Duisburg. Vor 50 Jahren wurden Walsum, Rheinhausen, Homberg, Rumeln-Kaldenhausen und Baerl eingemeindet. Zwei, die dabei waren, sprechen über negative Folgen.
Seit 50 Jahren wohnen Menschen aus Rheinhausen, Homberg, Rumeln-Kaldenhausen, Baerl und Walsum offiziell in Duisburg. Grund ist die Gebietsreform, die am 1. Januar 1975 in Kraft getreten ist. Sie war umstritten und hat große Gegenwehr ausgelöst. Zwei, die betroffen waren, erinnern sich.
Heike Ruelle: „Wir hatten damals ein gutes Leben in Rheinhausen“
Heike Ruelle war 1975 14 Jahre alt, wohnte mit ihren Eltern in einem Haus in Bergheim und ging aufs Heinrich-Heine-Gymnasium – erst seit Anfang der 80er Jahre Gesamtschule. „Wir hatten ein gutes Leben. Rheinhausen war eine Kleinstadt, die uns alles geboten hat“, erinnert sie sich an ihre Jugend.
Mehrere Kinos und Jugendzentren, ein Theater und schöne Geschäfte, warum also über den Rhein nach Duisburg fahren? Da gab es für die Schülerin und ihre Freundinnen eigentlich nur zwei Gründe: „Die Tanzschule Paulerberg und die Currywurst im Restaurant von Horten.“
Mit Politik hatte die heute 64-Jährige damals nicht viel am Hut. Sie kann sich aber an Gespräche mit den Eltern erinnern, in denen es hieß: „Unsere reiche Kommune wird von Duisburg ausgelutscht.“ „Meine Mutter hat sich definitiv einkassiert gefühlt“, sagt Ruelle. Aber Eingemeindung hin, Eingemeindung her: „Erst hat man ja nichts gemerkt. Nur die Postleitzahl hat sich geändert.“
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Irgendwann sah das anders aus: „Wir waren regelmäßig in Rheinhausen im Theater. Das wurde dann geschlossen. Ins Duisburger Theater sind meine Eltern nur selten gegangen.“ 1977 wurde als Theater der ehemaligen Kleinstadt westlich des Rheins abgerissen. Ruelles Mutter Edith Horst wohnt immer noch in Rheinhausen. Ihre Tochter hat nach einer Lehre zur Bankkauffrau die Rheinseite gewechselt. Für ihr Studium an der Uni Duisburg ist sie nach Neudorf gezogen.
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Klaus Degen: „Man hätte alles so lassen sollen.“
Klaus Degen, heute 76, hat das Geschehen vor 50 Jahren hautnah mitbekommen: Sein Vater, Paul Degen, war der letzte Bürgermeister von Walsum. „Er hat bis zum Schluss gegen die Eingemeindung gekämpft. Als klar war, dass es keinen Weg zurück gibt, hat er gesagt, dass er das Beste daraus machen will und sich weiter für Walsum einsetzen will.“ Sein zu der Zeit 26-jähriger Sohn war da gelassener: „Ich hab die Welt so genommen, wie sie ist.“
Degen hat 1975 im Schulamt Walsum gearbeitet. „Mit meinen Kollegen war ich dafür zuständig, Schulen einzurichten, zum Beispiel bei Erweiterungen. Als die Pflöcke eingeschlagen waren, hat das Duisburger Schulamt alle betroffenen Mitarbeiter aus den bald eingemeindeten Schulämtern eingeladen“, erinnert sich Degen. Ziel sei es gewesen, alle neuen Kollegen einzunorden.
Kurz vor der Eingemeindung gab es eine Einladung vom Schulamt in Duisburg
Was sie in Duisburg zu hören bekommen haben, hat ihnen erst einmal die Sprache verschlagen: „In Duisburg haben sie alle Möbel aus einer Schule rausgeholt, in ein Lager gestellt und alles neu gekauft. Wir in Walsum haben wir immer nur Möbel zugekauft, wenn es nötig war.“
Die Walsumer Kollegen haben diese Anweisung so hingenommen und sich diebisch gefreut, als zwei Jahre später damit Schluss war. Von da ab wurde auch in Duisburg nur noch dazugekauft. „Duisburg hat immer viel heiße Luft ausgeströmt und kam mir auch immer ein bisschen großkotzig daher“, sagt Klaus Degen rückblickend. Das sei der Grund gewesen, warum er eher gegen die Eingemeindung gewesen sei.
Der eigentliche Prozess sei chaotisch verlaufen: „Die Duisburger Verwaltung hat das nicht gestemmt bekommen. Als wir in unsere zugewiesenen Schulamts-Räume gekommen sind, war nichts da: keine Schränke, keine Schreibmaschinen. Wir mussten uns alles selbst organisieren.“
Klaus Degen: „Würde man heute sicher nicht mehr so machen“
Schon schnell habe man sich hinter vorgehaltener Hand erzählt, dass die Eingemeindung keine gute Idee gewesen wäre. „Die Industrie war ja schon im Wandel. Walsum hat sicher Schulden mitgebracht.“ Degen hat noch eine Zeit bei der Stadtverwaltung gearbeitet, ist dann aber nach Niedersachsen gegangen – und zurückgekommen.
Heute wohnt der Rentner in Dinslaken: „Nur kurz über die Grenze, von meinen Fenstern aus kann ich den Kühlturm des Kraftwerks sehen.“ Obwohl er schon seit 28 Jahren in Dinslaken wohnt, sagt der 76-Jährige: „Ich bin ein echter Walsumer Junge.“ Und: „Walsumer sind immer noch Walsumer.“
Degens Fazit: „Man hätte alles so lassen sollen. In vielen Fällen ist durch die Eingemeindung ja nicht viel rumgekommen. Das würde man heute sicher nicht mehr so machen.“
>> Die Eingemeindung von 1975 in Zahlen
- Rheinhausen hatte damals 68.000 Einwohner, Walsum 47.000, Homberg 36.000, Rumeln-Kaldenhausen 15.000 und Baerl 4.000. Sie alle haben ihre Eigenständigkeit verloren.
- In Duisburg lebten vor der Eingemeindung 440.000 Menschen, danach brachte es die Stadt auf 610.000 Einwohner. Das Stadtgebiet wuchs von 145 auf 233 Quadratkilometer.