Essen. Messechef Oliver P. Kuhrt über die schwierige Lage der Branche, mögliche Impf-Pflicht für Besucher und warum er dennoch weiter an Messen glaubt.

Wie alle Branchen, deren Geschäft das Zusammenführen vieler Menschen ist, leidet auch die Messe-Branche extrem unter der Corona-Krise. Da die Messe-Gesellschaften zumeist in kommunalem Eigentum sind, ist das auch für die städtischen Haushalte eine Herausforderung. Ein Gespräch mit Oliver P. Kuhrt, seit 2014 Geschäftsführer der Messe Essen.

Herr Kuhrt, der Umbau und die Sanierung der Messe Essen waren gerade fertig, dann kam Corona und änderte alles. Wird das Geschäftsmodell Messe sich davon überhaupt jemals erholen?

Die Gefahr, dass pandemiebedingt abgesagte Messen ganz vom Markt verschwinden, sehe ich nicht. Eher das Gegenteil ist der Fall. Die Resonanz unserer Kunden zeigt uns, wie groß der Bedarf an der Kommunikationsplattform Messe und dem persönlichen Austausch für den Vertriebserfolg ist – und zwar unabhängig vom Industriezweig. Wir haben auch die historische Erfahrung auf unserer Seite.

Was meinen Sie damit?

Messen haben nach Krisen und sogar nach verheerenden Kriegen immer besonders floriert, weil sie für den Neuanfang der Wirtschaft dringend als Treiber gebraucht werden. Ich bin sehr optimistisch, dass das erneut geschieht, sobald wir das Virus soweit im Griff haben, dass Veranstaltungen wieder möglich sind. 

Muss man nicht befürchten, dass vieles ins Internet abwandert und Messen digitalisiert werden?

Digitalität ist eine Ergänzung, aber kein Ersatz. Es gab viele Versuche in den letzten zehn Monaten, Messen ins Netz zu stellen, auch die bei uns stattfindende "Spiel" hat das beispielsweise versucht. Das war viel Aufwand, aber es ersetzt nicht die Präsenz, das Zusammentreffen von Menschen. Das gilt übrigens für Fachmessen noch mehr als für die großen Publikumsmessen.

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Rechnen Sie bald mit einer raschen Rückkehr zur vollen Normalität?

Wir werden Geduld haben müssen. Bis vor allem die Internationalität wieder vollständig da ist, werden wir zwei, drei Durchgänge bei den jeweiligen Messen erleben. Im Frühjahr 2020 waren viele Veranstalter und Aussteller noch optimistisch, das erwies sich dann als verfrüht. Wir spüren derzeit noch immer eine gewisse Zurückhaltung. 

Weil man kein weiteres Geld verlieren will?

Ja, weil man auf Nummer sicher gehen möchte. Für die Teilnahme an einer Messe braucht ein Aussteller je nach Branche einen Vorlauf von zwei bis sechs Monaten. Das ist aber ein Zeitraum, der derzeit noch schwer kalkulierbar ist. Kaum jemand ist auf dem Höhepunkt einer Pandemie gewillt, Kosten zu produzieren für Reisevorbereitungen, Agenturen, Messestandbauer. Da warten die Verbände und Unternehmen lieber. Und auch wir müssen schauen, dass wir unsere Marken nicht beschädigen. Eine Internationale Pflanzenmesse IPM muss auch wirklich international sein und halten, was der Name verspricht.  

Vermutlich muss man zumindest bei den großen Publikumsmessen auch davon ausgehen, dass durch die lange Abstinenz eine psychologische Hürde existiert.

Darauf müssen wir uns einstellen. Denken Sie beispielsweise auch an die älteren Besucher der Mode-Heim-Handwerk. Entscheidend dafür, die Besucher wieder zu motivieren zu uns zu kommen, dürfte sein, in welchem Tempo wir mit den Impfungen vorankommen.

"Ich hätte Sympathie für eine Impf-Pflicht, aber das ist nicht unsere Entscheidung"

Plädieren Sie dafür, irgendwann nur noch Geimpfte in die Hallen zu lassen?

Das wird nicht unsere Entscheidung sein, aber ich hätte dafür Sympathie, weil es das Geschäft erleichtert. Ich habe Messen übrigens auch in der kurzen Zeit, als wir 2020 arbeiten konnten, für vergleichsweise sichere Orte gehalten. Bevor jemand reinkommt, wird dokumentiert, bei Bedarf Fieber gemessen, und der Zugang ist strikt beschränkt. Das geht woanders so gründlich nicht.

Welche Großmessen werden - Stand jetzt - als erstes wieder in Essen stattfinden können?

Die Techno Classica steht ab 7. April auf dem Kalender. Der Veranstalter hält derzeit noch die Fahne hoch, zumal diese Messe ja 2020 erst verschoben und dann ganz ausgefallen ist.

Anfang April klingt sehr sportlich für eine große Publikumsmesse.

Letztlich entscheiden unsere Gastveranstalter, was sie sich zutrauen. Von unseren eigenen Messen wäre die erste die E-World im Mai. Das heißt, im März wird es klare Signale geben, ob uns das möglich ist.

"Wir sind froh, dass wir Impfzentrum sind"

Wie in vielen Städten, ist auch in Essen in der Messe das Impfzentrum untergebracht. Ist das ein Vorteil? 

