Essen. Die Ausgangssperre greift in Essen ab Samstag, ab Montag müssen die Läden auf „Click & Meet“ verzichten. Und das ist womöglich noch nicht alles.
Die Bundes-„Notbremse“, mit deren Hilfe die Zahl der Corona-Infektionen in Schach gehalten werden soll, sie entfaltet in Essen schon an diesem Wochenende einen Großteil ihrer Wucht: Zwei der drei im Gesetz festgelegten Schwellenwerte wurden im Stadtgebiet bereits überschritten – mit weitreichenden Folgen. Und die dritte Stufe mit weiteren Einschränkungen ist zumindest in Sichtweite. Aber der Reihe nach:
Der Auslöser
Dass Essen die Ausgangssperre blüht, wenn das „Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ beschlossene Sache ist, war früh klar: Seit dem 22. März liegt die vom Berliner Robert-Koch-Institut errechnete Sieben-Tage-Inzidenz in der Stadt mit einer einzigen Ausnahme (Inzidenz 99 am 8. April) durchgehend über dem Schwellenwert von 100. Dabei reichen schon drei aufeinanderfolgende Tage, um die jetzt beschlossene Bundes-„Notbremse“ auszulösen.
Die Ausgangssperre
Größter Aufreger ist fraglos die Ausgangssperre, die auch mit der Formulierung „Ausgangsbeschränkung“ nicht harmloser daherkommt. Sie besagt, dass außerhalb der Wohnung der Aufenthalt am Abend ab 22 Uhr bis um 5 Uhr des Folgetages schlicht „untersagt“ ist. Zu den wenigen Ausnahmen zählen (nicht nur medizinische) Notfälle, der Weg vom und zum Job sowie die Berufsausübung, die „unaufschiebbare“ Betreuung etwa von Kindern oder Pflegebedürftigen und die Versorgung von Tieren.
Eine „Verlängerung“ der persönlichen Freiheit um zwei Stunden, also von 22 Uhr bis Mitternacht, ist immerhin für all jene möglich, die sich zu später Stunde im Freien einer „allein ausgeübten körperlichen Bewegung“ widmen, joggen also oder spazieren gehen. Wichtig aber: „allein“.
Die Schließungen
Zahlreiche Einrichtungen werden geschlossen, wenn sie es in den vergangenen Tagen und Wochen nicht ohnehin schon waren: von Bädern über Bibliotheken bis zu Bordellen, um einmal das ganze Spektrum zu beschreiben. Auch Spielhallen und Wettannahmestellen müssen neuerdings schließen, zudem die Museen, die erst vor gut sechs Wochen ihre Pforten wieder geöffnet hatten. Freiluft-Sportanlagen sind immerhin noch zugänglich, dürfen aber nur zum Individualsport genutzt werden.
Was immer man vorhat: „Heute geschlossen“ ist eher die Regel, nicht die Ausnahme. Der Verkauf von Speisen und Getränken zum Mitnehmen ist nach 22 Uhr nicht mehr gestattet, die Auslieferung allerdings schon. Keine Rede ist einstweilen mehr von den geplanten Modellprojekten, bei denen in Essen ab dem 26. April private Feiern in der Gastronomie und ein Fitnessclub zaghaft öffnen sollten, um zu beobachten, wie sich dies auf das Infektions-Geschehen auswirkt. Als K.o.-Kriterium galt dort eine Sieben-Tage-Inzidenz unter 100, und die ist vorerst nicht in Sicht.
Die Maske
Im Supermarkt reicht auch künftig die medizinische Gesichtsmaske (Mund-Nase-Schutz), beim Friseur und bei der Fußpflege sind wie bei den anderen erlaubten „körpernahen Dienstleistungen“ jedoch Atemschutzmasken (FFP2 oder vergleichbar) zu tragen. Gleiches gilt für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr, in Bussen und Bahnen wie auch in U-Bahn-Stationen: Die medizinische Maske reicht nicht mehr, benötigt wird bei der Fahrt eine Atemschutzmaske.
Manchem bei der Ruhrbahn schwant, dass dies mindestens für manche Diskussion, vielleicht auch für handfesten Ärger sorgen könnte. Man werde deshalb, so hieß es am Freitag, anfangs womöglich etwas Nachsicht walten lassen, bis die Fahrgäste sich daran gewöhnt haben.
Der Nahverkehr
Die Stadt hat der Ruhrbahn gegenüber deutlich gemacht, dass es keinerlei Einschränkung des Nahverkehrs-Angebots in Bussen und Bahnen geben soll. Dies, obwohl man dort derzeit nur bei 50 bis 60 Prozent der Vor-Corona-Auslastung liegt. Da viele Abonnenten treu bei der Stange bleiben, bewegt sich das Einnahme-Minus der Ruhrbahn nur bei etwa 20 Prozent.
Selbst wenn die Schulen wieder schließen müssen, dürfte dies keine weiteren Einschränkungen des Nahverkehrs-Angebots nach sich ziehen. Grund laut Ruhrbahn: Die komplexe Dienstplanung erfordert rund 14 Tage Vorlauf, beim Wiederanfahren des Betriebs, das binnen Zwei-Tages-Frist erforderlich sein könnte, würde es womöglich arg ruckeln.
