Essen-Altenessen. Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Altenessen Ferkel gehandelt. Johannes Demmer erinnert sich: „Es wurde gehandelt, getrunken und gezockt.“
Viele Essener reden heute noch vom „Schweinemarkt“ und meinen damit die Fläche des Süd-Karrees in Altenessen nahe des Bahnhofs. Dort wo heute Aldi, Rewe und dm die Kunden anzieht, waren ab Ende des 19. Jahrhunderts Ferkelhändler am Werk. Glaubt man den Geschichtsbüchern, war der Altenessener Schweinemarkt deutschlandweit der größte seiner Art. Johannes Demmer war damals noch ein Kind, erinnert sich aber heute noch an die Zeit, als er auf einer Mauer saß und das Geschehen verfolgte.
Veterinär untersuchte Tiere auf Altenessener Schweinemarkt
Sein Vater Alfred Demmer war einer von vielen Schweinehändlern, die mittwochs und samstags die Tiere nach Altenessen brachten. „Mein Vater ist nachts um 3 Uhr mit seinem Opel Blitz in die Grafschaft Bentheim gefahren und hat dort 80 Ferkel gekauft“, erinnert sich Johannes Demmer an die frühen 1950er-Jahre. Um 6 Uhr war er dann zurück und die Ferkel wurden auf dem Schweinemarkt zunächst vom Veterinär in Augenschein genommen. „Die gesunden durften links in die Markthalle abbiegen, die kranken wurden direkt am Palmbuschweg geschlachtet.“ Tiere mit Maul- und Klauenseuche sowie Tiere, die humpelten, krumme Nasen oder schwarze Flecken auf dem Fell hatten, wollte der Veterinär nicht auf den Markt lassen. Zu hoch die Gefahr, dass sich Seuchen ausbreiteten.
„Die Ferkel, die zum Verkauf standen, wurden dann erstmal schön mit warmem Wasser gewaschen, mit weißem Sägemehl überworfen, aus Holztrögen gefüttert und in die Ställe mit Stroh gebracht“, erzählt Demmer und holt eine Porzellan-Figur von seinem Wohnzimmerschrank. Es zeigt ein Schwein, das von einem Kind abgebürstet wird: „Wasche und pflege dein Schwein, es wird dir dankbar sein.“
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Um 8 Uhr wurde der Markt dann eröffnet, Johannes Demmer saß oft auf einer Mauer: „Das Gefühl des Marktgeschehens ist wunderbar.“ Es kamen Bauern, Privatmenschen, Bergleute und Winzer. Damals haben viele Menschen zwei bis drei Schweine zu Hause gehalten. Einige hatten im Sommer ihre Kühe auf der Weide und kauften für den Stall Ferkel, die sie dann mästeten. Demmer stammt aus einer großen Schweinehändler-Familie und weiß: „Es gab schweinearme Gegenden und im Frühling war auf dem Altenessener Schweinemarkt Hochsaison.“ Aus jenen Gegenden Deutschlands kamen dann auch Landwirte, die die Schweine für den Metzger mästeten und Winzer von der Ahr. Dort war die Wurst nämlich auf vielen Weinfesten sehr beliebt. Weiterer Vorteil für die Weinbauern: Die Schweine liebten den Trester von den Trauben als Futter.
Auch wenn die Glanzzeit des Schweinemarktes vor dem Krieg war, erinnert sich der 68-jährige Demmer an ein buntes Treiben, das nicht immer ungefährlich war. „Die Marktpolizei war unterwegs, denn es gab auch Überfälle und Verbrecher.“ Es kamen Frauen mit Kindern, die genauso handelten wie die Männer: „Onkel Jupp hat immer die besten Geschäfte gemacht, er war ein waschechter Schweinehändler“, erinnert sich Demmer. Die Familie Kuppen aus Gladbeck habe immer sechs Schweine in einem Weidekörbchen zugedeckt zum Verkauf angeboten, Onkel Heini hatte wiederum das Glück, seine Ställe vor den Eingängen des Marktes zu haben. „Da konnten die Leute schon vor Markteröffnung kaufen“, weiß Demmer – „Eine Goldgrube für Heini.“
1962 schloss der Schweinemarkt in Altenessen
Die Goldgrube sei jedoch mitunter schnell leer gewesen: „Es wurde gehandelt, getrunken und gezockt“, erinnert Demmer an wilde Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg. In einer angrenzenden Gaststätte wurde oft die Bürokratie erledigt – „bezahlt wurde stets bar“. Nicht selten folgten ein paar kühle Getränke und ein munteres Kartenspiel. Bei der Gelegenheit sei so mancher Schweinehändler versackt.
Auch Johannes Demmer ist Jahre später in die Fußstapfen seiner Großfamilie getreten und wurde Schweinehändler. Doch die Zeiten änderten sich. Aus der Schweinezucht wurde ein Massenbetrieb, es gründeten sich Genossenschaften, die Menschen wollten lieber Stellplätze für ihre Autos statt Schweine auf ihrem Grundstück und die Preise für die Tiere sanken immer mehr. Liebevolle Pflege, frische Luft und Stroh – das ist heute nicht mehr üblich. Aus der Schweinezucht ist mit den Jahren ein Massenbetrieb geworden. „Irgendwann ging es nicht mehr, es hat sich einfach nicht mehr gelohnt“, erklärt Demmer. 1962 schloss der Schweinemarkt in Altenessen.
Gedenktafel für Altenessener Schweinemarkt gewünscht
Lesebuchkreis Altenessen freut sich über Verstärkung
Die Mitglieder des Lesebuchkreises Altenessen kümmern sich darum, die Geschichte ihres Stadtteils aufrecht zu erhalten. „Wir würden uns wünschen, dass die Identität mit dem Stadtteil wieder zunimmt und möchten Altenessen mit einer bestimmten Wertschätzung behandelt wissen“, erklärt der Leiter und Ortshistoriker Christoph Wilmer.Sie freuen sich aber jederzeit über Verstärkung. Wer dabei sein will, meldet sich bei Christoph Wilmer per E-Mail an cw@cwilmer.de
Johannes Demmer fuhr in den kommenden Jahren noch zu anderen Märkten und handelte mit Schweinen, machte eine Fleischerlehre und arbeitete erst als Kontrolleur am Schlachthof und später beim städtischen Veterinäramt. Seit vier Jahren ist er in Rente und hofft jetzt, dass am Altenessener Süd-Karree eine Gedenktafel errichtet wird, die an den Schweinemarkt erinnert. Das ist der Plan einer Initiative im Stadtteil. Demmer: „Es würde mich unheimlich freuen, wenn meine Vorfahren dadurch geehrt würden.“