Essen-Rüttenscheid. Der geplante Wohn- und Geschäftskomplex an der Rüttenscheider Brücke steht in der Kritik. Wir dokumentieren die wichtigsten Streitpunkte.
Der Hopf-Gruppe schlägt mit ihren Plänen zum Bauprojekt an der Rüttenscheider Brücke viel Kritik entgegen. Das zeigte sich jüngst erneut bei den Bürgerversammlungen in der Messe Essen, zu denen die Stadt
im Zuge des Genehmigungsverfahrens
eingeladen hatte.
Der Investor hat sich bereit erklärt, die Entwürfe noch einmal auf den Prüfstand zu stellen – nur im Detail allerdings, nicht im Grundsatz, wie es einige fordern. Bei einer weiteren Gesprächsrunde mit Anwohnern und weiteren interessierten Bürgern sollen Wünsche und Einwände erörtert werden. Moderator Professor Klaus Selle, der das Verfahren begleitet, hat im Vorfeld einige Diskussionspunkte benannt:
Unterschiedliche Varianten für die Bauhöhe
Zur Höhe der vier geplanten Gebäude sind mehrere Zahlen im Spiel. Von sieben Stockwerken plus Staffelgeschoss (Penthousewohnung) war anfangs die Rede. Als sich im vergangenen Jahr
der Stadtplanungsausschuss die Pläne vornahm
, hieß es, allenfalls dürften es sieben Etagen für das Gebäude an der Ecke Rü/Wittekindstraße sein, im weiteren Verlauf der Straße sollten sich die Häuser terrassenförmig verringern auf maximal fünf Geschosse.
Maximal vier Geschosse seien hinnehmbar, forderten wiederum Vertreter des Bürgerforums
bei den Zusammenkünften jüngst in der Messe Essen
. Dazu hat Klaus Sälzer, Geschäftsführer der Hopf-Gruppe, aber bereits wissen lassen, dass sich mit einer derart geringen Anzahl an Geschossen und damit Wohnungen der gesamte Komplex unklusive des neuen Platzes nicht wirtschaftlich realisieren lasse. Insgesamt sieht Hopf 120 bis 140 Wohnungen vor plus Büroflächen und Ladenlokale.
Der Anwohner und frühere städtische Amtsleiter Klaus Wermker, der sich im Bürgerforum engagiert, favorisiert nach wie vor die Lösung, die der Ratsausschuss ins Gespräch gebracht hat. Dadurch werde auch auf die Höhe der Nachbargebäude Rücksicht genommen, erklärt er.
Beim neuen Platz an der Rüttenscheider Brücke ist die Nutzbarkeit noch unklar
Die Pläne, einen neuen Platz zu schaffen und diesen an die Rüttenscheider Brücke anzudocken, rufen Für und Wider hervor. Rolf Krane, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Rüttenscheid, befürwortet die Idee vom Grundsatz her, schließlich mangele es im Stadtteil an Plätzen. Das große Aber sei dennoch angebracht, weil die Fläche möglicherweise nicht in Gänze zur Verfügung stehe. Schließlich seien Glasflächen vorgesehen, damit Fuß- und Radweg, die eine Etage tiefer liegen, noch genug Licht abbekommen. Wenn diese aber dann nicht betreten werden dürften oder abgesperrt seien, werde das die Funktion eines Platzes erheblich beeinträchtigen.
Das von Klaus Sälzer beauftragte Architektenbüro hat inzwischen drei Modelle mit unterschiedlichen Platzgrößen erarbeitet. Alle Konzepte sehen vor, die darunterliegende Wege für den Anlieferverkehr der Messe sowie den Fuß- und Radweg teilweise zu überdeckeln. Variante I: Zwischen den Neubauten und dem Girardethaus entsteht ein Areal mit überwiegend Grünfläche. Allerdings bleibt zwischen dem Platz und der Brücke eine größere Öffnung, um für Helligkeit auf den Trassen zu sorgen. Die Unterführung käme auf eine Länge von 38 Metern.
