Essen. Bei einer der stadtweit größten Polit-Diskussionen vor der Wahl erleben 500 Jugendliche einen bizarren Auftritt der AfD-Vertreterin.
Mehr als 500 jugendliche Schülerinnen und Schüler haben am Donnerstag einen bizarren Auftritt der Essener Ratspolitikerin Andrea Pousset erlebt, die derzeit für ihre Partei AfD für den Bundestag antritt. Das Maria-Wächtler-Gymnasium in Rüttenscheid hatte eine der stadtweit größten Podiumsdiskussionen vor der Bundestagswahl organisiert. Sechs Essener Direkt-Kandidaten stellten sich auf dem Schulhof kritischen Schüler-Fragen.
Das Maria-Wächtler-Gymnasim (MWG) hatte eine der größten Polit-Diskussionen in Essen organisiert
Bildung und Klima waren die inhaltlichen Schwerpunkte, um die gestritten werden sollte – Höhepunkt des denkwürdigen Schlagabtauschs war die steile These von Andrea Pousset, dass der Klimawandel derzeit „wohl“ stattfinde, „aber nicht von Menschen gemacht ist.“ Den Beweis blieb sie schuldig, verwies aber darauf, dass „gerade mal zwei Prozent des CO2-Ausstoßes aus Deutschland kommt.“ Und jetzt? Weiter Kohlekraftwerke bauen? Pousset: „Man kann nicht alles bei uns abschalten, dann sitzen wir im Dunkeln. Wir können nicht die ganze Welt retten mit unseren Maßnahmen.“ Fertig – das war der Beitrag der AfD an diesem Vormittag zur größten ökologischen Herausforderung der Menschheit. Die Reaktion des jugendlichen Publikums: Buhrufe, betretenes Schweigen, höhnisches Gelächter, bisweilen Fassungslosigkeit.
Dabei hatte sich die AfD-Politikerin direkt zu Beginn der Podiumsdiskussion ins Abseits gestellt. Sie gehöre als einzige „nicht zum Einheits-Block“ der anderen Parteien, behauptete sie in aggressivem Ton. Sie sprach wiederholt von „linksgrüner Indoktrination“ und lief Polit-Profi Kai Gehring (Grüne, im Bundestag seit 2005) trotzdem prompt in die Falle: Der nannte die AfD beiläufig „rechtsradikal“, worauf Andrea Pousset einen Wut-Anfall bekam. „Unverschämtheit, völlig unfundiert“, rief sie, appellierte wiederholt an die Schüler: „Informiert Euch besser im Internet!“ CDU-Kandidat Matthias Hauer setzte betont gelassen nach: „Die AfD ist rechtsradikal - dem schließe ich mich ausdrücklich an.“
Bei der Diskussion am Maria-Wächtler-Gymnasium ging es auch noch um Inhalte
Natürlich ging es auch im Inhalte an diesem Vormittag. Die gerieten angesichts des fragwürdigen Schauspiels der AfD-Kandidatin etwas in den Hintergrund, und die Unterschiede bestanden oft auch nur in Details: Während Hauer betonte, dass die Bundesregierung fünf Milliarden in den Digitalpakt für Schulen investiert habe, forderte SPD-Kandidat Gereon Wolters einen Schuldenschnitt fürs Ruhrgebiet, „die Städte müssen handlungsfähig bleiben“. So gut wie alle politischen Vertreter betonten das, was in bildungspolitischen Diskussionen immer gerne gesagt wird: Das System muss durchlässiger werden von unten nach oben. Sowohl Hauer als auch Gehring betonten, sie seien die ersten in ihren Familien gewesen, die Abi und Studium machen konnten. Konsens: Es fehlt an Chancengleichheit. Dissens: Ist das föderale Bildungssystem in Deutschland gut oder schlecht? Wolters und Gehring positionierten sich eindeutig mit „gut“; Hauer und der FDP-Vertreter Rüdiger König konnten auch der Idee einem deutschlandweiten Zentral-Abi durchaus etwas abgewinnen. Und Linke-Kandidatin Ezgi Güyildar wollte direkt eine Schulformdebatte anstoßen: mit der Forderung nach einer „Gemeinschaftsschule“, was nach einer Schule für alle klang.
Am Ende der Diskussion am Maria-Wächtler-Gymnasium: eisiges Schweigen für die AfD-Vertreterin
Ansonsten: CDU und AfD sind gegen die Legalisierung von Cannabis, die anderen dafür – zumindest für eine Entkriminalisierung der Konsumenten. Tempolimit? Bringt umwelttechnisch erwiesenermaßen nichts, sagte Matthias Hauer, Gehring hielt dagegen: Es sei aber verkehrspolitisch sinnvoll, weil weniger Staus und Unfälle die Folge sind.
Wenn Schulen Politiker zu Diskussionen einladen, wird oft intern lange im Lehrerzimmer diskutiert, ob man einer Partei wie der AfD eine Bühne bieten soll. Dieser Tag am Maria-Wächtler-Gymnasium bewies eindrucksvoll, dass es richtig ist, die Kandidaten der AfD sich so präsentieren zu lassen, wie sie wirklich sind. Am Ende gab’s das Applausometer: Tobender Beifall der Schüler für Grüne, SPD und Linke, höflicher bis freundlicher Applaus für CDU und FDP, und Andrea Pousset erntete eisiges Schweigen.