Essen. Wie die neue IHK-Chefin Kerstin Groß strittige Themen wie Gewerbegebiete und Verkehr angehen will. Auch zur Ausbildung hat sie neue Ideen.
Kerstin Groß ist seit Oktober die neue Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer zu Essen. Im Gespräch mit Janet Lindgens erzählt die 45-Jährige, was Sie innerhalb der Kammer verändern will und wie sie wichtige Themen wie Ausbildung, Verkehr und Gewerbeansiedlungen vorantreiben will.
Frau Groß, Sie wohnen mit Ihrer Familie in Wanne-Eickel haben aber Essener Wurzeln.
Stimmt. Ich bin auf der Margarethenhöhe aufgewachsen und ins B.M.V.-Gymnasium gegangen.
Als Sie jetzt beruflich nach Essen zurückgekehrt sind, was haben Sie vorgefunden?
Eine gut organisierte IHK, deren Arbeit von einer wirklich guten Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamt geprägt ist.
Das heißt, es gibt für Sie nichts zu tun?
Das will ich damit nicht sagen. Denn die IHK zu Essen steckt in einem demografischen Umbruch. Mit meinem Vorgänger Gerald Püchel sind drei weitere Geschäftsführer bzw. Geschäftsführerinnen altersbedingt ausgeschieden. Ich denke, das bietet die Chance, für Veränderung. Ich möchte weg von einer hierarchischen Führung hin zu einer neuen Führungskultur. Ich glaube, dass wir uns mit Blick auf New Work und Digitalisierung da weiter entwickeln müssen. Die Mitarbeiter sollen mehr Eigenverantwortung bekommen.
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Industrie- und Handelskammern gelten bislang ja nicht gerade als Treiber von Veränderung, haben im Gegenteil eher ein angestaubtes Image. Wie wollen Sie das verändern?
Wir müssen stärker als Partner der Unternehmen agieren und als IHK viel sichtbarer werden. Ich möchte, dass wir ein offenes, einladendes Haus sind und die erste Anlaufstelle werden, wenn es um Fragen und Anliegen der Unternehmen geht. Nur so wird sich das verstaubte Image, das der IHK nachgesagt wird, auflösen. Aber mir ist auch bewusst, dass das nicht so schnell gehen wird.
Sie sind kein IHK-Gewächs, haben in ihrer Berufslaufbahn auch Tätigkeiten außerhalb der Organisation gehabt. Hilft das bei solchen Veränderungsprozessen?
Sagen wir es so: Ich versuche, mir den Blick von außen zu erhalten.
Was viele Kammern umtreibt, ist das Thema duale Ausbildung. Die steckt in der Krise. Auch in Essen bilden immer weniger Unternehmen aus. Muss die IHK ihre Mitglieder da nicht mehr in die Pflicht nehmen?
Erstmal möchte ich weg vom Appellhaften, nach dem Motto „Jetzt muss die Wirtschaft ran“. Viele Unternehmen engagieren sich stark in der Ausbildung, allein im eigenen Interesse, um sich die Fachkräfte von morgen zu sichern. Aber ich will auch nicht leugnen, dass wir mehr tun müssen, um eine Ausbildung für die Unternehmen wieder attraktiver zu machen. Zum Beispiel müssen Ausbildungsverordnungen so angepasst werden, dass sie zum Bedarf der Betriebe passen.
Viele Lehrstellen bleiben unbesetzt, weil Unternehmen sagen, dass sie nicht den passenden Azubi finden. Sozialdezernent Peter Renzel ist jedoch davon überzeugt, dass es keine jungen Menschen gibt, die nicht ausbildungsreif sind, wie er kürzlich sagte. Ist die Wirtschaft einfach zu wählerisch?
Wir wollen die Besten der Besten. Ich finde, das muss man als Wirtschaft sagen dürfen.
Viele junge Leute gehen aber lieber an die Uni als in einen Lehrbetrieb. Wie kann man das verändern?
