Essen. Wie überzeugt man Menschen, die kaum Deutsch können, von einer Impfung? Zwei Essener Ärztinnen impfen sie in Kiosken, Pizzerien und Dönerbuden.
Das Problem ist erkannt, an der Lösung wird noch gearbeitet. Im Essener Norden sind weit mehr Menschen mit Corona infiziert als im Süden: Sie wohnen und arbeiten auf engem Raum, verstehen weniger gut Deutsch, brauchen Informationen in ihren Muttersprachen. Die Stadt hat ein erstes Aufklärungsvideo auf Arabisch erstellt, will über Multiplikatoren und mit einem Info-Mobil für die Impfung werben. Zwei Essener Ärztinnen sind jetzt einfach losgezogen und haben die Menschen an ihren Arbeitsplätzen geimpft, auch abends und am Feiertag.
„Wir gehen zu denen, die Tag und Nacht hinter der Ladentheke stehen“
„Wir gehen zu denen, die Tag und Nacht hinter der Ladentheke im Kiosk stehen oder in der Imbissbude“, sagt HNO-Ärztin Shabnam Fahimi-Weber. Ihre Praxis hat einen Standort in Rüttenscheid, einen in Borbeck am Fliegenbusch. Dort hat sie Lokale und Läden vor der Tür, in denen die ganze Familie anpackt, ohne auf die Uhr zu schauen. „Viele von ihnen wissen nicht, wie sie an eine Impfung kommen oder sie haben nach einem vergeblichen Anruf beim Hausarzt aufgegeben.“ Weil ihnen die Zeit fehlt, dran zu bleiben.
Umso größer ist die Dankbarkeit, die Shabnam Fahimi-Weber und ihre Kollegin Annette Fuhr-Horst in dieser Woche erleben: 300 Impfdosen haben sie erhalten und einen Großteil davon, quasi auf der Straße verimpft. Zum Beispiel in der Pizzeria „Capello Rosso“, wo Inhaber Agron Elshani schon geimpft war, aber viele seiner Mitarbeiter nicht, „weil sie gar nicht wussten, wo man sich melden muss“. Umso mehr haben sie sich über den unangekündigten Arztbesuch gefreut, und sich nach einer Aufklärung im Gastraum impfen lassen: zwischen Pizza Roberto und Lasagne al forno einmal Astrazeneca. „Das ist wirklich eine Super-Aktion“, sagt Elshani.
Auch abends sind die beiden Impf-Ärztinnen noch unterwegs
Das finden auch die beiden Ärztinnen, die froh sind, „diejenigen zu erreichen, die sonst nicht an eine Impfung kommen.“ Etwa das Team aus der Dönerbude am Rüttenscheider Stern, das bedauernd abwinkte, als sie kamen: „Wir arbeiten so lange, da klappt das nicht.“ Klappte doch: Sie kehrten spätabends zurück, impften nach Feierabend und hart am Rande der Ausgangssperre. Christi Himmelfahrt waren sie selbstverständlich auch unterwegs.
Bei 20 Euro pro Impfung sei diese Arbeitsweise nicht kostendeckend, zumal die Ärztinnen vor Ort von einer Auszubildenden unterstützt werden. Die Aktion funktioniere nur, weil ihre Kollegen den regulären Betrieb in der Gemeinschaftspraxis aufrecht erhalten. Auch dort impfen sie jetzt diejenigen, die sich bisher hinten anstellen müssen: Junge Patienten ab 16 Jahren. Und zwar solche, die durch eine Corona-Infektion besonders gefährdet wären, weil sie etwa Allergien oder Atemwegserkrankungen haben.
Oft haben ihrer Familien erst gar nicht versucht, einen Impftermin zu bekommen: Weil sie glaubten, chancenlos zu sein, „oder weil sie so schuften, dass sie nicht mal zu ihrem Hausarzt kommen“, sagt Fahimi-Weber. Das unverhoffte Angebot der HNO-Praxis nehmen sie gern an; die Eltern eines Asthmatikers brachten nach der Impfung Blumen vorbei.
Auch bei den Touren durch Trinkhallen und Gaststätten begegne sie Menschen, die zu einer der ersten Priorisierungsgruppen gehören, denen aber unklar sei, wie man einen Impftermin vereinbare: Wie der ungeimpfte Diabetiker, der in einer Restaurantküche arbeitete.
In sozialen Netzwerken kursieren Horrorgeschichten über die Impfung
Sie treffe auch Menschen, die die Impfung ablehnen, weil sie in sozialen Netzwerken Horrorgeschichten gehört haben à la: „Wenn Du mit Astra geimpft wirst, wächst ein Tumor in Deinem Kopf.“ Das verfange vor allem bei denen, die ungebildet sind und sich mit der deutschen Sprache schwertun. Eine junge Frau habe gesagt, ihre Eltern würden sie eher zu Hause anketten als eine Impfung zuzulassen.
Für beide Gruppen müsse man Aufklärungsarbeit in ihren Muttersprachen machen: Den einen sagen, wie sie an den Impftermin kommen – den anderen, warum sie ihn wahrnehmen sollten. Mehrsprachige Videos, wie sie die Stadt erstelle, seien ein Weg: „Aber die müssen auch in den Kanälen gesendet werden, die sich die Leute ansehen.“
„Die Leute sind so dankbar, das gibt uns auch so viel“
Fahimi-Weber deutet an, dass man die Ärzte mittelfristig vielleicht anders einsetzen müsste: Während sie bei ihrer Impf-Aktion nicht auskömmlich arbeiten könne, erhalte ein Mediziner für den Einsatz im Impfzentrum einen guten Stundensatz. Könnte man dieses Honorar nicht für mobile Impf-Ärzte zahlen, um mehr Kollegen zum Impfen auf die Straße zu bringen? Schließlich könne keine andere Berufsgruppe diese Aufgabe übernehmen.
Für sie und ihre Kollegin Annette Fuhr-Horst sei es keine Frage, dass sie rausgehen zu den Menschen in den Küchen und Kiosken: „Die Leute sind so dankbar, das gibt auch uns so viel! Prävention ist eine glücklich machende Medizin.“