Essen. Nach der plötzlichen Schließung der Krupp-Frauenklinik müssen werdende Mütter auf andere Standorte ausweichen. Mahnwache kritisiert dies scharf.
Es ist eine köchelnde Mischung aus Wut und Verbitterung, die sie an diesem Donnerstagvormittag (30. Juni) vor das Krupp-Krankenhaus in Essen-Rüttenscheid treibt. Vor allem hat die unerwartete Schließung der Frauenklinik tiefe Trauer ausgelöst. Deshalb sind Hebammen und Ärztinnen, niedergelassene Frauenärztinnen und Mütter mit Kinderwagen demonstrativ ganz in Schwarz zur Mahnwache erschienen. „Es ist ja tatsächlich wie bei einer Beerdigung“, sagt die Rüttenscheider Frauenärztin Dr. Bettina Habedank, die mit ihrer gesamten Praxisgemeinschaft gekommen ist, auch um ihrer geballten Empörung Luft zu verschaffen.
Als die angehende Gynäkologin 1997 ihre Facharztausbildung beginnt, besitzt Essen noch eine blühende Krankenhaus-Landschaft mit nicht weniger als sieben Geburtshilfe-Abteilungen. Nach der Schließung des Marienhospitals vor zwei Jahren und dem plötzlichen Aus der Krupp-Frauenklinik verfügt Essen ein Vierteljahrhundert später nur noch über zwei Krankenhäuser mit Geburtshilfe: die Universitätsklinik und das Elisabeth-Krankenhaus.
Frauenärztin berichtet Minister Lauterbach von demütigender Geburt auf der Straße
In einem drei Seiten langen Protest-Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach weist die Frauenärztin auf die ihrer Ansicht nach „bedrohliche Lage der medizinischen Versorgung in der Stadt Essen“ hin. Leidtragende der nach Krankenhausschließungen entstandenen Versorgungslücken seien vor allem die werdenden Mütter, die sie nun in die umliegenden Städte schicken müsse – nach Bochum, Oberhausen, Velbert, Mülheim, Düsseldorf und Duisburg.
Zwei ihrer Patientinnen, so lässt sie den Minister wissen, hätten die häufige Überlastung der Kreißsäle in Essen seit Schließung der Krupp-Frauenklinik auf dramatische Weise zu spüren bekommen. Eine Patientin habe nicht im Kreißsaal, sondern im Patientenzimmer entbunden und „eine andere letztendlich auf der Hauptstraße vor dem Elisabeth-Krankenhaus“. Dr. Habedank schreibt an Lauterbach: „Eine absolute Demütigung für diese Frauen.“
Am Donnerstagmorgen berichten die Rüttenscheider Frauenärztinnen von einem weiteren Fall. Eine Patientin der geschlossenen Krupp-Frauenklinik sei zur Geburt nach Velbert ausgewichen, dort jedoch abgewiesen worden. Begründung: Überfüllung des Kreißsaales und Hebammenmangel. Erst in einem Wuppertaler Krankenhaus habe die Essenerin ihr Kind schließlich zur Welt bringen können. „Was für eine Odyssee, einfach katastrophal und skandalös“, sagt Frauenärztin Kornelia Zok-Magon.
Essen-Velbert-Wuppertal: „Was für eine Odyssee, katastrophal und skandalös“
Zu Spitzenzeiten gab es in der Krupp-Frauenklinik rund 1000 Geburten im Jahr, zuletzt noch 700. Werdende Mütter schätzten besonders die persönliche Atmosphäre im Krupp. „Mega gut“, sei die Geburt des kleinen Maximilian vor gut sechs Wochen – nur wenige Tage vor der Schließung – gewesen, berichtet Adriana Brol aus Haarzopf. Sie ist ebenfalls in Schwarz erschienen, ihr Söhnchen schlummert fest im Kinderwagen. Für das Krupp-Krankenhaus habe sie sich auf „vielfache Empfehlung aus dem Freundinnenkreis“ entschieden. „Der Krupp-Frauenklinik eilte der Ruf voraus, den schnellen Kaiserschnitt zu vermeiden.“
Richtig wohlgefühlt habe sie sich in den Händen des Kreißsaal-Teams und auch oben auf der Station. Deshalb empfinde sie die Mitte Juni verkündete abrupte Schließung als „skandalös“. Eines steht für sie jetzt schon fest: „Das zweite Kind werde ich nicht in Essen bekommen, sondern in Kaiserswerth oder im Augusta-Krankenhaus Bochum.“
Anja Donat ist Apothekerin im Krupp-Krankenhaus und ebenfalls empört. Sie berichtet von heftigen Komplikationen bei ihren beiden Schwangerschaften. Wegen übermäßigen Erbrechens habe sie vor vier und acht Jahren jeweils acht Wochen lang stationär behandelt werden müssen. „Das Personal hat sich toll um mich gekümmert.“ Was sich später übrigens auch am Geburtsgewicht ihrer Kinder habe ablesen lassen. „Sie wogen beide jeweils 4000 Gramm.“ Die Krupp-Frauenklinik habe nicht für Massenabfertigung gestanden, „sondern dafür, dass eine Frau selbstbestimmt entbinden kann“, sagt die Apothekerin.
Zweifache Mutter lobt Krupp-Team: „Sie haben sich toll um mich gekümmert“
Die Hebammen der geschlossenen Frauenklinik haben entschieden, an diesem Morgen keine Interviews zu geben. Was sie von dem Klinik-Aus halten, haben sie auf Papptafeln geschrieben. „Zappenduster“ heißt es da oder: „Es ist nicht egal, wie wir geboren werden“. „Essen – Stadt der Unterversorgung“ ist dort ebenso zu lesen wie „Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu entbinden.“ Frieda Kunkel, die Leiterin des Hebammen-Teams, trägt ein schwarzes T-Shirt mit der eindeutigen Botschaft: „Fuck it“.
Schon am Tag, als die Schließung beschlossen wurde, sind bei den Klinik-Mitarbeiterinnen – 26 Hebammen, sieben Ärztinnen, eine Chefärztin – reichlich Tränen geflossen. Auch bei der Mahnwache heute sind wieder viele Augen feucht.
Dass niemand von ihnen ernsthaft von Arbeitslosigkeit bedroht ist, empfinden sie allenfalls als schwachen Trost. Schon am Tag nach Bekanntgabe der Schließung habe das Elisabeth-Krankenhaus (3000 Geburten jährlich) die Hand ausgestreckt und die Übernahme des gesamten Teams angeboten. Gleiches gelte für die Uni-Klinik, und auch das Marienhospital Gelsenkirchen signalisiere lebhaftes Interesse am Krupp-Personal.
„Zu Lebzeiten von Berthold Beitz und Professor Budde wäre es nicht zu einer Schließung gekommen“
Dr. Bettina Habedank hat von 2001 bis 2007 im Krupp-Krankenhaus gearbeitet und den Geist des 1909 von Bertha Krupp von Bohlen und Halbach gegründeten Krankenhauses gespürt. „Zu Lebzeiten von Berthold Beitz und Professor Budde wäre es bestimmt nicht zu einer Schließung gekommen“, sagt sie. „Sie haben das Erbe Krupp fortgeführt, nun gehen diese Werte verloren.“