Essen-Altenessen. Am Altenessener Bahnhof betrieb der Essener Willi Riethmüller einst diverse Kneipen. Auch Max Schmeling und Helmut Rahn gingen dort ein und aus.
- Boxkämpfe und Rock’n Roll war das Motto am Schweinemarkt in Altenessen nach dem Krieg.
- Peter Riethmüller erinnert sich an seinen Vater Willi, der dort mehrere Kneipen betrieb und ein echter Lebemann war.
- Eine Geschichte über das wilde Leben in den 50er-Jahren, tote Fische, Schweineblut und Monopoly.
Verschiedene Kneipen, eine Boxarena, ein Jazz-Keller, ein Spielcasino und Platz für Autoshows und Kaninchenausstellungen: Der Essener Willi Riethmüller pachtete nach dem Krieg das Gelände, wo heute das Süd-Karree am Altenessener Bahnhof steht.
Essens Fußball-Nationalspieler Helmut Rahn am Kneipen-Tresen
„Mein Vater war der große Boss im Maßanzug“, erinnert sich Sohn Peter Riethmüller an die Zeit nach dem Krieg, als er morgens zur Schule ging und sein Vater zur selben Zeit ins Bett. „Helmut Rahn und einige andere lokale Promis saßen gelegentlich noch am Stammtisch des Bahnhofs -Cafe’s, eine unserer Kneipen“, erinnert sich der 72-Jährige an den Fußball-Nationalspieler. Dort sei richtig die Post abgegangen.
In der sogenannten Stehbierhalle hätten die Gäste in Dreierreihen am Tresen gestanden – Bergleute, Redakteure und Nachbarn: „Da kam es manchmal zu Keilereien.“ Der damalige Grundschüler Peter Riethmüller hatte sein Zimmer direkt darüber, der Klang seiner Kindheit war das Stimmengewirr der Kneipe, das Quieken der Schweine vom angrenzenden Schweinemarkt und das Rattern der Züge vom Bahnhof.
2000 Personen in der Boxarena am Altenessener Schweinemarkt
Seine Mutter sei in den 50er-Jahren die Seele des Geschäfts gewesen, hätte sich um die Einkäufe und das 30-köpfige Personal gekümmert. Willi Riethmüller erfüllte ihr den Wunsch von zwei Aquarien mitten im Café: „Die Leute haben aber zu oft Bier dareingekippt, dann starben die Fische“, erinnert sich Peter Riethmüller.
Sein Vater sei der Manager mit der stets glimmenden Brasil-Zigarre gewesen, der sich jeden Morgen den Bart rasieren ließ. Dafür kam der Frisör extra von seinem Geschäft nebenan vorbei. Willi Riethmüller gründete einen Boxstall aus dem sehr gute Kämpfer wie Hans Kalbfell, Albert Westphal, Karl-Heinz Guder und Don Ellis hervorgingen und in der Außen-Arena vor 2000 Zuschauern auf Gartenstühlen in den Ring stiegen. Der Eintritt habe ungefähr 10 Mark gekostet.
Ein besonderes Highlight war der Schaukampf Archie Moore (USA) gegen Hans Kalbfell der in der Borbecker Dubois Arena stattfand. Als Ringrichter engagierte Willi Riethmüller niemand geringeres als Max Schmeling. Der Deutsche Schwergewichtsmeister Kalbfell habe sich gut geschlagen, letztlich aber nach Punkten verloren, erinnert sich der Sohn.
Später wurde Riethmüller vorgeworfen, er habe seine Kämpfer in Mailand ohne Genehmigung in den Ring geschickt, was folgte war ein jahrelanger, sehr teurer Gerichtsstreit, den Riethmüller schließlich gewann. Alle Lizenzen wurden zurückgegeben. „Von der zugesagten Entschädigung von 100.000 DM kam nie ein Pfennig an“, weiß Peter Riethmüller.
Kaninchen- und Geflügelshows am Altenessener Schweinemarkt
„Das Leben war für meinen Vater wie ein großes Monopoly-Spiel“, erklärt er. Sein Vater habe unfassbar viel Geld verdient mit den Boxkämpfen und den anderen Veranstaltungen auf seinem Gelände, auf dem es auch einen großen Saal gab. Dort trafen sich Rock’n Roll-Tänzer, Karnevalsfreunde, Kaninchen- und Geflügelzüchter: „Einmal hatte sich ein Hahn losgerissen und ist mitten in ein Gemälde geflogen, das einen großen Wald zeigte“, erinnert sich Riethmüller an eine weitere Geschichte seiner Kindheit. Der Hahn war tot, die Show ging weiter.
„Nur das Geld war kurze Zeit später immer wieder weg“, weiß Peter Riethmüller. Statt auf seine Mutter zu hören, hätte sein Vater das Geld immer wieder in neue Projekte und Ideen gesteckt. Ständig sei an- und umgebaut worden. „Er hatte einen Spiel- und Zigarettenautomatenvertrieb und einen Getränke-Lieferservice.“ Vier Opel Blitz habe er dafür gekauft – und eine Schnapsbrennerei auf seinem Gelände etabliert.
Lesebuchkreis Altenessen freut sich über Verstärkung
Die Mitglieder des Lesebuchkreises Altenessen kümmern sich darum, die Geschichte ihres Stadtteils aufrecht zu erhalten. „Wir würden uns wünschen, dass die Identität mit dem Stadtteil wieder zunimmt und möchten Altenessen mit einer bestimmten Wertschätzung behandelt wissen“, erklärt der Leiter und Ortshistoriker Christoph Wilmer.Wer dabei sein will, meldet sich per E-Mail an cw@cwilmer.de
„Die Leute lechzten nach dem Krieg nach sowas“, weiß Riethmüller und erzählt, dass dazu auch Auto-Stunt-Shows und Wrestling-Kämpfe gehörten. „Da musste ich zum Metzger gegenüber gehen und Schweineblut im Darm kaufen“, so der Essener. Das hätten sich die Kämpfer dann unter die Haare geklebt und wenn der Gegner draufgehauen habe, hätte das Schweineblut durch den Ring gespritzt. „Das war alles ziemlich verrückt.“
Essener entwickelte Merchandise-Artikel für Olympia
Anfang der 60er-Jahre endete diese Zeit. Die Schlägereien nahmen zu und sein Vater sei eines Nachts überfallen und schwer verletzt worden. „Dann mussten wir weg“, erzählt Peter Riethmüller, der im Anschluss mit seinen beiden Geschwistern und den Eltern etliche Male umgezogen ist und letztlich nicht in die Fußstapfen seines Vaters trat, sondern Sportlehrer und Rennruderer beim Ruderclub am Baldeneysee Essen (RaB) wurde.
Sein Vater hingegen blieb kreativ, ließ sich erst ein Sportgerät patentieren und verdiente später bei den Olympischen Spielen in München und bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 Geld mit Merchandise-Artikeln. Im Jahre 1987 starb Willi Riethmüller mit 72 Jahren in Düsseldorf.
Zu der Zeit hatte in seinem Saal am Altenessener Bahnhof schon das Autohaus Bendel eröffnet, was dort bis in die 90er-Jahre Bestand hatte, bevor der Investor 2014 seine Pläne für das heutige Süd-Karree als Einkaufszentrum vorstellte, das allerdings kaum jemand unter diesem Namen kennt. Für viele ist es „der alte Schweinemarkt“.