Essen. Ein Millionenzuschuss ist bewilligt und mit der St. Augustinus-Gruppe auch ein Träger gefunden: Im Juli läuft das Projekt im alten Vincenz an.
Bald drei Jahre ist es her, dass in Altenessen erst der Traum von einer hochmodernen Großklinik mit gut 700 Betten platzte – und anschließend gleich zwei Krankenhäuser auf einen Streich die Pforten schlossen: Tabula Rasa in der Krankenhaus-Landschaft des Essener Nordens, wo man sich trotz aller Wut, trotz Demos, Bürgerbegehren und hitzigen Polit-Debatten am Ende ins Schicksal fügte. Jetzt aber sprießt aus der von Klinik-Betreiber Contilia hinterlassenen verbrannten Erde ein neues Pflänzchen: Für die versprochene Stadtteil-Klinik sind Geldgeber und auch ein Träger gefunden, im Juli soll’s losgehen.
Noch ein letztes Mal abhängig von Contilia
Bedingung für den Start der Stadtteilklinik ist natürlich, dass der Komplex des alten St. Vincenz-Krankenhauses in Stoppenberg zur Verfügung steht.
Die Verhandlungen der Stadt, dem Klinikbetreiber Contilia den Bau abzukaufen, sind inzwischen abgeschlossen, der Preis steht fest.
Umgesetzt wird der Kauf aber erst, wenn Contilia den Förderbescheid zur Teil-Erneuerung des Philippusstiftes in Borbeck in Händen hält. Damit sei, heißt es im Rathaus, in den nächsten Wochen zu rechnen.
Beginnen wird die Arbeit voraussichtlich im alten Backstein-Bau. Zu einem späteren Zeitpunkt wird auf dem Areal ein Umzug erforderlich, denn auf lange Sicht soll das über 22.000 Quadratmeter große Gelände in Gänze einem Neubau-Quartier weichen.
Es ist der Startschuss für eine Klinik, die keine Klinik ist oder vielleicht irgendwie doch, jedenfalls ein bisschen: Wer da nicht mehr mitkommt, muss sich nicht grämen, es geht vielen Beteiligten so, weil mit den Plänen für den roten Backstein-Bau des ehemaligen St. Vincenz-Krankenhauses in Stoppenberg gesundheitspolitisches Neuland betreten wird. Wo das passiert, sind Fördergeber nicht weit und ein unaussprechliches Wortmonstrum: Entstehen soll ein „integriertes sektorenübergreifendes Gesundheitszentrum“.
Vier Jahre Geld für eine Einrichtung, der bislang einfach die Kostenstellen fehlen
Was übersetzt heißt: Im Schatten der Stiftskirche lässt sich künftig besichtigen, wie die Gesundheitsversorgung der Zukunft aussehen könnte: ambulant, so weit wie es geht, mit einer Vielzahl von (Fach-)Arztpraxen, die bei Bedarf für kleinere chirurgische Eingriffe auf einen Klinik-Trakt zugreifen können. Dazu eine Notfall-Versorgung, eine Apotheke und ein Sanitätshaus, pflegerische Angebote und begleitender Service von der Physiotherapie bis zu „Flying Nurses“, die für Patientenbetreuung und Datenmanagement zuständig sind. Denn die digitale Welt erobert zunehmend die Gesundheitsversorgung.
Um zu erkunden, wie sich dieses Zusammenspiel zwischen ambulanter und stationärer Versorgung verbessern lässt, gibt es vom Innovationsausschuss der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen jetzt Geld. Über elf Millionen Euro fließen für sechs Standorte, Essen ist einer davon und darf mit einem Millionenbetrag rechnen. Der sichert für knapp vier Jahre den Betrieb einer Einrichtung, für die im klassischen Abrechnungssystem bis dato die Kostenstellen fehlen.
Partner mit Expertise: ein Gesundheits-Konzern mit 343 Millionen Euro Umsatz
Fast eine Art „Experiment“ also, ambulante und stationäre Angebote „unter einem Dach zum Gelingen zu bringen“, und genau daran wollen Susanne Minten und Hendrik Nordholt das Ihre dazu beitragen: Sie gehören der Geschäftsführung der St. Augustinus Gelsenkirchen GmbH an, einem katholischen Gesundheits-Konzern aus der Nachbarstadt mit 30 Standorten, von der Klinik über Kitas bis zum Seniorenzentrum, und einem Jahresumsatz von 343 Millionen Euro.
Es ist dies der erhoffte kompetente Partner, der mit großer Sachkenntnis und dem nötigen Strukturen im Hintergrund als Hauptträger der Stoppenberger Stadtteilklinik auftritt. Zwar will auch die Stadt in der Betreiber-Gesellschaft mitmischen, allerdings nur als Minderheitsgesellschafter mit Sperrminorität.
„Wohnortnah“ heißt die Devise – und Doppelstrukturen sollen vermieden werden
Bei der Präsentation der gemeinsamen Partnerschaft am Freitag passte zwischen Sozialdezernent Peter Renzel und den Augustinus-Chefs kein Blatt Papier: „Wohnortnah“ agieren, heißt die Devise, keine Doppelstrukturen aufbauen, möglichst viele vorhandene Akteure, etwa die niedergelassenen Allgemein- und Fachmediziner im Norden, vernetzen, statt aufwendig neue anzusiedeln. Oder wie Oberbürgermeister Thomas Kufen es formulierte: „Es bringt doch nichts, den einen Kinderarzt durch den anderen zu ersetzen, und nur die Abrechnungsstelle liegt dann woanders“.
Unterm Strich soll ein Plus an medizinischer Versorgung dabei herauskommen. Und da sind die jetzt geplanten bis zu 30 vollstationären Krankenhausbetten immerhin 30 mehr als seit jenem Tag, da St. Vincenz in Stoppenberg und Marienhospital in Altenessen schlossen. Wahr ist allerdings auch: Die Klinikbetten sind nur für Kurzzeit-Aufenthalte von ein, zwei Tagen gedacht. Man will keine Konkurrenz zu anderen Kliniken aufbauen, schon gar keine Hochleistungsmedizin anbieten.
Eine Klinik nur für „halbe“ Notfälle, auch um andere Krankenhäuser zu entlasten
Sondern unter anderem die Notaufnahmen der klassischen Kliniken entlasten, denn oft handelt es sich bei den Patienten nur um „halbe“ Notfälle: Will der Arzt kurzfristig nicht verfügbar war, suchen sie den Weg ins Hospital, müssen dort aber ohne dramatische Diagnosen besonders lange Wartezeiten in Kauf nehmen.
Auch so gesehen schließt sich eine Lücke. Und für Sozialdezernent Renzel fügt sich das Vorhaben passgenau ins Puzzle der künftigen Gesundheitsversorgung im Norden der Stadt – zusammen unter anderem mit den beiden Gesundheitskiosken in Altenessen und Katernberg und dem geplanten Kindergesundheitszentrum im einstigen Marienhospital. Im Februar soll der Stadtrat die Pläne und die Partnerschaft absegnen, im Juli geht’s los.
Nach der Klinik ist vor der Klinik.