Essen-Margarethenhöhe/Holsterhausen/Haarzopf. Nach Neugründung der Essener SPD im Januar 1946 folgten die Ortsvereine Holsterhausen, Haarzopf und Margarethenhöhe am 10. März vor 75 Jahren.

Die NS-Zeit und der Zweite Weltkrieg waren vorbei, die Sozialdemokraten betraten nach fast 13 Jahren wieder die politische Bühne: Die SPD Essen startete im Januar 1946, die Ortsvereine folgten. Gleich drei von ihnen gründeten sich am 10. März vor 75 Jahren im Essener Westen neu: Haarzopf, Margarethenhöhe und Holsterhausen. Ein Blick zurück.

Die Sozialdemokraten im Essener Westen erinnern sich in diesen Tagen an die Wiedergründung ihrer Ortsvereine nach dem Krieg. Unter den Nationalsozialisten verboten, hatte die SPD lange Jahre im Untergrund agieren müssen. Auch in Essen stand die Partei vor dem Neuaufbau: Die offizielle Gründungsfeier der drei Ortsvereine fand 1946 im Saal des Restaurants Kallenberg, heute Hotel M, am Marktplatz auf der Margarethenhöhe statt.

Fritz Kinnigkeit (2.v.l.) gehörte zu den prägenden Akteuren der SPD Holsterhausen. Das Bild zeigt ihn mit Oberstadtdirektor Kurt Busch (l.), dem ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt (3.v.l.) und dem Essener DGB-Vorsitzenden Johannes Gorlas (4.v.l.).  
Fritz Kinnigkeit (2.v.l.) gehörte zu den prägenden Akteuren der SPD Holsterhausen. Das Bild zeigt ihn mit Oberstadtdirektor Kurt Busch (l.), dem ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt (3.v.l.) und dem Essener DGB-Vorsitzenden Johannes Gorlas (4.v.l.).   © Justfelder | Unbekannt

Die Festansprache hielt damals Fritz Runge. „Er hatte während der NS-Zeit wegen seiner politischen Überzeugung im Gefängnis gesessen, war somit eindeutig als Widerstandskämpfer erkennbar und so für die tragende Rolle bei der Neugründungsversammlung geeignet“, berichtet Benno Justfelder, seit 49 Jahren in der SPD und seit 20 Jahren Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Holsterhausen.

Heimliche Treffen in einer Baracke in Essen-Holsterhausen

Vor der offiziellen Neugründung trafen sich die Genossen schon in einer Baracke an der Rembrandtstraße, um die politische Arbeit wieder aufzunehmen. „Im November 1945 fand die erste, noch illegale Unterbezirkskonferenz der SPD, an der auch Holsterhauser Sozialdemokraten teilnahmen, statt“, heißt es dazu in der Festschrift zum 60. Jahrestag der Neugründung. 1946 hatten die britischen Besatzungsbehörden dann politische Parteien wieder zugelassen, der Neugründung der Ortsvereine stand nichts mehr im Wege.

Luise Wiethoff war die erste Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Holsterhausen nach der Wiedergründung.
Luise Wiethoff war die erste Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Holsterhausen nach der Wiedergründung. © Unbekannt | Justfelder

Erste Vorsitzende und prägende Persönlichkeit des Ortsvereins Holsterhausen war Luise Wiethoff. Sie hatte die NS-Zeit in Sachsen und später Salzgitter überlebt und kam nach dem Krieg nach Essen zurück, wo sie beim Wiederaufbau der SPD und der Arbeiterwohlfahrt half.

Der Stadtteil war vom Wiederaufbau geprägt

„Nach dem Krieg war Holsterhausen stark zerstört. Damals ging es nicht um politische Ideologien, sondern erst einmal darum, die Menschen in ihrer Not zu unterstützen, die teilweise nicht genug zu essen und im harten Winter 1946 auch nicht genug zum Heizen hatten“, erklärt Benno Justfelder. Später sei dann der Wohnungsbau wichtiges Thema gewesen.

Holsterhausen galt in den 1960er Jahren als größtes Wiederaufbaugebiet Westdeutschlands, die Wohnungsnot war groß. „Es ging darum, neue Wohnungen zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Mieter nicht ausgebeutet werden“, beschreibt Benno Justfelder die politischen Themen der damaligen Zeit.

Dazu gehörte auch die Bildung. Wichtig sei gewesen, Unterricht nach dem Krieg überhaupt wieder stattfinden zu lassen, erinnert sich Justfelder an seine eigene Kindheit in den 1960er Jahren, als er mit 66 Schülern die dritte Klasse besuchte und die Kinder abwechselnd zum Unterricht erscheinen mussten. Auch auf der benachbarten Margarethenhöhe musste man die zerstörte Schule an der Waldlehne erst einmal wieder für den Unterricht herrichten.

