Essen. Janine Schweitzer ist Inhaberin einer Essener Tatortreinigung. Die 40-Jährige erzählt von einem Beruf, den viele nur aus Fernsehkrimis kennen.
Janine Schweitzer ist eine Frau mit Ausstrahlung. Sie ist fröhlich, lacht viel und redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Der Beruf der 40-Jährigen ist hingegen nichts für Zartbesaitete: Schweitzer ist Tatortreinigerin. Sie säubert Wohnungen und Häuser, in denen Menschen gestorben sind. Von ihrem Essener Firmenstandort aus reist die ausgebildete Desinfektorin zu Leichenfundorten in ganz Nordrhein-Westfalen.
Mit der populären NDR-Serie „Der Tatortreiniger“ habe ihr Berufsalltag wenig gemein, erzählt Schweitzer – wenngleich kein Tag wie der andere sei und es schon einmal zu skurrilen Situationen komme. Zum Beispiel zu folgender: Ein Mensch verstirbt auf seiner Matratze, die Leiche wird erst nach fünf Monaten gefunden und ist bereits skelettiert. Eigentlich sollte der Bestatter alle menschlichen Überreste abgeholt haben.
Immer mehr Leute interessieren sich für den Beruf – viele sind aber auch nicht geeignet
„Mein Mann ist in meiner Firma angestellt und war auch am Leichenfundort. Er rief mir zu: Guck mal, ich glaube, hier liegen Hühnerknochen“, erinnert sich Schweitzer. „Da habe ich nur geantwortet: Glaub ruhig, dass das Hühnerknochen sind.“ Und in der Tat: Der Bestatter hatte zwei Wirbelknochen übersehen.
Es liegt auf der Hand, dass der Beruf nicht für jeden geeignet ist. Durch die TV-Serie und die allgemein steigende Begeisterung für True-Crime-Inhalte bekäme sie häufig Anfragen, etwa für Praktika, erzählt Schweitzer. Am Ort des Geschehens lasse sich dann schnell feststellen, ob der Anwärter tatsächlich als Tatortreiniger geeignet sei: „Wenn die Leute in der Pause dann ganz zugeschnürt sind und ihr Butterbrot nicht runterkriegen, kann man es vergessen.“
Häufiger als Verbrechen sind Leichen, die lange Zeit nicht gefunden werden
Dabei ist Schweitzer nicht etwa dafür zuständig, die Leiche oder Leichenteile abzutransportieren. Das macht nämlich der Bestatter. Und anders als von vielen angekommen, sind die meisten ihrer Einsatzorte auch keine Verbrechensschauplätze. „Ich hatte tatsächlich erst einen Mordfall“, erzählt die 40-Jährige.
Stattdessen habe sie es häufiger mit einem Phänomen zu tun, das vor allem in Großstädten zu beobachten sei: Alte Menschen, die sterben und längere Zeit nicht gefunden werden. Denn in diesem Fall tritt Flüssigkeit aus dem toten Körper aus und er beginnt zu riechen. Vor kurzem ist Schweitzer zu einem Fundort nach Lübeck ausgerückt, wo eine Leiche anderthalb Jahre nicht gefunden wurde. Sie war bereits mumifiziert.
Tatortreiniger betreten Wohnungen nur mit Atemschutz und Schutzanzug
Wenn es an die Reinigung geht, ist Schweitzer meist die erste aus dem dreiköpfigen Team, die den Leichenfundort betritt. Sie trägt Handschuhe, einen Atemschutz und einen Schutzanzug, der Viren und Bakterien fernhält. „Wir müssen immer von dem Schlimmsten ausgehen“, sagt die Tatortreinigerin – zum Beispiel davon, dass der Tote eine ansteckende Krankheit hatte.
Bei Suiziden ist es meist Blut, das Schweitzer entfernen muss, in selteneren Fällen auch Hirnmasse: „Wenn sich jemand mit einer Schusswaffe umbringt, kann es sein, dass da noch etwas an der Decke klebt.“ Es kommt auch vor, dass die Tatortreinigung mit Hochdruckreiniger jene Züge säubern, vor die sich Selbstmörder werfen. „Einmal haben wir da einen Schuh gefunden. Natürlich haben wir zuallererst gehofft, dass da kein Fuß mehr drin ist“, erzählt Schweitzer.
Besonders der Leichengeruch hält sich hartnäckig in der Wohnung
An Leichenfundorten muss vor allem der sogenannte Leichensaft beseitigt werden. „Tote Körper beginnen, sich zu verflüssigen“, erklärt Schweitzer nüchtern. Die Flüssigkeit sammelt sich auf dem Boden, kriecht in Tapeten und Fußböden. Mit Desinfektionslösung, Schwämmen und Zelltüchern rückt die Tatortreinigerin dem Leichensaft auf den Leib, manchmal müssen Böden und Tapete auch herausgerissen werden.
Hartnäckiger als die Flüssigkeiten ist jedoch der Leichengeruch. „Den aus der Wohnung herauszubekommen, kann unter Umständen Wochen dauern“, bestätigt Schweitzer. Dafür gibt es verschiedene Präparate und ein eigenes Geruchsneutralisationsgerät. Der Geruch kann auch zur Belastungsprobe für die Tatortreiniger werden. „Je nachdem, ob ein Toter zum Beispiel Alkohol getrunken oder Medikamente genommen hat, kann es schon sehr unangenehm werden“, so Schweitzer.
„Solange es nicht um Kinder geht, bin ich da ganz nüchtern“
Die Arbeit mit nach Hause nimmt die Tatortreinigerin jedoch nur selten: „Solange es nicht um Kinder geht, bin ich da ganz nüchtern.“ Für sie stehe die Professionalität im Vordergrund: „Diese Arbeit soll und kann niemand machen, der das nicht gelernt hat. Erst recht kein Angehöriger.“ Denn obwohl der Beruf immer bekannter werde, kämen immer noch verhältnismäßig wenige Leute im Ernstfall auf die Idee, einen Tatortreiniger zu rufen: „Viele Leute denken, der Hausmeister macht mal schnell sauber – oder sogar sie selbst.“
Insgesamt sind es aber tatsächlich gar nicht die Leichenfundorte, die einen Großteil von Schweitzers Arbeit ausmachen: „Zu 80 Prozent entrümpeln und reinigen wir Messie-Wohnungen.“ An diesen menschlichen Schicksalen hänge auch ihr Herz, verrät Schweitzer. Die spannendsten Geschichten aus ihrem Berufsalltag hat die Tatortreinigerin nun in einem Buch zusammengefasst, dass im Sommer im mvg-Verlag erscheint.
Keine festgelegte Ausbildungsordnung für Tatortreiniger
Für den Beruf des Tatortreinigers gibt es in Deutschland aktuell noch keine feste Ausbildungs- oder Umschulungsordnung. Einige praktizierende Tatortreiniger haben eine Ausbildung zum Gebäudereiniger oder Schädlingsbekämpfer mit Weiterbildung zum staatlich geprüften Desinfektor absolviert, bevor sie eine Umschulung zum Tatortreiniger gemacht haben.
Voraussetzungen für den Beruf sind ein widerstandsfähiger Magen und eine hohe Toleranz für Ekel. Außerdem müssen Berufsanwärter in der Lage sein, mit psychisch belastenden Situationen umzugehen und sachlich mit dem Tod umzugehen.