Wenn es um die Frage geht, warum die duale Ausbildung bei den jungen Leuten verliert, dann stochern wir häufig im Nebel. So selbstkritisch muss man sein. Das heißt aber nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen. Deshalb werden wir einen Versuch starten, um Jugendliche besser als bisher zu erreichen. Wir planen zusammen mit Partnern einen Pop-up-Store Ausbildung in der Innenstadt. Dafür wollen wir ein leerstehendes Ladenlokal auf Zeit anmieten und dort eine Anlaufstelle für alle Fragen rund um Ausbildung anbieten. Für mich ist das im Übrigen auch ein Beitrag um den Wandel der Innenstadt voranzutreiben, die mit Leerständen zu kämpfen hat.
Wo und wann soll der „Ausbildungsladen“ starten?
Er soll im Limbecker Platz entstehen, ein Eröffnungstermin steht jedoch noch nicht fest.
Ein Thema, für das die IHK in der Vergangenheit vehement gekämpft hat, ist die Ausweisung von mehr Gewerbeflächen in Essen. Allerdings mit wenig Erfolg. Werden Sie dennoch die Diskussion wieder aufnehmen oder kapitulieren Sie?
Dass wir mehr Gewerbeflächen brauchen, ist unstrittig und wird daher auch für mich ein umtriebiges Thema bleiben. Wir müssen dabei endlich die alten Bilder zur Seite schieben. Wenn wir heute von Industrie- und Gewerbeansiedlungen sprechen, dann entsteht keine neue Zeche oder kein neues Stahlwerk, sondern wir reden über Industrie 4.0 oder Urban Manufacturing, also über eine saubere, stadtnahe Produktion. Ich möchte gerne den Dialog dazu aufnehmen. Häufig höre ich Worte wie: Wir wollen keine toten Gewerbegebiete. Das ist aus meiner Sicht eine ideologisch veraltete Sichtweise. Denn es gibt keine toten Gewerbegebiete.
Beim wichtigen Punkt Verkehr hat Ihr Vorgänger stets den Weiterbau der A52 thematisiert, obwohl viele dies für nicht durchsetzbar halten. Bleiben Sie auch an dem Thema so konsequent dran?
Im Sinne der Interessenvertretung für die Mitgliedsunternehmen erarbeiten die Mitglieder der Vollversammlung Positionen für die Wirtschaft, mit denen wir arbeiten und sprachfähig sind. Diese Position liegt für die A 52 vor und wird von uns entsprechend vertreten.
Ihr jüngster Appell zur Verkehrspolitik auf der Rüttenscheider Straße – Stichwort Fahrradstraße – hat durchaus für Aufsehen gesorgt. Warum war Ihnen das wichtig?
Die lokale Wirtschaft trägt einen erheblichen Teil für den Standort bei – das wurde uns bislang zu wenig wahrgenommen. Wir werden unsere Mitgliedsunternehmen an der Rüttenscheider befragen und die Ergebnisse in den weiteren Prozess einbringen. Es ist uns auch bewusst, dass die Fahrradmobilität einen wichtigen Beitrag zur Mobilitätswende und zum Klimaschutz beiträgt – daher wird es auch einen verträglichen Mix ankommen.
Beruflicher Werdegang
Kerstin Groß ist 45 Jahre alt, verheiratet, und Mutter einer 14-jährigen Tochter. Die gebürtige Essenerin lebt mit ihrer Familie in Wanne-Eickel. Nach dem Abi an der B.M.V.-Schule studierte sie in Dortmund Raumplanung und war danach in der Interkommunalen Gesellschaft Last Mile Logistic Herne-Gelsenkirchen-Herten tätig. 2011 wechselte sie zur IHK Mittleres Ruhrgebiet nach Bochum. Zuletzt war sie dort stellvertretende Hauptgeschäftsführerin und unter anderem für die Themen Ausbildung, Weiterbildung, Personal und Organisation verantwortlich.
Man könnte dies auch als Warnung verstanden wissen: Bitte keine Experimente zu Lasten des Autoverkehrs. Manche würden sagen: Da ist wieder die tradierte Haltung der IHK.
Nein, dem ist nicht so. Der Klimaschutz und die Mobilitätswende beschäftigen uns als IHK genauso wie die Standortqualität einzelner Stadtteile. Die Rüttenscheider Straße ist das Herz des gesamten Stadtviertels und Mobilität ist ihr Antrieb. Diese muss für alle Verkehrsteilnehmer gleichermaßen möglich sein – mit Blick auf das Gewerbe, die Dienstleistungen und die Anwohnerinnen sowie Anwohner vor Ort.