Variante 2: Hier rückt der Platz direkt an die Brücke ran, der Tunnel ist danach 53 Meter lang. Tageslicht kann durch mehrere drei metergroße Oberlichter einfallen. Variante 3: Auch in diesem Modell liegt der Platz direkt an der Brücke , ist aber wesentlich kleiner. Der Tunnel hätte eine Länge von 24 Metern. Der zuständige Düsseldorfer Architekt Antonino Vultaggio betont: Erst mit der Überbauung entsteht ein Platz, der auch für Veranstaltungen und Märkte genutzt werden kann.
Geplanter Tunnel soll keine neuen Angsträume schaffen
Bereits heute führt der Zustand von Rad- und Fußweg zu Unmut, besonders unterhalb der Brücke. Wenn nun ein Tunnel entstehe, um den Weg unterhalb des Bauvorhabens entlangzuführen, werde sich die Situation eher verschlechtern, so die Bedenken. Sorge gibt es auch, dass Angsträume entstehen. Der Kritik, Oberlichter oder Glasflächen auf dem Platz könnten nur ungenügend Helligkeit liefern, entgegnet Vultaggio, dass ein eigenes Gestaltungs- und Beleuchtungskonzept vorgesehen sei, um die Aufenthaltsqualität zu verbessern.
Viele Bürger halten Rampe an der Wittekindstraße für unverzichtbar
Umstritten ist auch, die Rampe an der Wittekindstraße verschwinden zu lassen, über die eine Verbindung von der Rü zum besagten Fuß- und Radweg besteht. „Die wird tagtäglich massenweise von Fußgängern und Radfahrern genutzt“, erläutert Klaus Wermker. Zudem erreiche man so auch das Girardethaus. Wenn die Rampe entfalle, seien erhebliche Nachteile die Folge. In der Bürgerrunde soll nach möglichen Lösungen gesucht werden.
Den Fuß- und Radweg halten manche für nicht breit genug
Die Breite des Fuß- und Radweges ist ein weiterer Kritikpunkt. Fünf Meter seien derzeit dafür vorgesehen, so Wolfgang Packmohr von der Vereinigung Fuss e.V. Ob das ausreichend sei, gelte es erst durch Zählungen zu ermitteln. Zudem sei es erforderlich, Fuß- und Radweg zu trennen. Die Wege am Baldeneysee und die Kettwiger Promenade seien Beispiele, dass ein gemeinsamer Weg für Radler, Fußgänger und weiteren Freizeitnutzern nicht funktioniere. Ferner hat Messe-Chef Oliver P. Kuhrt
mehrfach auf die immense Bedeutung hingewiesen, die der hintere Teil des Geländes für die Messe-Logistik hat.
Auch nach einem Neubau bleibt der weitaus größte Teil des Ex-Güterbahnhofs Parkfläche im Eigentum der Messe.
Insgesamt stehen laut Architekt Vultaggio 13 Meter Breite für alle Verkehrsteilnehmer zur Verfügung. Es wird sich also auch darum drehen, wie man diesen verfügbaren Raum am besten aufteilt.
Gutachter: Klima wird durch das Bauvorhaben nicht beeinträchtigt
Für das Klima im Stadtviertel wird das Bauprojekt an der Rüttenscheider Brücke keine negativen Folgen haben. Zu diesem Ergebnis kommt der Dorstener Klimatologe Georg Ludes in seinem Klimagutachten, in dem er die Auswirkungen des Vorhabens auf Wind- und Witterungsverhältnisse beleuchtet. Weder die Frischluftzufuhr noch die Belüftung in dem Quartier würde durch die geplanten Gebäude gemindert, heißt es in dem gut 40-seitigen Papier, das im Auftrag des Investors, der Hopf-Gruppe, entstand.
