchtlingsunterkunft, einen eigenen Übersetzer gibt es nicht, doch eine DRK-Mitarbeiterin spricht Russisch. Tatjana erzählt uns, dass sie in Buzova belagert worden seien.

Mit Panzern und Gewehren hätten die Russen sie angegriffen, dann auch aus der Luft beschossen. Nachdem sie sich erst im Keller ihres Hauses versteckt habe, sei sie während einer kurzen Feuerpause in den Luftschutzkeller der nahegelegen Schule gelaufen. Ähnliches ist Vitalij (53) aus Cherson widerfahren. „Ich habe erlebt, wie Granaten über meinen Kopf geflogen sind“, sagt er auf Ukrainisch. In der Unterkunft in Rüttenscheid fühle er sich wohl. „Alles wunderbar, gutes Essen, gute Einstellungen“, spuckt seine Übersetzungsapp aus.

Die Einrichtung des Rüttenscheider Dorint-Hotels ist geblieben, auch nachdem der letzte Hotelgast das Haus verlassen hat. So konnte das DRK hier schnell den Betrieb aufnehmen.
Die Einrichtung des Rüttenscheider Dorint-Hotels ist geblieben, auch nachdem der letzte Hotelgast das Haus verlassen hat. So konnte das DRK hier schnell den Betrieb aufnehmen. © FUNKE Foto Services | Janina Abendroth

Essener DRK ist Träger des Flüchtlingsheims in Rüttenscheid

Ende November hatte das DRK den Zuschlag für den Betrieb der Flüchtlingsunterkunft an der Müller-Breslau-Straße bekommen. Die Organisation hat bereits die Trägerschaft des Geflüchtetenheims im ehemaligen St. Vincenz-Krankenhaus in Stoppenberg inne. Im früheren Dorint-Hotel fanden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ideale Verhältnisse vor, um den Betrieb schnell ans Laufen zu bringen. So standen fertig eingerichtete, mit Schlüsselkarten abschließbare Zimmer, ein Frühstücksraum und ein Aufenthaltsraum mit Sofas zur Verfügung. „Wir mussten uns eigentlich nur um Kleinigkeiten kümmern“, sagt Malte-Bo Lueg, Abteilungsleiter beim DRK. Zum Beispiel darum, wo die Waschmaschinen stehen sollen, oder wie man Familien am besten gemeinsam unterbringt.

Julia Pohl ist die stellvertretende Leiterin des Flüchtlingsheims im ehemaligen Rüttenscheider Dorint-Hotel. Sie sagt: „Die Bewohner helfen sich gegenseitig und bauen sich auf.“
Julia Pohl ist die stellvertretende Leiterin des Flüchtlingsheims im ehemaligen Rüttenscheider Dorint-Hotel. Sie sagt: „Die Bewohner helfen sich gegenseitig und bauen sich auf.“ © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Insgesamt hat das Hotel Kapazitäten für 200 Menschen. Die 35, die bisher dort leben, kommen zu einem Großteil aus der Ukraine. Aber auch einzelne Geflüchtete aus dem Iran, dem Irak, Georgien und Mazedonien haben ein Zuhause auf Zeit in dem Heim gefunden. „Zu 70 Prozent leben hier Frauen“, erklärt DRK-Mitarbeiterin Julia Pohl, stellvertretende Leiterin des Flüchtlingsheims.

Das liege daran, dass viele Ukrainerinnen ohne ihre Männer und teils auch ohne ihre schon volljährigen Söhne kamen, die bleiben und kämpfen mussten. „Sie registrieren sich bei der Stadt und die weist sie dann einer Unterkunft zu“, erklärt Pohl den Ablauf. Manchmal komme es auch vor, dass Geflüchtete in Rüttenscheid strandeten, nachdem das Sozialamt schon geschlossen habe. Für sie fungiere das Heim dann zunächst als Notunterkunft.

DRK-Team erlebt bewegende Momente in Rüttenscheider Flüchtlingsheim

In der Einrichtung hat sich eine Gemeinschaft gebildet. „An Silvester haben die Bewohner im Aufenthaltsraum zusammen gefeiert“, sagt Julia Pohl zum Beispiel. Sie zeigten außerdem großes Interesse daran, im Haus zu helfen. Gemeinsam mit Ehrenamtlichen hätten sie eine kleine Kleiderkammer im Nebengebäude eingerichtet. Dort stapeln sich nun Pullover und Jeans in Regalen, hängen Blusen und Jacken auf Kleiderstangen, an der Wand ist ein großer Spiegel befestigt. Pohl beobachtet außerdem: „Die Bewohner helfen sich gegenseitig und bauen sich auf.“ Erst vor kurzem habe eine Geflüchtete der anderen gut zugeredet, weil diese Sorge vor einem bevorstehenden Krankenhausaufenthalt hatte.

Die Kleiderkammer in der neuen Rüttenscheider Flüchtlingsunterkunft haben die Geflüchteten selbst gemeinsam mit ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern eingerichtet.
Die Kleiderkammer in der neuen Rüttenscheider Flüchtlingsunterkunft haben die Geflüchteten selbst gemeinsam mit ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern eingerichtet. © FUNKE Foto Services | FUNKE Foto Services

Rund 7300 Geflüchtete aus der Ukraine in Essen

In Essen sind nach Angaben der Stadt seit März 2022 insgesamt rund 7300 Menschen aus der Ukraine angekommen, die die Servicestelle Flüchtlinge im Amt für Soziales und Wohnen aufgesucht haben.4761 Menschen sind laut Stadt zunächst bei Freunden und Verwandten untergekommen, 1494 in städtischen Einrichtungen sowie 849 in Landeseinrichtungen. 193 Menschen mussten zwischenzeitlich in Hotels untergebracht werden. Das Dorint-Hotel in Rüttenscheid zählt in diesem Zusammenhang zu den städtischen Einrichtungen. In der Servicestelle Flüchtlinge sind 78 Kinder unter einem Jahr gemeldet, 205 ein- bis zweijährige Kinder, 378 Drei- bis Fünfjährige, 729 sechs- bis zehnjährige Kinder, 781 Elf- bis 15-Jährige und 310 16- bis 17-Jährige.

Regelmäßig erlebt das DRK-Team bewegende Momente. „Gestern kam eine Dame Mitte 50 zu mir und zeigte mir Bilder von ihrem Sohn in Uniform. Es war sein 33. Geburtstag, im Moment ist er an der Front. Da hat sie einige Tränen vergossen“, erzählt Pohl. Zur Betreuung der Geflüchteten ist unter anderem ein Sozialarbeiter vor Ort. Für die ganz jungen Geflüchteten versucht man gerade, Termine beim Kinderpsychologen zu organisieren. Pohls Erfahrung: Viele haben das Bedürfnis, über ihre Erlebnisse zu sprechen – und wünschten sich jemanden, der zuhört.

So geht es auch Tatjana aus Buzova. Auf Youtube zeigt sie uns Videos aus dem ukrainischen Fernsehen. Bilder, die die Zerstörung in ihrem Heimatdorf zeigen. „House“, sagt sie und deutet dann auf sich selbst. Im Video ist ihr Haus zu sehen, das von Geschossen getroffen worden ist. Sie schluckt, hält sich die zitternde Hand vor den Mund und kämpft sichtlich mit den Tränen. „No house“, sagt sie dann, und es ist klar, was das bedeuten soll: Den Ort, an dem sie gelebt hat, gibt es nicht mehr.