Essen-Südostviertel. Die jüdische Familie Rosenberger wurde von den Nazis deportiert, Sohn Max wegen seiner Homosexualität verhaftet. Das ist ihre Geschichte.

Rolf Kubanek tritt vor seine Haustür im Südostviertel und stutzt. Was tun all‘ die Leute hier, was die Arbeiter? Erst scherzt der 75-Jährige noch: „Wollt ihr einen neuen Schacht abteufen?“ Als er jedoch den Grund erfährt, wird er ernst: „Das finde ich sehr gut, dass hier Menschen gedacht wird, die durch die Nazis zu Tode kamen. Die hier gewohnt haben. Ich hatte ja keine Ahnung. Das berührt mich persönlich.“ Die Stolperstein-Aktion des Künstlers Günter Demnig gilt der Opfer der NS-Zeit.

Nun erinnern drei dieser ins Pflaster eingelassenen Gedenksteine an das Schicksal der jüdischen Familie Isidor, Else und Max Rosenberger. Das Haus Michaelstraße 28 war ihr letzter freigewählter Wohnort. Paten des Gedenkens sind Nathalie Berude-Scott, Bonzo O. Mondorf und die LSBTI-Gruppe in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Rosenberger ist ehemaliger Schüler des Essener Helmholtz-Gymnasiums

Wolfgang Berude vom Arbeitskreis Schwule Geschichte wirkt äußerlich gefasst. Er forscht seit den 1990er Jahren zur Verfolgungs- und Emanzipationsgeschichte gleichgeschlechtlich Liebender in Essen. Vor 80 Jahren wurden tausende jüdische Bürger Essens in die Vernichtungslager geschickt. Aber auch Homosexuelle wurden von den Nazis ermordet. Berude hat minuziös nachgeforscht über Max Rosenberger, ehemaliger Schüler des Helmholtz-Realgymnasiums.

Die neuen Stolpersteine befinden sich vor dem Haus Michaelstraße 28 im Essener Südostviertel.
Die neuen Stolpersteine befinden sich vor dem Haus Michaelstraße 28 im Essener Südostviertel. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Von 1929 an studierte er in Oxford, London und Paris Sprach- und Zeitungswissenschaft, betätigte sich dann als Sprachlehrer und Sportjournalist. Rosenberger wurde Opfer der „Aktion gegen Homosexuelle“. Am 17. März 1937 verurteilte das Landgericht Essen den 26-Jährigen wegen „versuchten Verbrechens nach Paragraf 175a“. Seit 1872 standen sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Die Nationalsozialisten verschärften die Haftstrafen drastisch und rechtfertigten dies mit „Interesse an der sittlichen Gesunderhaltung des Volkes“.

Jüngste Tochter der Essener Familie schaffte es in die USA

Die Bundesrepublik Deutschland hielt noch lange an den verschärften Fassungen aus der NS-Zeit fest, der Paragraf wurde erst 1994 gestrichen. Das lässt Rolf Fliß den Kopf schütteln: „Ich kann es nicht fassen. Dafür wurde man weggesperrt? Dafür wurde Max Rosenberger umgebracht?“ Der dritte Bürgermeister der Stadt Essen ist erschüttert. Nur aufgrund von Denunziation wurde Rosenberger verhaftet. Zweimal scheiterte seine geplante Flucht vor den Nazischergen.

Vater Isidor versuchte verzweifelt, wenigstens seine Kinder zu retten. Tochter Ilse schaffte es 1937 in die USA. Sie wurde amerikanische Staatsbürgerin und heiratete Otto Parker, einen Emigranten aus Wien. Aus dieser Ehe ging eine Tochter hervor (leider konnte Wolfgang Berude keinen Kontakt zu dieser Nichte und Enkelin herstellen). Da Max als vorbestraft galt, war eine Einreise in die USA nicht mehr möglich.

Erinnern gemeinsam an das Schicksal der Essener Familie Rosenberger: Birgit Hartings (Beauftragte für die Stolpersteine), Claudia Kauertz (Leiterin des Stadtarchiv), Bürgermeister Rolf Fliß und Wolfgang Berude vom Arbeitskreis Schwule Geschichte Essen/Ruhrgebiet (v.l.).
Erinnern gemeinsam an das Schicksal der Essener Familie Rosenberger: Birgit Hartings (Beauftragte für die Stolpersteine), Claudia Kauertz (Leiterin des Stadtarchiv), Bürgermeister Rolf Fliß und Wolfgang Berude vom Arbeitskreis Schwule Geschichte Essen/Ruhrgebiet (v.l.). © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Amtsgericht Essen: Mangels Nachweisen kann keine Sterbeurkunde ausgestellt werden

Isidor Rosenberger versuchte es weiter. Vom französischen Cherbourg aus sollte ein Schiff Sohn Max nach Mexiko bringen. Die Passagekosten von 500 Reichsmark wurden hinterlegt. Die MS „Orinoco“ fuhr auch wirklich los am 2. Oktober 1938. Doch ohne Max Rosenberger, der erst am 17. Dezember aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen entlassen wurde. Dort hatte er, versehen mit der Häftlings-Nummer 5084, im Steinbruch arbeiten müssen. Nach erneuter Denunziation zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, stand am 11. September 1942 eigentlich seine Entlassung an. Doch als letztes Lebenszeichen von Max Rosenberger ist nur dokumentiert, dass er an diesem Tag nachts um drei Uhr wieder nach Sachsenhausen deportiert wurde.

Ilse Parker forschte ihrem Bruder nach und bekam 1958 vom Amtsgericht Essen den lakonischen Hinweis, dass man mangels Nachweisen keine Sterbeurkunde ausstellen könne. Max Rosenbergers genaues Schicksal bleibt ungeklärt, jedoch teilte 1944 die Gestapo-Leitstelle Düsseldorf mit, dass „der Obengenannte im Zuchthaus in Münster/Westfalen verstorben ist“.

Die Eltern hatten unter massivem Druck der Gestapo ihre Wohnung in der Michaelstraße verlassen müssen und wurden in ein „Judenhaus“ in der Kastanienallee 80 eingepfercht. Am 22. April 1942 wurden Isidor und Else Rosenberger im Sonderzug „Da 52“ in das Durchgangsghetto Izbica verbracht, von da ins Vernichtungslager. Keiner der Deportierten dieses Transports überlebte.

Ausstellungen im Essener Stadtarchiv

  • An Max Rosenberger und Mitschüler erinnert das Schulprojekt „Aus Geschichte lernen - Essener Helmholtz-Gymnasium - Revisited!“. Es ist bis zum 6. August im Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv am Ernst-Schmidt-Platz 1 zu sehen.
  • Auch bis zum 6. August läuft dort die Ausstellung „Come out, Essen! 100 Jahre lesbisch-schwule Emanzipation in Essen“ mit Oberbürgermeister Thomas Kufen als Schirmherrn.
  • Am Donnerstag, 4. August, wird Wolfgang Berude ab 18 Uhr entgeltfrei durch beide Ausstellungen führen. Voranmeldungen bis zum 1. August werden per E-Mail unter hdeg@essen.de erbeten.