Essen. Der Stahl will sich von 11.000 Beschäftigten trennen, 5000 sollen ihre Jobs verlieren. Warum es auch dabei nicht bleiben dürfte.
Was für ein Schock: Von 11.000 Beschäftigten will sich Thyssenkrupp Steel trennen, mehr als jeder dritte Kollege soll bald nicht mehr da sein, das Werk in Siegen dichtgemacht werden. Eine solche Ansage hatten die Stahlarbeiter seit Monaten befürchtet, nun steht sie im Raum - und löst unzählige weitere Ängste aus: Wer muss wo gehen? In welchem Werk trifft es wie viele? Wie sozialverträglich geht das wirklich ab?
Das Management verspricht, wie von Konzernchef Miguel López seit Monaten vorformuliert, „möglichst“ auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten, das sei „das Ziel“. Bei 5000 Stellen, die nicht durch Ausgliederung, sondern durch Abbau wegfallen sollen, wird das zumindest nicht einfach. Auch, wenn der Stahlindustrie über die Jahrzehnte schon größere Einschnitte ohne Entlassungen geglückt sind.
Keine schöne Botschaft so kurz vor dem 1. Advent
So kurz vor dem ersten Advent wird diese Botschaft des Unternehmens bei den noch rund 27.000 Beschäftigten sicher nicht gut ankommen. Kaum denkbar, dass sie dies widerstandslos hinnehmen werden. Erst recht nicht in Verbindung mit der Andeutung, den Verbleibenden einen Lohnverzicht abverlangen zu wollen. Wie kampfbereit sie sind, haben sie seit Mai regelmäßig gezeigt, auch vor der Essener Konzernzentrale. Denn sie machen López dafür verantwortlich, dass deutlich mehr Kolleginnen und Kollegen gehen sollen als unter dem alten Stahlchef Bernhard Osburg geplant.
Auch interessant
Die IG Metall hatte früh vor einem Abbau in dieser Dimension gewarnt. Die Kapitalseite im Konzernaufsichtsrat hat ihr daraufhin unverantwortliche Panikmache vorgeworfen. Im Wortlaut schrieben sie im August in einem öffentlichen Brief: „Wir fordern die Verantwortlichen auf, die Situation nicht weiter aufzuheizen, jegliche Gefahren für die Sicherheit von Menschen und Anlagen zu vermeiden und die Mitarbeitenden nicht in völlig unangemessener Weise zu verunsichern, indem der Eindruck massenhaft drohender individueller Arbeitsplatzverluste vermittelt wird.“
Ja, es sind nicht die von der Gewerkschaft im schlimmsten Szenario genannten 10.000 Stellen geworden, die gestrichen werden. Aber von massenhaften Arbeitsplatzverlusten wird man wohl sprechen dürfen, wenn 5000 von 27.000 Beschäftigten ihre Jobs verlieren und 6000 weitere zumindest bei Thyssenkrupp ihre Sachen packen sollen. Dass sie alle von einem neuen Arbeitgeber übernommen werden, ist mehr als fraglich, mindestens bei HKM würde es auch nach einer Übernahme einen deutlichen Stellenabbau geben.
Die Unzufriedenheit mit dem Management der Konzernmutter ist berechtigt
Die Stahlkocher haben allen Grund zur Unzufriedenheit mit ihrem Management, dies freilich nicht erst seit López. Zuerst dampfte die Konzernspitze unter Heinrich Hiesinger die Investitionen in die Stahltochter ein, behandelte sie eben wie jemanden, von dem man sich ohnehin trennen will. Dass es mit einem neuen Partner besser werden könne, glaubten die Beschäftigten in Duisburg, Bochum, Gelsenkirchen, Dortmund, Siegen und all den anderen Standorten schließlich sogar, nicht zuletzt wegen des offenen Liebesentzugs in Essen. Nur bekamen das weder Hiesinger noch in der Folge Guido Kerkhoff oder Martina Merz hin. Alle Bemühungen, die ungeliebte Stahltochter zu verheiraten, scheiterten.
López hat nun immerhin den mit Krisenindustrien erfahrenen Unternehmer Daniel Kretinsky an Bord geholt, zunächst mit 20 Prozent. Das steht auf seiner Habenseite. Nur hat López, indem er seinen Finger auf die Höhe der Mitgift für die Stahltochter gelegt hat, zugleich Zweifel geweckt, ob Kretinsky wirklich wie geplant auf 50 Prozent aufstocken oder am Ende sogar wieder ganz aussteigen wird. Und mit seiner Art, die Mitbestimmung in der Ikone der Montanindustrie zu schleifen, hat er den Rückhalt bei Thyssenkrupp Steel Europe dauerhaft verspielt.
Ohne Anpassungen geht es nicht, allein schon wegen der Autokrise
Zur Wahrheit gehört letztlich aber auch, dass weder Thyssenkrupp noch die anderen deutschen Stahlkonzerne ihre Werke auslasten können, sie verkaufen einfach zu wenig. Die Autoindustrie steckt selbst in der Krise und bestellt weniger, die lahme Weltkonjunktur und die Konkurrenz billigen Stahls aus Fernost tun ihr Übriges. Das kann nicht ohne Folgen für die heimischen Werke bleiben. Die Kapazitäten und damit auch die Zahl der Arbeitsplätze zu reduzieren, ist alternativlos. Sollte Trump wie angekündigt die Stahlzölle in den USA weiter anheben, werden Tausende Tonnen aus China statt in Amerika in Europa landen und die Lage der Stahlindustrie hier weiter verschärfen.
Auch interessant
Deshalb ist im Kampf um das Überleben unserer Stahlindustrie auch die Politik gefragt. Sie muss für eine Zoll-Reaktion der EU werben. Das dürfen sich Freunde der freien, globalen Marktwirtschaft eigentlich nicht wünschen, schon gar nicht in einem Land, das von seinen Exportüberschüssen lebt. Doch wenn mit Putin und Trump zwei der mächtigsten Staatenlenker dieser Erde sich von der Idee der Globalisierung verabschieden, kann Europa nicht tatenlos zusehen, sondern muss im Zweifel Notwehr-Maßnahmen ergreifen. Bessere Bedingungen in Deutschland, allen voran niedrigere Energiepreise, wären ebenfalls hilfreich, um die Industrie im Land zu halten. Akzeptanz in der Bevölkerung wird das aber nur haben, wenn nicht allein Konzerne davon profitieren, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger.
Thyssenkrupp und die Arbeitnehmerseite müssen besser miteinander umgehen
Thyssenkrupp schließlich muss seine Stahltochter in einen Zustand versetzen, dass sie wieder eine langfristige Perspektive erhält. Die ist derzeit schwer erkennbar. Klare Investitionszusagen sind vonnöten, zuallererst ein Bekenntnis zum Fertigbau der ersten Grünstahl-Anlage in Duisburg. Für die Motivation der Belegschaft nicht verkehrt wäre es auch, zu einem vernünftigen Miteinander zurückzufinden. Schließlich stecken hinter diesen eiskalten, anonymen Zahlen die Schicksale vieler Tausend Menschen - den Beschäftigten und ihren Familien.