Essen. Einwohner wollten sich in der Bezirksvertretung äußern, doch ihnen wurde das Wort entzogen. Die Stadt Essen erklärt, warum das rechtens ist.

Die Einwohnerfragestunde in der Bezirksvertretung VI wurde in der letzten Sitzung abgebrochen. Während die Bürger noch immer stinksauer sind, erklärt die Stadt dass eine Einwohnerfragestunde laut Gemeindeordnung nicht der Bürgerbeteiligung dient.

In der Einwohnerfragestunde wollten die Anwohner Stellung nehmen zum geplanten Bauvorhaben an der Hallostraße/Im Natt. Nach 40 Minuten und mehreren Ermahnungen seitens des Bezirksbürgermeisters Michael Zühlke wurde die Einwohnerfragestunde abgebrochen, Wortbeiträge von der Empore wurden ebenso untersagt wie Zwischenrufe und Beifall. Nach Angaben der Stadt-Pressestelle ist ein ähnlicher Vorfall aus anderen Bezirksvertretungen bisher nicht bekannt. Eine Einwohnerfragestunde dient jedoch laut Gemeindeordnung auch nicht dazu, allgemeine Erklärungen abzugeben.

Gemeindeordnung legt Regeln fest

„Diese BV-Sitzung war ein einziger Skandal, die Abgeordneten sind komplett gegen die Bürger und wollen sie auch nicht anhören“, klagt der Stoppenberger Jürgen Wohlfeil, der seine Stellungnahme nicht zu Ende bringen konnte. Seine Nachbarin, Silvia Siebrecht ist ebenso verärgert: „Stellungnahme der Bürger nicht möglich, nicht erwünscht, Redeverbot!“ Und ihr Mann Michael fragt: „Wenn die Politiker die Menschen nicht mehr hören und auf deren Fragen und Anregungen nicht mehr eingehen, wie sollen sich diese Menschen denn noch Gehör verschaffen?“

Zeit für einen Blick in die Gemeindeordnung und auf die Rechtslage: In der Geschäftsordnung des Rates ist festgelegt, dass Einwohnerfragestunden abgehalten werden können - es ist also keine Pflicht. Tatsächlich sind sie in diesem Jahr in diversen Stadtteilparlamenten auch schon ausgefallen. Außerdem steht dort, dass eine Einwohnerfragestunde nicht länger als 30 Minuten dauern sollte.

Allgemeine Erklärungen ohne Fragen sind nicht vorgesehen

Jaqueline Schröder, Pressesprecherin der Stadt, erklärt, dass der Begriff „Fragestunde“ schon impliziere, dass tatsächlich nur Fragen zugelassen werden sollten. Schröder: „Auch dürfen Fragestunden nicht dazu dienen, allgemeine Erklärungen ohne anschließende Frage abzugeben; hierauf hat der Bezirksbürgermeister als Sitzungsleitung zu achten.“

Genau das tat Michael Zühlke in jener Sitzung immer wieder, er bat die Anwohner, ihre Frage zu platzieren und keine Stellungnahmen vorzutragen. „Ich fand es nicht angenehm“, erklärt Zühlke und ergänzt: „Das ist keine Dialogstunde.“

Fragestunde keine Instrumente der Bürgerbeteiligung

Und - das wird besonders für die Einwohner selbst überraschend sein - auch kein Instrument der Bürgerbeteiligung wie Jaqueline Schröder erklärt: „Ausdrücklich ist festzuhalten, dass die Sitzungen der Bezirksvertretungen, ebenso wie die des Rates und der Ausschüsse, keine Instrumente von Bürgerbeteiligung sind. Insbesondere bei Bebauungsplanverfahren gibt es andere, formalisierte Beteiligungsmöglichkeiten, die zum Beispiel im Baugesetzbuch geregelt sind.“

Welche sind das also? Wie können sich Menschen wie Michael Siebrechts Gehör verschaffen, wie können sich die Bürger beteiligen? „Jeder kann einen Termin mit mir oder jedem anderen Bezirksvertreter verabredet und sein Anliegen vortragen“, erklärt Zühlke. Bei Bedarf würde dann auch ein Vertreter der Stadtverwaltung dabei sein. Fragen, Anregungen und auch Stellungnahmen könnten zudem schriftlich an die Bezirksvertretung geschickt werden (bv6@essen.de).

Geht es um Bauvorhaben - wie im aktuellen Fall Hallostraße/Im Natt - werden die Pläne von der Stadt ausgelegt und Bürger haben die Möglichkeit Stellung zu nehmen. Außerdem können Bürger jederzeit eine Versammlung organisieren und dorthin auch Politiker einladen. Dann haben sie selbst das Hausrecht und können die Regeln selbst aufstellen. In der Bezirksvertretung hat der Bezirksbürgermeister diese Aufgabe - unter Einhaltung der Gemeindeordnung.

Politisches Geschäft unter Corona-Bedingungen

Die Gemeindeordnung, die Corona-Schutzverordnung und ein Erlass des Landes NRW legen fest, wie das politische Geschäft auch unter Corona-Bedingungen funktionieren kann. Kernpunkte sind, dass die Sitzungen nur in Präsenz und nicht über digitale Formate abgehalten werden dürfen und dass die Bürger das Recht haben, dabei zu sein.

„Die Bürger müssen nachvollziehen können, was wie beraten und beschlossen wird, da sie von den Beschlusslagen unmittelbar betroffen sein werden“, erklärt Ministeriums-Sprecher Robert Vornholt. Zugänglich bedeutet in diesem Fall tatsächlich körperlich anwesend und nicht etwa per Livestream oder Zoom-Konferenz.

Livestream für Ratssitzungen seit 2013

Für die Ratssitzungen der Stadt Essen wird dennoch seit 2013 ein Livestream angeboten. Die Zahlen der vergangenen Sitzungen liegen laut Stadt bei durchschnittlich gut 1.000 Zugriffen. Für die Bezirksvertretungen gibt es keinen Livestream. Jaqueline Schröder vom Presseamt der Stadt: „Die Kosten für die Übertragung einer Ratssitzung gehen in den vierstelligen Bereich. Wegen der hohen Kosten im Verhältnis zu den erwartbaren Nutzerzahlen sowie der teilweise schwierigen technischen und räumlichen Voraussetzungen an den üblichen Sitzungsorten der Bezirksvertretungen ist ein Livestream von BV-Sitzungen bisher nicht ins Auge gefasst worden.“