Essen-Kettwig. Die Ehrenamtler von „Kettwig hilft“ unterstützen Geflüchtete aus der Ukraine oft auch bei Behördengängen. Warum das viel Frust mit sich bringt.

Der erste Enthusiasmus ist verklungen. Für die rund 50 Ehrenamtlichen von „Kettwig hilft“, die die aus der Ukraine geflüchteten Menschen im Stadtteil Kettwig unterstützen, hat längst der Alltag begonnen. Und der ist oft genug gespickt mit behördlichen Fallstricken, wie die Vereinsvorsitzende Angelika Kleinekort berichtet.

Viele, viele Fragen hatten die Interessierten damals Ende März bei der großen Infoveranstaltung in der evangelischen Kirche am Markt. Die Mitglieder von „Kettwig hilft“ sowie die Vertreterin der Stadtverwaltung konnten längst nicht alle beantworten. Und auch jetzt, dreieinhalb Monate später, läuft längst nicht alles rund. Der Frustlevel sei hoch, seufzt Angelika Kleinekort.

Geflüchtete haben sich in Kettwig gut eingelebt

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„Das liegt keinesfalls an den Betroffenen“, betont Kleinekort. Die Geflüchteten, zumeist Mütter mit Kindern, hätten sich wunderbar in Kettwig eingelebt. „Unsere Paten haben sie anfangs herumgeführt und ihnen alles gezeigt. Jetzt sind die Frauen allein unterwegs, versorgen sich selbst. Wir treffen sie beim Eisessen und anderen Gelegenheiten. Ihnen geht es sehr gut.“

Freizeitaktivitäten wie ein Besuch in der Gruga oder beim Minigolf am Kattenturm seien sehr beliebt – gerade bei den Kindern. „Dafür haben wir Leute, die sich da auskennen, sie begleiten und Tipps für weitere Ausflüge parat haben.“

Anträge zur Krankenversicherung sorgten für Verwirrung

Auskennen müssen sich die ehrenamtlichen Kräfte aber noch viel mehr in behördlichen Dingen. Denn Geflüchtete aus der Ukraine beziehen seit dem 1. Juni nicht mehr Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern bekommen Sozialhilfe nach SGB II. Was Auswirkungen auf andere Unterstützungsleistungen wie zum Beispiel Kindergeld und den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung hat.

Angelika Kleinekort, Vorsitzende des Vereins „Kettwig hilft“, hat bereits die erste Flüchtlingswelle miterlebt und schöpft in ihrer Arbeit mit den Menschen aus der Ukraine aus diesen Erfahrungen.
Angelika Kleinekort, Vorsitzende des Vereins „Kettwig hilft“, hat bereits die erste Flüchtlingswelle miterlebt und schöpft in ihrer Arbeit mit den Menschen aus der Ukraine aus diesen Erfahrungen. © FUNKE Foto Services | Heinz-Werner Rieck

Dass jeder sich nun selbst um eine Krankenversicherung kümmern muss, führte zum Beispiel zu einiger Verwirrung bei den Betroffenen, die in einer Arztpraxis vorstellig wurden und ihre Patientenkarte vorlegen sollten. Kleinekort: „Wir haben dann erst einmal umfangreich informiert, im Eckhaus beim Begegnungscafé sowie in der Unterkunft an der Ruhrtalstraße. Da aus dem Kreis der Helfenden einige bei der Barmer arbeiten, gab es da schnell den Kontakt. Aber wir haben natürlich auf die freie Kassenwahl hingewiesen.“

Die Stadt Essen wiederum habe wohl angenommen, „alle würden auf jeden Fall in die AOK gehen. Also haben unsere Schützlinge entsprechende Anträge von der Stadt zugeschickt bekommen“. Was zu noch mehr Verwirrung geführt habe. Es seien zu diesem Zeitpunkt ja bereits Anträge bei anderen Kassen gestellt worden. „Hätte die Stadt uns im Vorhinein als zuständigen Ansprechpartner mal informiert, hätten wir uns den ganzen Aufwand sparen können“, reagiert die Vereinsvorsitzende von „Kettwig hilft“ verärgert.

Beratungsangebote für Geflüchtete

Gemeinsam mit dem Diakoniewerk bietet der Verein „Kettwig hilft“eine Beratung für Ukraine-Flüchtlinge an. Sie findet nach den Sommerferien immer montags von 14 bis 16 Uhr im Eckhaus, Schulstraße 10, statt. Ansprechpartner ist Rami Borham.Außerdem stehen die Ehrenamtler des Vereins freitags von 13 bis 15 Uhr ebenfalls im Eckhaus für Gespräche zur Verfügung. Das Begegnungscafé der ev. Gemeinde macht derzeit Sommerpause.

Kettwiger Bauverein bietet Geflüchteten Wohnungen an

Ins „Reich Absurdistan“ verweist sie auch die Aktion der Stadt, Geflüchtete per Reisebus vom Essener Messeparkplatz aus nach Bochum zu kutschieren zwecks Registrierung, „obwohl bereits Termine für diese Personen für die Registrierung im Borbecker Bürgeramt vorlagen“.

Zu langsam ginge es auch mit den Zusagen zur Kostenübernahme für eine Unterkunft. 1865 Geflüchtete aus der Ukraine, so die aktuelle Zahl der Stadt, konnten in ganz Essen in eigenen Wohnraum vermittelt werden. „Es könnten noch mehr sein. Wir haben vom Kettwiger Bauverein weitere Wohnungszusagen bekommen. Diese zehn Familien warten seit Wochen auf die Genehmigung durch die Stadt“, erklärt Kleinekort, die den Grund dafür vor allem im fehlenden Personal bei der Behörde sieht. „Wichtig ist uns, dass die Mütter, die hier in Kettwig schon Kita- oder Grundschulplätze für ihre Kinder haben, auch hier einen Wohnung bekommen.“

Kita Mintarder Weg kehrt an den alten Standort zurück

Wieder leer gezogen: das grüne Haus an der Ruhrtalstraße. Die Kita wird ab August wieder ihren alten Standort am Mintarder Weg beziehen.
Wieder leer gezogen: das grüne Haus an der Ruhrtalstraße. Die Kita wird ab August wieder ihren alten Standort am Mintarder Weg beziehen. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Derzeit sei das „blaue Haus“, die Unterkunft an der Ruhrtalstraße neben dem S-Bahnhof, voll ausgelastet mit 77 Personen. Das daneben liegende Gebäude, grün angestrichen, wurde bis zu den Sommerferien von der städtischen Kita am Mintarder Weg als Ausweichquartier genutzt. „Die Kita nimmt an ihrem alten Standort im August wieder den Betrieb auf. Wir sind gespannt, ob das Gebäude nun auch für Geflüchtete genutzt wird“, sagt Kleinekort, die sich über weitere Helferinnen und Helfer freuen würde. „Denn im August setzen wieder Hausaufgabenbetreuung und Lernförderung an.“ Trotz allen Frusts: „Wir geben nicht auf, die Menschen aus der Ukraine benötigen weiter unsere Hilfe.“