Essen. Während Impfzentren anfangen, Gesunde ab 60 mit Astrazeneca zu versorgen, sind Vorerkrankte oft noch unversorgt. Auch in Essen wächst der Unmut.
Die einen haben schwere Vorerkrankungen und werden auf „Einzelfallentscheidungen“ verwiesen, andere sind kerngesund und über 60 und haben nun schon ab Ostersonntag die Chance, geimpft zu werden, sofern sie den Impfstoff Astrazeneca akzeptieren und einen Termin ergattern: Die Impf-Systematik, auch in Essen, trifft nicht nur auf Verständnis, sie wird von vorerkrankten Menschen als wenig nachvollziehbar angesehen und in Protestmails heftig angegriffen. „Solche Mails erhalten wir auch“, sagt Stadtsprecherin Jasmin Trilling, „aber wir müssen das umsetzen, was das Land NRW uns in seinen Erlassen vorgibt“.
Nach der reinen Lehre sollten Vorerkrankte, die ein höheres Risiko von schweren Verläufen bei einer Infektion haben, von den niedergelassenen Ärzten geimpft werden, während die Impfzentren sich zunächst auf die alten Menschen konzentrieren und sich langsam in die jüngeren Jahrgänge vorarbeiten sollten, bevor man sie schließlich wieder auflöst.
Zwei gegenläufige Impf-Philosophien existieren derzeit nebeneinander
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Doch die Hausärzte beginnen mit geringen Impfstoffmengen nach Ostern, während Impfzentren wie das in Essen auf vollen Touren laufen und es sträflich wäre, sie nicht arbeiten zu lassen so viel und so schnell es eben geht. Da einerseits das Prinzip der Priorisierung nach Grad der Gefährdung weiter gilt, andererseits aber somit immer mehr zur temporeichen „freien Impfung“ übergegangen wird, laufen zwei letztlich gegenläufige Impf-Philosophien im Moment beide nebeneinander her. Das führt fast zwangsläufig zu Unmut.
Auch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) ist nicht sonderlich erbaut von der neuen Impf-Initiative des NRW-Gesundheitsministeriums, jetzt rasch landesweit 360.000 vorhandene Impf-Dosen Astrazeneca an die „Ü-60“ zu verimpfen. Die KV warnt vor einem Chaos, wenn am Ostersamstag das Buchungssystem freigeschaltet wird. „Schon beim Start der Termin-Buchung der Über-80-Jährigen am 8. Februar sind unsere Online-Buchungssysteme stellenweise in die Knie gegangen, weil mehrere Millionen Menschen gleichzeitig versucht haben, Termine für sich, ihre Eltern oder Großeltern zu buchen“, erinnert der KVNO-Vorsitzende Dr. Frank Bergmann. Das könne leider kein noch so durchdachtes System leisten.
Kassenärztliche Vereinigung warnt vor neuer Überlastung der Buchungssysteme
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„Für Ostersamstag ist ja nun die Devise ausgerufen worden: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, so Bergmann spitz. „Da kann man sich ausmalen, was Samstag passieren wird. Rund wird es sehr wahrscheinlich leider nicht laufen.“
Immerhin: Das Impfzentrum Essen steht bereit, schon ab Sonntag sollen bis zu 400 Über-60-Jährige täglich geimpft werden, sofern sie Astrazeneca akzeptieren. Stadtsprecherin Trilling und auch Essens ärztlicher Impf-Leiter Dr. Stefan Steinmetz betonen, dass es keinen Sinn hat, sich einen Termin geben zu lassen, wenn man Astrazeneca nicht will. Wer hofft, vor Ort dann doch einen anderen Impfstoff zu bekommen, wenn er schon mal da ist, den werde man enttäuschen müssen. „Und zum Diskutieren fehlt die Zeit“, warnt Trilling.
Längst nicht jeder Ü-60 wird kurzfristig eine Impfung erhalten können
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Bis Donnerstag, 8. April, soll die tägliche Zahl an über 60-Jährigen im Essener Impfzentrum auf 800 erhöht werden. Gleichwohl wird kurzfristig längst nicht jeder Impfwillige in dieser großen Altersgruppe versorgt werden können, und mutmaßlich führt auch das wieder zu Diskussionen nach dem Motto: „Warum der und nicht ich?“ Die Terminvergabe für die Ü-60 startet jedenfalls am Samstag, 3. April, um 8 Uhr: Entweder online unter www.coronaimpfung.nrw/patienten oder telefonisch unter 0800 116 117 01. Laut Angaben der Stadt gibt es einen neuen „Erlass zur Impfung der Bevölkerung gegen COVID-19 des Landes NRW“. Demnach seien Terminbuchungen nur bis Ostermontag, 5. April, möglich. Das Terminsystem der KVNO werde ab Dienstag, 6. April, für die Terminreservierung der 79-Jährigen benötigt.
Das Essener Impfzentrum will auch bei den Vorerkrankten, die sich bis 31. März im Wege einer „Einzelfallentscheidung“ an die Stadt wandten, weiterkommen. Rund 3500 Anträge auf vorzeitige Impfung liegen noch auf Halde, rund 1500 sind mittlerweile geimpft. „Bis zu 700 Impfungen sind über die Osterfeiertage terminiert“, sagt Stadtsprecherin Jasmin Trilling. „Es kann sogar sein, dass wir Menschen kurzfristig anrufen und ihnen einen Termin anbieten.“ Geimpft wird in dieser Personengruppe in der Regel das Biontech-Vakzin.
Essens Impf-Chef: Wir haben schon viele Vorerkrankte außer der Reihe geimpft
Impf-Chef Stefan Steinmetz verweist auf die relativ hohe Zahl von jüngeren Vorerkrankten, denen man per Einfallentscheid in Essen bereits hat helfen können, obwohl sie strenggenommen noch nicht dran gewesen wären. „Wir sind da sehr großzügig und weisen nur offensichtliche Gefälligkeitsatteste ab.“ Allerdings müsse auch diese Gruppe damit leben, dass das Impf-Tempo nur insoweit erhöht werden kann, wie Impfstoff vorhanden ist und die Impfungen organisatorisch zu bewältigen sind. „Wir in Essen tun unser Menschenmögliches.“