Ja, wir sind froh, dass wir Impfzentrum sind, so können wir einen Teil der Hallen nutzen und vermieten. Auch das private Corona-Testzentrum in der Grugahalle passt uns gut, weil das für Kongresse und Tagungen ein Standortvorteil ist. Wir haben auf dem Gelände selber die Chance etwas anzubieten. 

Bekommen Sie wegen des Impfzentrums Platzprobleme, wenn Großmessen anstehen? Immerhin soll bis zum Spätsommer geimpft werden.

Wir fahren da auf Sicht und haben mit der Stadt vereinbart, dass wir mit den anderen Veranstaltungen nicht in Konflikt geraten. Das ist aber erkennbar kein Problem. Die nächste große Messe, für die wir planmäßig das gesamte Gelände brauchen, ist die "Schweißen und Schneiden" im September. Ob diese Messe aber in diesem Jahr das ganze Gelände benötigt, ist offen. Wir gehen davon aus, dass die Internationalität wegen der Reise-Restriktionen noch nicht so groß ist. 

Die Corona-Krise schadet allen Messe-Standorten in Deutschland, viele müssen sogar Personal abbauen. Wie sieht es in Essen aus?

Rückblickend war es für uns ein Glücksfall, dass wir uns nach dem langen Entwicklungsstau ab 2014 so konsequent verändern mussten. Was andere Messen noch vor sich haben, haben wir bereits hinter uns. In den letzten Jahren haben wir 20 Prozent der Planstellen abgebaut und uns deutlich schlankere Strukturen verpasst und übrigens trotzdem den Umsatz um fast 20 Prozent Umsatz erhöht.

Was heißt das in Mitarbeiterzahlen?

Bei uns arbeiten jetzt noch rund 180 Beschäftigte, größere Messegesellschaften haben um die 1000. Gerade großen Standorten setzt Corona besonders zu, teilweise sind durch Vorhaltekosten Verluste in dreistelliger Millionenhöhe entstanden. Wir hatten 2020 einen negativen Corona-Effekt von 14,5 Millionen Euro.

Die Großen haben aber auch viel mehr Präsenz im Ausland.

Auch wir sind mit über zehn Veranstaltungen im Ausland vertreten und setzen auf den Export unserer Leitmessen in andere Märkte. Aber wir arbeiten dort nicht mit kostenintensiven Tochtergesellschaften, sondern mit regionalen Partnern sowie Verbänden vor Ort und nutzen unseren eigenen Vertrieb. Das ist erheblich günstiger, aber wie man sieht nicht unbedingt schlechter.

"85 Prozent des Personals sind in Kurzarbeit"

Wie versuchen Sie derzeit noch zu sparen?

85 Prozent des Personals sind in Kurzarbeit, Nachbesetzungen und Neueinstellungen sind selbstverständlich ausgesetzt. Punktuell holen wir Leute bei Bedarf aus der Kurzarbeit zurück. Immerhin haben wir 2020 nach dem ersten Lockdown mit kleineren Veranstaltungen noch fünf Millionen Euro Umsatz gemacht. Nimmt man das erste Quartal dazu, als wir etwa die IPM und die Reise&Camping noch durchziehen konnten, waren es im vergangenen Jahr nahezu 25 Millionen Euro Umsatz. 70 Millionen waren geplant, was die Dimension des Einbruchs durch den Lockdown noch einmal verdeutlicht.

Und wie sind die Aussichten für das laufende Jahr?

Das hängt davon ab, wann wir wieder anfangen dürfen. Wir rechnen mit einem Gesamtverlust von bis zu 25 Millionen Euro, wenn sich ab dem dritten Quartal wieder eine positive Entwicklung abzeichnen sollte. Ohne den Corona-Effekt hätte 2021 das beste Jahr unserer Geschichte werden sollen mit einem Rekordumsatz von 80 Millionen Euro und einem nahezu ausgeglichenen Ergebnis.

Außer der Messe selbst leiden auch viele andere Unternehmen in Essen und in der Region, die teils weitgehend vom Messegeschäft leben, darunter zum Beispiel die Hotel-Branche. 

Das ist so. Das Messejahr 2021 hätte ohne Corona-Einfluss einen Gesamtumsatz von schätzungsweise 560 Millionen Euro bewirkt, davon gut die Hälfte in Essen. Dass das nur sehr eingeschränkt passiert, ist bitter für alle. Ich bin aber Optimist und bin mir sicher: Es wird wieder aufwärts gehen! 

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Oliver P. Kuhrt ist seit Januar 2014 Geschäftsführer der Messe Essen, wo er sich als erstes mit den Folgen des Bürgerentscheids zu beschäftigen hatte, das dem Messe-Umbau enge Grenzen setzte. Zuvor war der 57-Jährige mehr als zehn Jahre in verschiedenen geschäftsführenden Funktionen bei der Messe Köln tätig.

Ursprünglich kommt der Vater zweier Töchter aus der Hotellerie, bekleidete Führungspositionen in internationalen Häusern und kam über den Zwischenschritt der DB Reise und Touristik schließlich in die Messe-Branche. In Essen genießt Kuhrt, anders als mancher seiner Vorgänger, einen guten Ruf als pragmatischer Macher. So gelang die komplexe Sanierung der Messe exakt im Kosten- und Zeitplan. 

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