Essen-Kettwig. Nach zwei Jahren Pause können es die Oldtimer-Fans kaum erwarten: Die Kettwiger Altstadt ist am 1. Mai rappelvoll. Warum Nostalgie so guttut.

Über parkende Fahrzeuge auf dem Gehweg darf man sich zu Recht beschweren. An diesem ersten Mai-Sonntag sind sie in Kettwig jedoch höchst willkommen: Denn es ist Oldtimer-Treffen. Der Automobil-Club Kettwig im ADAC hat nach zwei Jahren coronabedingter Zwangspause wieder zum nostalgischen Stelldichein vor der Altstadtkulisse eingeladen. Um die 400 Aussteller sind dem Aufruf gefolgt.

Teilnehmende Autos müssen mindestens 30 Jahre alt sein

Der Vorsitzende des Automobil-Clubs Kettwig, Hans-Peter Briele, ist sehr zufrieden mit der Resonanz: Um die 400 Aussteller und viele Besucher sind in die Altstadt gekommen.
Der Vorsitzende des Automobil-Clubs Kettwig, Hans-Peter Briele, ist sehr zufrieden mit der Resonanz: Um die 400 Aussteller und viele Besucher sind in die Altstadt gekommen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Genau beziffern kann Vereinsvorsitzender Hans-Peter Briele, seit 14 Jahren Organisator des Events, die Anzahl der Fahrzeuge nicht. Denn im Laufe des Tages gebe es immer mal wieder einen Wechsel in der Standplatzbelegung. „So 50 bis 60 Leute mussten wir vormittags abweisen. Die drehen dann noch mal eine Runde und kommen später wieder.“ Alles kein Stress. Überhaupt haben alle die Ruhe weg.

Die Spaziergänger flanieren zwischen den Gefährten, zücken hie und da die Smartphones oder „old school“ die Fotoapparate, um festzuhalten, was besonders urig, ausgefallen oder glänzend daherkommt an alten Schätzchen. Die müssen mindestens 30 Jahre alt sein, um das begehrte H-Kennzeichen zu erhalten und beim Oldtimer-Treffen mitmischen zu dürfen. Als da sind Modelle von Alfa Romeo, Fiat, VW Käfer, VW Golf, Volvo, MG, Jaguar, Auto Union, Chevrolet, Opel, Mercedes, Porsche, Citroën, Peugeot, Mini – um nur einige Marken aus der langen Ausstellerriege zu nennen.

Mit dem Traktor schon auf dem elterlichen Hof gefahren

Stolzer Besitzer eines Deutz-Traktors aus dem Jahr 1953: Stefan Sellerbeck. Das Gefährt ist noch im Einsatz bei der Ernte.
Stolzer Besitzer eines Deutz-Traktors aus dem Jahr 1953: Stefan Sellerbeck. Das Gefährt ist noch im Einsatz bei der Ernte. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

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Auch Motorräder, Lkw und Traktoren haben sich entlang der Hauptstraße positioniert. Michael Müller und Bettina Frank hat es eine Zugmaschine von Deutz – die F1L 514, Baujahr 1953 – angetan. Abwechselnd besteigen sie das Gefährt, lassen den Motor an, prüfen die Federung. „Nur ein Zylinder, das ist echt der Hammer“, sagt Müller begeistert. „Eine noch sehr einfache Technik, aber sie funktioniert bis heute, einfach toll“, ergänzt seine Begleiterin. Das Paar kommt aus Mülheim, ebenso der Besitzer Stefan Sellerbeck. „17 Stundenkilometer macht der Traktor maximal, für die Fahrt von Mülheim-Menden hierher habe ich 20 Minuten gebraucht“, berichtet der 57-Jährige lachend.

