Essen-Werden. Das Gymnasium Essen-Werden ist zum KZ Auschwitz-Birkenau gereist. Über Eindrücke der Schüler und warum sie zu „Zweitzeugen“ werden.

Bei einem Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau im heutigen Polen hatte der Abiturjahrgang des Gymnasiums in Essen-Werden im Januar Gelegenheit, Zeitzeuginnen zum Nationalsozialismus zu befragen. Einige Wochen später hat unsere Redaktion mit den Schülerinnen und Schülern sowie Projektleiter Dominik Krister (45), Geschichtslehrer und Oberstufenkoordinator, über die gemachten Erfahrungen gesprochen.

Krister leitet das Projekt mit dem Kollegium seit zehn Jahren. Und das nach eigenen Angaben mit Erfolg. 120 Schüler und Schülerinnen der Oberstufe hatten sich diesmal für die alljährliche Fahrt angemeldet und wurden von sechs Lehrern und Lehrerinnen begleitet. „Die Fahrt ermöglicht den Kindern und Jugendlichen, sich nicht nur aus Geschichtsbüchern ein Bild über den Holocaust zu machen. Sie können viel näher erfahren, wie das Leben zu der Zeit gewesen sein muss“, berichtet Krister zur Zielsetzung.

Cristiana (19) ist mitgefahren. Sie und ihre Mitschüler finden, dass die Fahrt nicht nur bloße Theorie wie im Unterricht sei, sondern man praxisnäher lernen können. „Es wird alles viel greifbarer“, erklärt sie.

Essener Schüler besuchen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau

Während der Fahrt waren die Schüler in der polnischen Stadt Oświęcim untergebracht, ganz in der Nähe zum Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Zur Vorbereitung auf die Exkursion haben die Jugendlichen den Film „Schindlers Liste“ geschaut. Danach besuchten sie gemeinsam das Stammlager.

Essener Schüler werden zu „Zweitzeugen“

Rund um den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz veranstaltete das Gymnasium Aktionen, um an die schrecklichen Ereignisse dieser Zeit zu erinnern und dem Vergessen entgegenzuwirken.Es wurde u.a. eine symbolische Klagemauer errichtet, an der die Schüler Gebete und Segenswünsche anbringen konnten. Außerdem hielt die Schule geschlossen eine Schweigeminute ab.Die Daten der seit 2004 in den Schulhof eingelassenen Stolpersteine, die an die Schicksale von drei Ehemaligen des Gymnasiums Essen-Werden erinnern, wurden außerdem aktualisiert und die Steine neu verlegt.Einen Besuch im Düsseldorfer Landtag absolvierte zudem die Klasse 9D des Gymnasiums. Die Schülerinnen und Schüler sahen sich eine Ausstellung des Vereins „Zweitzeugen“ an.

„Ich hatte die Größe des Konzentrationslagers total unterschätzt. Es war wie in einem Labyrinth“, berichtet Alexia (19). „An dem Tag, an dem wir da waren, hat die Sonne geschienen. Das war ein derber Kontrast und hat mir zu denken gegeben. Die Opfer des Holocausts hätten die Sonne nicht genießen können“, schildert Clara (17).

Zeitzeuginnen Goldwasser und Maksymowicz erzählen vom Holocaust

Olivia (17) sagt, dass sie sich im Lager eher wie in einem Museum gefühlt habe und das Schicksal der Menschen dort wenig greifbar gewesen sei. Jedoch hätte sich dies geändert, als die jungen Menschen auf die zwei Zeitzeuginnen Lidia Maksymowicz und Monika Goldwasser in Krakau trafen.

Julius (19) berichtet, dass Lidia Maksymowicz Opfer von Josef Mengele geworden sei, einem Arzt, der Experimente an KZ-Insassen vollzog: „Sie beschrieb ihre Angst vor dem Doktor sehr anschaulich. Daher schwappte die Stimmung auch zu uns herüber: Alle waren ruhig.“

„Viele von uns mussten weinen, als Maksymowicz erzählte, dass sie von ihrer Mutter getrennt wurde und sie erst viele Jahr später wieder traf. Die Erzählung vom Wiedersehen hat uns alle berührt“, verrät Clara unserer Redaktion.

Leni (18) traf auf die Zeitzeugin Monika Goldwasser und erzählt, dass diese als junges Mädchen nach Auschwitz gekommen sei und einen Identitätsverlust erlebt habe. „Sie wurde komplett ihrem Umfeld entrissen“, weiß Krister.

Die Schüler des Gymnasiums Essen-Werden befragten die Zeitzeugin Monika Goldwasser zum Nationalsozialismus und ihren Erlebnissen im Konzentrationslager.
Die Schüler des Gymnasiums Essen-Werden befragten die Zeitzeugin Monika Goldwasser zum Nationalsozialismus und ihren Erlebnissen im Konzentrationslager. © Unbekannt | Alexandra Gollan

Das Gymnasium Essen-Werden setzt sich mit der NS-Zeit auseinander

Der Lehrer sehe sich in der Verantwortung, die Jugendlichen aufzuklären: „Wir haben einen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Dazu gehört auch, dass wir den Jugendlichen die Verantwortung unserer Erbschuld näherbringen, uns mit dem Holocaust befassen und selbst zu Zeitzeugen werden.“ Das Werdener Gymnasium betitelt seine Schüler auf der Homepage daher als „Zweitzeugen“. „Es ist wichtig, dass die Schüler selbst zu Zeugen werden“, sagt Krister, „besonders, weil viele Menschen immer noch den Holocaust leugnen. Die Schülerinnen und Schüler sollen das Erlebte nach Außen tragen.“

Die Schüler wurden mit ihren Gedanken nach den Erlebnissen aber nicht alleine gelassen. Die Schule habe viel nachbereitet und mit den Schülern intensiv gesprochen. Clara sagt: „Die Chance dieses Programm begleitet zu erleben, bekommt nicht jeder.“

Lidia Maksymowicz schildert ihre Sicht vom Nationalsozialismus

Nach der Führung durch das Konzentrationslager wurden Workshops seitens der Lehrer zu verschiedenen Themen angeboten. Darunter: Medizinische Experimente im Nationalsozialismus, Täter und Täterinnen des Holocausts, Kinder und Jugendliche in der NS-Zeit und einen Workshop zur Kunst von Maler Marian Kołodziej. Er verarbeitet seine Eindrücke als Ex-KZ-Häftling in seinen Bildern. Auch die jüdische Kultur hätten die Schüler durch Guides kennengelernt.

Die Frage, ob die Schüler und Schülerinnen noch nach der Fahrt über das Gesehene und Erlebte sprechen, bejahen sie. „Während der Fahrt war ich wie in einer Blase, doch heute erzähle ich von der Zeitzeugin und ihren Eindrücken, wenn es um die NS-Zeit geht“, sagt Alexia. Großen Respekt zollen die Jugendlichen der Aussage von Lidia Maksymowicz: Sie verspüre gegenüber des Nazi-Regimes keinen Hass, denn aus Hass würde alles Böse entstehen.