Der Grugapark
Botanische Gärten dürfen zwar öffnen, allerdings schreibt das Gesetz vor, dass von allen Besuchern ab sechs Jahren ein negativer Corona-Schnelltest vorzulegen ist. Testen lassen, um hernach an der frischen Luft spazieren gehen zu können – diese Regelung löste über die sozialen Netzwerke auf Anhieb dermaßen großes Unverständnis und Empörung aus, dass die Stadt es mit einem Kniff versucht: Sie hat die weitläufige Gruga als „Allgemeine Grünanlage“ klassifiziert – mit der Folge, dass sie bis auf weiteres wie etwa der Borbecker Schlosspark oder der Zollverein-Park auch ohne Test zu begehen ist.
Der Einzelhandel
„Click & Meet“, also im Internet einen festen Termin buchen und dann mit negativem Corona-Schnelltest einkaufen gehen – auch diese Regelung wird durch die Gesetzes-„Notbremse“ außer Kraft gesetzt, dies allerdings nicht bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100, sondern erst ab 150.
Doch auch diesen Schwellenwert hat Essen bereits an drei aufeinanderfolgenden Tagen überschritten, er lag am Mittwoch bei 152,5, am Donnerstag bei 156,2 und am Freitag bei 155,1. Folge: An diesem Samstag ist „Click & Meet“ noch einmal möglich, weil die strengere Regelung erst „am übernächsten Tag“ in Kraft tritt, das wäre der Sonntag, an dem eh die meisten Läden zu sind. Ab Montag also gilt: „Click & Meet“ ist vom Tisch.
Die Kitas und Schulen
Noch eine dritte Eskalations-Stufe gibt es im Gesetz, und die ist – was die Sache nicht übersichtlicher macht – verbunden mit einem dritten Schwellenwert: 165. Liegt der Wert drei Tage nacheinander darüber, dann gilt ab dem übernächsten Tag ein Betreuungsverbot mit „bedarfsorientierter Notbetreuung“ für bestimmte Kinder, beispielsweise Kinder im letzten Jahr vor der Einschulung oder solche, deren Eltern die Betreuung nicht auf andere Weise sicherstellen können.
Für die Schulen bedeutet der drei Tage nacheinander überschrittene Schwellenwert von 165, dass in allgemein- und berufsbildenden Schulen, in Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen Präsenzunterricht verboten ist. Nur eine Notbetreuung ist erlaubt – und Ausnahmen für Abschlussklassen und Förderschulen.
Die Kontrollen
Wenn’s ernst wird mit der Ausgangssperre, nach 22 Uhr nämlich, ist der Kommunale Ordnungsdienst bereits im Feierabend. Dennoch will die Stadt prüfen, ob sie an bestimmten Tagen oder Orten stichpunktartig zu Kontrollen ausschwärmt. Im Wesentlichen wird dieser Job aber bei der Polizei hängenbleiben, die an diesem Start-Wochenende mit verstärkten Kräften unterwegs sein will – und die die Verunsicherung der Bevölkerung am Freitag bereits durch zahlreiche Anrufe zu spüren bekam.
Spezielle Orte oder gar ganze Stadtteile, auf die man sich konzentriert, haben die Ordnungshüter bei ihren Kontrollen nicht im Auge, sagt Sprecher Christoph Wickhorst: „Letztlich fehlen uns die Erfahrungswerte, wie sich das entwickeln könnte.“ Immerhin, der Blick nach Mülheim, wo die Ausgangssperre schon ein paar Tage gilt, macht offenbar Mut: Dort seien nächtens nur wenige Leute unterwegs gewesen – und natürlich dieser Jemand im gut gepolsterten Dinosaurier-Kostüm, der dank eines Videos landauf landab für Lacher sorgte.
Die Sonderregelungen
Eine Maskenpflicht für die Fußgängerzonen fordert die gesetzliche „Notbremse“ nicht. Die Stadt will gleichwohl an ihrer Regelung festhalten und in Kürze eine aktualisierte Allgemeinverfügung erlassen. Wichtig: Hier reicht dann wieder der medizinische Mund-Nase-Schutz, eine FFP2-Maske ist nicht zwingend erforderlich.
Und bei allen Verschärfungen sorgt das Gesetz zwischen Karnap und Kettwig auch für eine Erleichterung: Auf Beerdigungen darf die Trauergemeinde nun 30 Personen umfassen, fünf mehr als die Stadt bis dato erlaubte.
Der Ausstieg
Unabhängig von einer möglichen Aufhebung des kompletten Gesetzes oder einzelner Gesetzes-Regelungen auf dem Rechtsweg gilt: Die Bundes-„Notbremse“ hält nur, solange der Bundestag eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ feststellt – und längstens bis zum 30. Juni 2021. Zudem gibt es die Möglichkeit, sie lokal zu lockern, was sich allerdings als schwieriger erweist, als sie auszulösen.
Denn während bei der Verschärfung der Maßnahmen der Schwellenwert in Essen nur an drei aufeinanderfolgenden Tagen überschritten sein muss, sind zur Entschärfung fünf aufeinanderfolgende Tage mit einer Sieben-Tage-Inzidenz unterhalb der Marke erforderlich. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um die Regelungen für eine 100er (Ausgangssperre), 150er („Click & Meet“) oder 165er Inzidenz (Schulen und Kitas) geht.