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Bis der Ortsverein nach dem Krieg wieder Erfolge habe feiern können, habe es einige Zeit gedauert. So gewann erst 1952 Fritz Kinnigkeit als erster Holsterhauser Sozialdemokrat wieder seinen Wahlkreis. „Im Essener Westen lebten zwar damals viele Arbeiter, aber die waren politisch längst nicht alle rot“, so Benno Justfelder. In der SPD habe es kurz nach dem Krieg Vorbehalte gegenüber jungen Mitgliedern gegeben, weil die in der NS-Zeit sozialisiert worden seien. „So musste man erst einmal bis 35 bei den Jusos aktiv sein und seine sozialdemokratische Gesinnung beweisen“, erklärt Justfelder. Eine solche Abgrenzung zur Jugendorganisation gebe es heute nicht mehr.

SPD-Ortsverein Holsterhausen war Anlaufstelle für politisch interessierte Arbeiter

Der Ortsverein Holsterhausen – heute durch Klinikum, LVR-Kliniken und zahlreiche Praxen geprägt von Mitarbeitern aus dem Gesundheitswesen – war damals Anlaufstelle für (Krupp-)Arbeiter. Auf der familienfreundlich angelegten Margarethenhöhe wohnten dagegen neben „Kruppianern“ auch viele Handwerker und Lehrer, so Michael Manderscheid, seit einem Jahr Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Margarethenhöhe.

Die SPD in Essen wurde im Januar 1946 wiedergegründet

Die offizielle Wiedergründung der SPD in Essen erfolgte am 27. Januar 1946 im Atrium-Kino an der Kettwiger Straße. Am 6. Februar tagte im Rathaus Kray erstmals der vom britischen Stadtkommandanten ernannte Rat der Stadt. Für die SPD nehmen zwei Frauen und 15 Männer teil.Die erste freie Kommunalwahl nach dem Krieg fand dann am 13. Oktober 1946 statt. Für die SPD wurden vier Frauen und 15 Männer gewählt, darunter auch Widerstandskämpfer wie Wilhelm Nieswandt oder Gustav Streich. Erster frei gewählter Oberbürgermeister wurde Gustav Heinemann, damals noch CDU, später erster sozialdemokratischer Bundespräsident.

Unterlagen über die SPD Margarethenhöhe in den Nachkriegsjahren seien weitgehend abhanden gekommen, bedauert der Vorsitzende. In späteren Jahren kümmerte sich der Ortsverein um Verkehrsfragen wie die Abriegelung der Metzendorfstraße oder die Gleisbegrünung der U-17-Strecke und kämpfte gegen einen vierspurigen Ausbau der Sommerburgstraße.

Ein Bild der Zerstörung: Die Steile Straße auf der Margarethenhöhe in Richtung Brückenkopfhaus.
Ein Bild der Zerstörung: Die Steile Straße auf der Margarethenhöhe in Richtung Brückenkopfhaus. © Justfelder | Unbekannt

An ältere Zeiten erinnert sich noch Heidi Berger. Die ehemalige Ortsvereinsvorsitzende, Ratsfrau und Landtagsabgeordnete ist der SPD und dem Ortsverein Margarethenhöhe immer treu geblieben, auch wenn sie sich vor 20 Jahren aus der Politik zurückgezogen hat.

Die heute 76-Jährige lebt nach wie vor in ihrem Stadtteil und verfolgt das politische Geschehen mit Interesse. Dass die jüngere Generation unpolitischer sei als die ältere, glaubt sie nicht. „Auch früher war es ja nur eine kleine Gruppe, die aktiv Politik gemacht hat. Aber vielleicht war es damals leichter, Aufmerksamkeit zu bekommen, weil die Menschen ja nicht so viel anderes hatten“, sagt sie und erinnert sich an einen Auftritt ihres Vaters, der in den 1950er Jahren den Ortsverein Margarethenhöhe eine Zeit lang führte. Damals habe man oberhalb des Marktplatzes ein Rednerpult aufgebaut und der Platz sei voller Zuhörer gewesen.

Ehemalige Landtagsabgeordnete stammt aus einer SPD-Familie

Heute sei es schwieriger, politische Inhalte zu vermitteln und mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen. Das liege nicht nur an der Dominanz des Internets, sondern auch daran, dass es auf der Margarethenhöhe keinen Saal und damit keine Möglichkeit für größere Versammlungen mehr gebe.

Sie stamme aus einer „alten SPD-Familie“, ihr Vater sei ab 1931 Mitglied gewesen und nach der Neugründung des Ortsvereins dort wieder aktiv geworden, zudem habe er sich gewerkschaftlich stark engagiert. Ihm sei die soziale und demokratische Ausrichtung sehr wichtig gewesen. Heidi Berger: „Bei uns zu Hause wurde viel über Politik gesprochen, so dass klar war, dass ich auch in die SPD eintreten würde. Das habe ich vor 54 Jahren aus voller Überzeugung getan.“

Haarzopfer Sozialdemokraten wie die langjährige Bezirksvertreterin Jutta Krämer erinnern sich nicht nur an den familiären Zusammenhalt der Genossen, sondern auch an ihre bekannteste Ortsvereinsvorsitzende Antje Huber, die von 1976 bis 1982 Bundesfamilienministerin war und ihre politischen Wurzeln in Haarzopf hatte.

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