Mit dem Traktor habe er einst auf dem elterlichen Hof fahren gelernt, berichtet Nebenerwerbslandwirt Sellerbeck. Noch heute sei das Gefährt, das übrigens als Einziges unter den in Kettwig präsentierten ein Dach aufweist, im Dienst bei der Streuobsternte und sogar als Zugmaschine. Michael Müller zollt dem hohe Anerkennung und sagt mit Blick auf den Kettwiger Rathausplatz: „Viele der ausgestellten Fahrzeuge verschwinden nach und nach aus dem Stadtbild. Das ist schade. Der Fiat Ritmo, das Honda Cabriolet, die Göttin...“

Die Göttin – eine Erinnerung aus Kindheitstagen

Die Letztgenannte gibt es in Kettwig an diesem Tag gleich in verschiedenen Versionen zu sehen. Guido Hagemann aus Dinslaken hat sich mit seiner französischen Limousine von Citroën, DS 20 Pallas in Bleu d’Orient, vor dem Rathaus einen Platz ergattert. „La déesse“ heißt übersetzt „die Göttin“ und ein wenig wie in einer Sänfte fährt es sich in ihr. Das leichte Schaukeln hat der 57-Jährige noch aus Kindheitstagen sehr gut in Erinnerung. „Mein Vater hat genau so einen Wagen gefahren.“

Blick unter die Haube der Göttin: Die 1970 gebaute Limousine, ein DS 20 Pallas der Marke Citroën, ist mit Halbautomatik, Hydropneumatik und den schon damals mitlenkenden Scheinwerfern ausgestattet.
Blick unter die Haube der Göttin: Die 1970 gebaute Limousine, ein DS 20 Pallas der Marke Citroën, ist mit Halbautomatik, Hydropneumatik und den schon damals mitlenkenden Scheinwerfern ausgestattet. © Unbekannt | Vladimir Wegener

Der Wunsch, selbst dieses Modell zu chauffieren, erfüllte sich für ihn 2017. Das 1970 erbaute DS-Modell mit Halbautomatik, Hydropneumatik und den schon damals mitlenkenden Scheinwerfern kaufte er einem Nachbarn ab. „Mit dem Auto fährst du ganz anders, es ist mehr so ein Gleiten“, schwärmt Guido Hagemann, dem inzwischen auch ein Mercedes mit Heckflosse, Baujahr 1964 (einen ebensolchen fuhr sein Vater später), gehört.

Die modernen Wagen seien zwar umwelttechnisch besser, aber von der Form her klobig, uniform, austauschbar, findet Guido Hagemann. Dessen Göttin hat zwar schon 365.000 Kilometer runter, mit dem runderneuerten Motor darf sie aber immerhin bleifrei tanken.

Im Retrodesign der 1930er Jahre: ein Golden Spirit der Marke Zimmer Motorcars Corporation.
Im Retrodesign der 1930er Jahre: ein Golden Spirit der Marke Zimmer Motorcars Corporation. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Nostalgie pur im gletscherblauen Saab

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Nostalgie pur, das treibt auch Gudrun Mack und Michael Fuest an, die auf dem Heckfenster ihres Saab „Just married“ stehen haben und am Rande des Kettwiger Rathausplatzes die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich ziehen. „Baujahr 1964, genauso wie wir“, sagt Gudrun Mack lachend. „Geheiratet haben wir im November, aber bald ist kirchliche Hochzeit. Solange bleibt es da stehen.“

Den Dreizylinder mit seinen 38 PS hat das Paar aus Duisburg auf der schwedischen Ebay-Plattform gekauft – und ihn aus Schweden gleich selbst nach Hause gefahren. Die Pastellfarbe Gletscherblau gefiel Gudrun Mack auf Anhieb. Das sei aber kein Wunder, sie bevorzuge halt helle Töne: „Studienkollegen haben mich immer ‘Mademoiselle Pastelle’ genannt“, gesteht sie grinsend.

Die Musik ist passend zu den Oldtimern aus den 50er und 60er Jahren

Passend zu den Oldtimern gibt es an diesem Mai-Sonntag Musik der 1950er und 1960er Jahre aufs Ohr. Die „Java Guitars“ aus Holland sorgen auf der Bühne an der Hauptstraße mit Rock’n’Roll für Stimmung. Das Publikum genießt Sekt, Selters und Grillgut an den Biertischen auf dem Märchenbrunnenplatz. Hans-Peter Briele nickt zufrieden. Schließlich hat auch das Wetter mitgespielt. „Die Stadt ist proppenvoll. Und wir in Kettwig sind die ersten mit unseren Oldtimern“, feixt er augenzwinkernd im Hinblick auf die Tour-de-Rü-Veranstaltung nächste Woche. Kettwig sei halt Kettwig.