Essen. Trotz Lockdown dürfen Wettbüros geöffnet bleiben. Doch die Glücksspiel-Meile an der Altendorfer Straße in Essen könnte bald ausgedünnt werden.

Der Lockdown macht sie alle gleich: Geschäfte, Theater, Kinos, Saunen und Schwimmbäder, Friseure oder Fitnessstudios dürfen derzeit coronabedingt nicht öffnen. Selbst die Schulen sind geschlossen. "Alles dicht. Nur Wettbüros sind geöffnet", wundert sich Ricarda Berg. Was die Stätten dieser Glücksspiel-Variante so heraushebe, erschließe sich ihr nicht. Zumal es in Altendorf eine enorme Verdichtung der Wett-Angebote mit ärgerlichen Begleiterscheinungen gebe.

Die Spielhallen sind gewichen, dafür kamen die Wettbüros

Die gebürtige Essenerin lebt seit Jahrzehnten in Bonn, hat aber ein Mietshaus an der Unterdorfstraße, die von der Altendorfer Straße abgeht. In ihrer Kindheit galt die Wohnlage als einfach, aber solide, inzwischen bewegt sie sich zwischen prekär und problematisch. Lange Zeit beobachtete sie bei ihren Heimatbesuchen mit wachsendem Groll den Drogenhandel vor der Tür, ärgerte sich über die Spielhallendichte. Immer wieder wandte sie sich an Ordnungsamt, Polizei und Presse, mahnte mehr Kontrollen an. Auch weil nicht hinnehmen wollte, dass Dealer, Junkies und Kleinkriminelle die Straße erobern und ihre Mieter einschüchtern oder gleich ganz vertreiben.

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Sieben Jahre ist es her, dass wir über ihren zähen Kampf berichteten; und der sei nicht erfolglos geblieben, sagt Berg heute. "Die Polizei hat den Drogenhandel hier recht gut eingedämmt; das ist besser geworden." Auch ein Etablissement mit eindeutig-zweideutigem Angebot sei geschlossen, ebenso eine Spielhalle; denn für die gelten seit drei Jahren gesetzlich verankerte Abstandsregeln.

Dumm nur, dass nun zwar nicht mehr Spielhallen die Altendorfer Straße säumen, dafür aber Wettbüros: Rund um die Straßenbahnhaltestelle Helenenstraße gibt es auf einer Strecke von bestenfalls 300 Metern ein halbes Dutzend Wettbüros. Sprich: Mehr als zehn Prozent der insgesamt 49, die stadtweit gewerberechtlich angemeldet sind. "Allein bei uns im Eckhaus sind es zwei, Tipster und Tipico", erzählt Ricarda Berg. "Und die ziehen eine unangenehme Klientel an." Regelmäßig stünden Männergruppen vor dem Eckhaus, rauchend, palavernd, stundenlang. 

Ordnungsdienst kontrolliert stichprobenartig 

Aktuell ist das nicht erlaubt: Die Corona-Schutzverordnung lässt nur die Abgabe von Wettscheinen zu, danach sollten sich die Kunden entfernen. Verboten ist es, an den Bildschirmen in den Wettbüros Spiele oder Rennen zu verfolgen, auf die man gesetzt hat. Eine ihrer Mieterinnen habe genau das immer wieder beobachtet und die Behörden informiert, sagt Ricarda Berg. "Einmal kamen Polizei und Ordnungsamt, da haben die Betreiber einfach von innen abgeschlossen."

Essens Ordnungsdezernent Christian Kromberg teilt dazu mit, dass der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) die 49 Wettbüros "stichprobenartig oder anlassbezogen nach eingehenden Beschwerden" kontrolliere. Dabei habe es bislang in vier Fällen Hinweise auf Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung gegeben, von denen sich einer nicht bestätigt habe. "In drei Fällen besteht der Verdacht, dass sich zu viele Kunden gleichzeitig in der Wettvermittlungsstelle aufgehalten haben." Man habe die Betreiber zur Einhaltung der Schutzverordnung ermahnt und prüfe derzeit "eine bußgeldrechtliche Ahndung".

Die Altendorfer Straße wurde zur Glücksspiel-Meile

Wer die Altendorfer Straße entlangbummelt, bekommt den Eindruck, dass sich in manchem Wettbüro zu viele Kunden gleichzeitig aufhalten. Obwohl die Stühle hochgestellt sind und Aushänge auf die Corona-Regeln hinweisen. Nähert man sich der Tür, nehmen einige Kunden eilig Abschied. Andere stehen auf dem Gehweg zusammen, die Masken verrutscht, Zigaretten im Mund, die Straße im Blick: In einer Viertelstunde fahren vier Polizeiwagen die Wettbüromeile entlang, das sorgt dafür, dass sich die Gruppen rasch zerstreuen.

Ginge es nach Ricarda Berg, würden sich die Wettbüros ähnlich schnell verteilen: "Wie kann es sein, dass die so nah beieinander sein dürfen?" Dürfen sie ja nicht, erklärt die Stadt. Vielmehr sehe das Gesetz zur Ausführung des Glücksspielstaatsvertrages des Landes NRW vor, dass sogenannte Wettvermittlungsstellen einen Mindestabstand von 350 Metern Luftlinie zueinander nicht unterschreiten. Bis Ende Juni 2022 gelte allerdings eine Art Übergangsfrist für all jene Wettbüros, "die am 22. Mai 2019 bestanden haben und zu diesem Zeitpunkt über eine bestandskräftige Baugenehmigung verfügt haben".

Bislang werden die Wettbüros geduldet

Grundsätzlich vergibt das Regierungspräsidium Darmstadt Konzessionen zur Veranstaltung von Sportwetten für ganz Deutschland. Mit einer solchen Konzession kann man von der Bezirksregierung Düsseldorf die Erlaubnis erhalten, eine Wettvermittlungsstelle in Nordrhein-Westfalen zu betreiben, zum Beispiel in Essen. Doch dieses Konzessionsverfahren sei wegen eines laufenden Rechtsstreits lange Zeit ausgesetzt gewesen: "Sportwettbüros wurden geduldet", erklärt Ordnungsdezernent Christian Kromberg. Sprich: Der Mindestabstand war nicht im Blick der Behörden. Erst im Oktober 2020 ging das noch anhängige Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Hessen zu Ende, und die Vergabe der Konzessionen wurde wieder aufgenommen.

Aktuell prüfe die Bezirksregierung Düsseldorf die noch anhängigen Erlaubnisverfahren, entscheide also "welchen Wettbüros eine Erlaubnis erteilt werden kann - und welche zu schließen sind", sagt Kromberg. So könnte der Wildwuchs an der Altendorfer Straße doch noch beschnitten werden. 

+++ Corona-Schutzverordnung lässt Wettbetrieb zu +++

Das Land Nordrhein-Westfalen hat durch den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in der Corona-Schutzverordnung den Betrieb von Wettvermittlungsstellen unter Einschränkungen zugelassen.

Demnach ist in Wettannahmestellen und Wettbüros "nur die Entgegennahme der Spielscheine, Wetten und so weiter gestattet". Ein weitergehender Aufenthalt - etwa zum Mitverfolgen der Spiele und Veranstaltungen, auf die sich die Wetten beziehen - ist unzulässig. Außerdem gilt: maximal eine Person je zehn Quadratmeter.

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