Vor der Bühnenpremiere zeigt das Schauspiel Essen „Früchte des Zorns“ im Theaterstream. Ein Vorgeschmack auf die vielschichtige Inszenierung.
Hinter den verschlossenen Türen des Grillo-Theaters wird wieder eine Produktion fertiggeprobt. Inzwischen gibt es bereits einen Premierenstau mit „Bunbury“, „Endspiel“ und „Fünf gelöschte Nachrichten“. Doch niemand merkt’s. Das soll sich ändern, trotz aller Bedenken zum Theaterstreaming. „Wir wollen den Zuschauern zeigen, dass wir Kunst für sie machen“, sagt Simon Meienreis, seit der Spielzeit 2019/ 2020 Dramaturg am Schauspiel Essen. Er begleitete Hermann Schmidt-Rahmers Inszenierung und die Dreharbeiten zu „Früchte des Zorns“. Die Online-Premiere ist am Freitag, 21. Mai, um 19 Uhr.
Roman wurde 1940 verfilmt
Der Regisseur, der zuletzt „Die Hauptstadt“ im Grillo-Theater auf die Bühne brachte, hat die Corona-Krise schon in 2020 zu spüren bekommen. Nach fünf Probentagen musste die Arbeit zu Brechts „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ eingestellt werden. Die Inszenierung von „Früchte des Zorns“ konnte nun ohne Komplikationen zu Ende gebracht werden. Sie basiert auf John Steinbecks Flüchtlingsdrama von 1939, das zunächst Anfeindungen erntete, aber kurz darauf mit dem Pulitzerpreis gekrönt und mit Henry Fonda verfilmt wurde. Ging es doch anhand einer wahren Geschichte tief in die Abgründe Amerikas zur Zeit der Wirtschaftskrise.
„Es ist der Roman der Stunde, der in verschiedenen Theatern inszeniert wird“, so der 34-Jährige, der unter anderem am Schauspielhaus Bochum und am Theaterhaus Jena gearbeitet hat. „Es ist kein amerikanisches Phänomen. Die aktuellen Bezüge drängen sich auf. Wir leben ja weltweit in Zeiten von Flucht.“ Hier sei es die Flucht durch klimatische Veränderung, die wir selbst verschuldet haben: Die Familie Joad muss wegen einer Dürre ihre Farm in Oklahoma verlassen und nach Westen ziehen, um als Erntehelfer auf Orangenplantagen zu arbeiten. Doch dort ernten sie Hass und Ausgrenzung.
„Zu 99,9 Prozent bleibt die Bühnenfassung von Hermann Schmidt-Rahmer an dem Roman dran. Doch es ist keine Eins-zu-eins-Übertragung. Wir gucken uns die Psychologie der Verhältnisse an“, so Meienreis. Der Regisseur und Autor, der sich vorzugsweise mit sozial relevanten Themen auseinandersetzt, „nimmt den zynischen Humanismus unter die Lupe. Die Inszenierung zielt auf die Scheinheiligkeit von europäischen Werten und stellt die Frage, ob wir bereit sind zu teilen.“ Das Phänomen Flucht wird aus der Perspektive der Gesellschaft und der Geflüchteten gezeigt. „Einen bürgerlichen Horrortrip“, nennt das Meienreis. Besetzt ist die Inszenierung mit Schauspielerinnen und Schauspielern, die mehr als eine Rolle verkörpern. Nur in der Familie sind sie klar verteilt.
Nicht nur abgefilmtes Theater
In einer Mischung aus Dialog und Erzählung wird die Geschichte auf die Bühne gebracht und für einen Stream gefilmt. Verantwortlich ist dafür ebenfalls Hermann Schmidt-Rahmer. „Der Stoff soll auch als Film künstlerisch ansprechend sein und nicht nur eindimensional abgefilmtes Theater“, so Meienreis. Für Aufnahme und Schnitt wurde die Firma Siegersbusch beauftragt, die für das Schauspiel Essen zuvor den Stream zu „Der Zauberer von Oz“ produziert hatte. Kameraleute haben „Früchte des Zorns“ nach genauen Absprachen aufgenommen. Die Plattform dringeblieben.de präsentiert das Ganze kostenlos.
Bleibt dann noch eine Chance für das Live-Erlebnis im Herbst? Unbedingt, meint Simon Meienreis: „Der Stream soll Lust machen, es sich auf der Bühne anzuschauen. Das hat einen ganz anderen anderen Reiz. In einem vielschichtigen Theaterstück gibt es weit mehr zu entdecken.“ Zum Beispiel die Betrachtung aus dem eigenen Blickwinkel.