In dem Gebiet gebe es schon mehrere Hitzeinseln, die auch bei Nacht kaum abkühlen würden. Die starke Versiegelung der früheren Güterbahnhof-Fläche, die vorhandene Bebauung als auch „fehlende Vegetation“ nennt Ludes als die wesentlichen Ursachen. Hohe Temperaturen seien zudem auf dem angrenzenden Messeparkplatz östlich des Baugebietes zu verzeichnen. Denn auch hier mangele es an Grün und Schattenwurf. Zur Abkühlung können Grünzüge und Parks beitragen, erklärt der Ingenieur, der Grugapark habe eine solche Wirkung auf das Baugebiet aber nicht. Durch dessen Lage in einer Senke werde die Kaltluft nach Norden geleitet, nicht aber in die höher gelegenen Wohngebiete von Rüttenscheid.
Um die Wärmebelastung zu verringern rät Ludes dazu, die Dächer und Fassaden der geplanten Häuser zu begrünen. Helle Farben würden einen zusätzlichen Beitrag leisten. Schließlich empfiehlt der Gutachter, auf dem vorgesehenen Platz an der Brücke möglichst große Grünanlagen zu pflanzen.
Zweifel an Aussagen zur Bedeutung der Bäume
Den rund 20 Bäumen, die für das Bauvorhaben gefällt werden müssten, räumt Ludes eine nicht so starke Rolle als Kühlfaktoren ein. Im Prinzip würden sie nur dann wirklich Schatten spenden, wenn man sich in unmittelbarer Nähe befinde.
Klaus Wermker vom Rüttenscheider Bürgerforum zieht die Aussagen von Ludes zu den Bäumen in Zweifel. Nach seiner Ansicht gehe mit deren Fällung schon ein enormer Verlust einher. Der lasse sich auch kaum mit Fassadengrün auffangen, das ohnehin bei Neubauten heutzutage Standard sei.
Auch Pflanzen und Sträucher auf dem neuen Platz würden keinen wirklichen Ersatz für die jahrzehntealten Bäume darstellen. Sollten auf der Fläche wirklich Bäume gepflanzt werden, könne es sich nur um Exemplare mit geringer Höhe handeln. Denn großes Wurzelwerk werde sich in den Beeten auf dem Platz kaum bilden können.
Bürgergespräch als Online-Konferenz
Eigentlich sollte der Workshop zur Bebauung an der Rüttenscheider Brücke in der Volkshochschule am Burgplatz stattfinden. Aufgrund von Corona ist nun eine Online-Konferenz vorgesehen.
Zudem war ein Quorum für die rund 40 Plätze vorgesehen: Aus der direkten Nachbarschaft und aus dem gesamten Stadtteil Rüttenscheid sollten jeweils ein Drittel der Besucher stammen. Ein weiteres Drittel war für Bürger aus anderen Stadtgebieten vorgesehen.
Im Vorfeld waren die Veranstalter (Stadt und Bürgerforum) davon ausgegangen, dass sich deutlich mehr als 40 Besucher mitmachen wollen. Doch es haben sich nun 44 Bürger angemeldet, die auch alle eingeladen werden: 18 leben im direkten Umfeld, 19 weitere sind in Rüttenscheid zuhause und sieben weitere leben in anderen Essener Stadtteilen.
Ergebnisse des Forums wird den politischen Gremien zur Verfügung gestellt
Während des Workshops werden die Gäste per Video mit den Architekten des Investors, Vertretern der Stadt und dem Team von Moderator Klaus Selle in Verbindung stehen. Die Ergebnisse des Workshops sollen in einer Zusammenfassung sowohl den politischen Gremien als auch dem Investor zur Verfügung gestellt werden.
Derzeit läuft noch die so genannte frühzeitige Bürgerbeteiligung. Es folgt noch die offizielle Aufstellung eines Bebauungsplanes. Im Zuge dieses Verfahrens haben die Bürger ein weiteres Mal Gelegenheit, ihre Bedenken zu äußern.