Essen. Von der stillgelegten Zeche zum kreativen Produktionsort: Das Festival „New Now“ in Essen macht Zollverein zum Zentrum für digitale Kunst.

Der Mond am Himmel über Essen rundet sich gerade wieder zur vollen Pracht. Auf Zollverein allerdings ist der Vollmond schon seit diesem Wochenende als Lichtinstallation zu bewundern. 40 Laserprojektoren, gespeist wiederum aus dem Sonnenlicht, das Kollektoren tagsüber auf dem Parkplatz der Kokerei Zollverein speichern, sorgen für das himmlische Strahlen. Die Lichtinstallation „Another Moon“ des Künstler-Duos „Kimchi and Chips“ ist Teil des großen Ausstellungsprojekts „New Now“ auf dem Welterbe Zeche Zollverein.

Ein zweiter Mond strahlt über Zollverein – Weltpremiere nach sechs Jahren Vorbereitung

Sechs Jahre haben die Vorarbeiten für das digitale Mond-Monument gedauert bis zur Weltpremiere auf Zollverein. Weitere internationale Rezidenzkünstlerinnen und -Künstler haben dort in den vergangenen drei Wochen raumgreifende Kunstinstallationen geschaffen, die bis zum 3. Oktober auf zwei Etagen der Mischanlage von Zollverein zu erleben sind. Sie beschäftigen sich nicht nur mit dem industriellen Erbe der Region, sondern diskutieren auch gesellschaftliche Fragen.

Theodor Grütter, Vorstand der Stiftung Zollverein, versteht „New Now“ nicht allein als reine Ausstellung, sondern als Kunst- und Produktionsfestival. Gemeinsame Exkursionen, Workshops und Recherchen haben die Teilnehmer aus den USA, China, Brasilien, Österreich und Frankreich in den vergangenen Wochen mit Ort und Geschichte des Ruhrgebiets bekannt gemacht. Das Verhältnis von Mensch, Natur und Technik oder die Bedeutung fossiler Energieträger für die heutige Gesellschaft sind in die aktuellen Arbeiten eingeflossen. Darüber hinaus werden Werke weiterer renommierter Digitalkünstler gezeigt.

Festival New Now: Blick aus der Vogelperspektive über das Garzweiler-Gelände

Obschon die digitale Kunst nicht erst seit Ausbruch der Corona-Pandemie einen neuen Stellenwert auf dem Kunstmarkt bekommen hat, gelingt es „New Now“, die Arbeiten vor allem auch durch die besondere Aura des Ortes wirken zu lassen. Allein die riesige Videoinstallation „Slow Violence“, mit der Joanie Lemercier das Garzweiler-Gelände aus der Vogelperspektive betrachtet und zur monumentalen Langzeitbetrachtung eines Zerstörungsprozesses macht, bekommt vor der Kulisse der mächtigen Beton-Bunker enorme Wucht.

Abbruch statt Aufbruch: Ausstellungsbesucher der Essener Kokerei Zollverein betrachten die Arbeit „Slow Violence“ von Joanie Lemercier, die sich mit den Auswirkungen des Übertagebaus auf den Hambacher Forst beschäftigt.
Abbruch statt Aufbruch: Ausstellungsbesucher der Essener Kokerei Zollverein betrachten die Arbeit „Slow Violence“ von Joanie Lemercier, die sich mit den Auswirkungen des Übertagebaus auf den Hambacher Forst beschäftigt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Nicht alles freilich ist so selbsterklärend wie der Blick auf die Zerstörung des Hambacher Forsts. Künstlerinnen wie Danielle Brathwaite-Shirley setzen bewusst auf Interaktion mit dem Publikum. In ihrer „Black power Simulation“ wird die Übermittlung persönlicher Daten zum Teil der Arbeit. Jeder, der sein Handy zur Hand hat, kann hier die Spielregeln mitbestimmen.

Künstler-Kollektiv lässt das geheime Innenleben eines Mammutbaumes erkunden

Auf die Erweiterung des künstlerischen Erfahrungsraums mit Hilfe der VR (Virtual Reality)-Brille setzt das Kollektiv Marshmallow Laser Feast und lässt den Besucher eintauchen in das geheime Innenleben eines riesigen Mammutbaumes. Während die Isländerin „Disa“ einen farbig schimmernden „Coal Chrystal Garden“ über dem metertiefen Schlund der riesigen Kohletrichter schweben lässt. „Burnt out“ statt Burn out heißt es bei Stine Deja. Ihre Videoinstallation in Form eines Kartenhauses setzt sich mit der Bedeutung von Kohle und Feuer für unser Zusammenleben auseinander.

Der Einsatz des eigenen Handys ist in der Ausstellung „New Now“ auf dem Welterbe Zollverein durchaus erwünscht: Künstlerin Johanna Bruckmann zeigt, wie’s funktioniert.
Der Einsatz des eigenen Handys ist in der Ausstellung „New Now“ auf dem Welterbe Zollverein durchaus erwünscht: Künstlerin Johanna Bruckmann zeigt, wie’s funktioniert. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Außeninstallation „Another Moon“

„New Now“, das Festival für Digitale Künste, läuft noch bis zum 3. Oktober in der Mischanlage der Kokerei Zollverein, täglich 12 bis 20 Uhr. Tickets: 8/erm. 5 €. Die künstlerische Leitung hat Jasmin Grimm. Mehr Infos zum Festival; newnow-festival.com/programmDie Außeninstallation „Another Moon“ von Kimchi and Chips leuchtet an jedem Abend über dem Maschinenpark auf Zollverein. Am Wochenende, 18./19. September, treffen sich Künstler zur interdisziplinären Konferenz „Another End Is Possible“.

Für NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen ist „New Now“ auch Ausdruck „eines kreativen Ruhrgebiets, das sich immer wieder neu erfindet“. Das Land NRW hat das Festival maßgeblich gefördert und wird auch in den kommenden Jahren dafür sorgen, dass „Zollverein zu einem, vielleicht sogar zu dem Standort für digitale Künste“ werden kann, hofft Theodor Grütter. Das Festival schaffe neue Räume für die künstlerische Auseinandersetzung „mit Fragen unserer Zeit“, betont Pfeiffer-Poensgen.

Und dass an jenem Ort, wo die Ausstellung „Sonne, Mond und Sterne“ 1999 den Grundstein für die neue, kulturellen Nutzung der Kohlemischanlage legte, nun ein virtueller Mond in die Zukunft weist, ist die besondere Abrundung dieses Projekts.