Duisburg. Ratten, Problem-Mieter und Müll: Der Weiße Riese macht Schlagzeilen. Eine Bewohnerin gibt einen seltenen Einblick in das berüchtigte Hochhaus.
Während die pralle Mittagssonne von außen gegen die heruntergelassenen Rollläden klopft, kühlt ein mobiles Klimagerät das Wohnzimmer von Manuela Spitzwieser auf 24 Grad herunter. Sie geht zum großen Kühlschrank, auf dem eine Buddha-Figur meditiert, und zapft Sprudelwasser aus dem Spender. Das Glas beschlägt.
Eine Tür weiter bietet der Balkon einen Ausblick bis zum Rheinpreußen-Schacht vier und weit darüber hinaus. Aloe Vera und ein Gummibaum stehen neben einer Bank auf dem Boden, Efeu wächst aus Hängetöpfen. In dieser grünen Oase über den Dächern der Stadt verfliegt der Gedanke, dass man sich in einem bundesweit bekannten Problem-Hochhaus befindet.
Weißer Riese in Duisburg: Mieterin kämpft gegen die bekannten Probleme
Manuela Spitzwieser wohnt im Weißen Riesen an der Ottostraße 58-64 in Duisburg-Hochheide. Die ganze Siedlung mit den vier verbliebenen Riesen genießt keinen guten Ruf. Doch meistens steht der Betonklotz mit den vier Hausnummern im Mittelpunkt, wenn Anwohner davon berichten, dass es sich Ratten, Ungeziefer und Tauben in Wohnungen bequem machen oder Möbel aus Fenstern fliegen.
Ende Juli berichtete unsere Redaktion darüber, dass die DHL das Hochhaus nicht mehr mit Paketen beliefert, weil sich Zusteller bedroht fühlen. Seitdem verbreiten sich Geschichten über die schlimmen Zustände im Riesen durch ganz Deutschland. Und Manuela Spitzwieser ist oft mittendrin.
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Sie nutzt den Medienrummel, um auf die Probleme aufmerksam zu machen, damit sich etwas ändert. Denn wenn sich die Mieter vernünftig benehmen und die Eigentümer das Gebäude sauber und instand halten würden, ließe sich dort gut leben, findet die 53-Jährige. „Ich wohne gerne hier“, bekräftigt sie. Kurze Pause. „Eigentlich“.
Mieterin gibt Einblick: So sieht es im Weißen Riesen aus
Spitzwieser wohnt mit ihrem Sohn im 13. Stock auf 68 Quadratmetern, aufgeteilt in ein Wohn-, ein Schlafzimmer, eine Küche und ein Bad. Wie viel Miete die Wohnung kostet, dürfe sie nicht verraten. Die meisten Mieter würden aber zwischen 500 und 650 Euro pro Monat zuzüglich Nebenkosten zahlen, je nach Wohnungsgröße.
Wer die Wohnung betritt, wird als erstes von Aiko begrüßt, ihrer argentinischen Dogge. „Er ist kein Kampf-, sondern ein Listenhund, hat alle Wesenstests mit Bravour bestanden und ist superlieb“, betont sie. Trotzdem hat allein seine Größe den Vorteil: „Seine Anwesenheit reicht, damit ich mich auch nachts sicher draußen bewegen kann.“
Neben Aiko macht es sich Galgo-Dame Zaphira auf der Couch bequem, Kater Kimmy springt auf den Katzenbaum und streckt die Pfoten aus. Zum tierischen Haushalt gehören außerdem zehn Leopardgeckos, eine Kornnatter und meist mehrere Tauben, die Spitzwieser auf ihrem Balkon gesund pflegt. Die Tiere fühlen sich wohl – das galt einst auch für viele menschliche Bewohner des Riesen.
Weißer Riese: Mieterin kennt viele Vorteile des Hochhauses
2013 ist die gebürtige Issumerin ins Hochhaus eingezogen, nachdem sie mit einer langwierigen Erkrankung zu kämpfen hatte, den Job verlor und vier Monate in einer Klinik verbrachte. „Danach war ich froh, überhaupt eine Wohnung zu bekommen.“ Der Weiße Riese war für sie ein Neuanfang. Inzwischen hat sie sich als Gebäudereinigerin selbstständig gemacht.
Noch heute weiß sie um die Vorteile des Wohnorts: „Hier gibt es einige Menschen, die schon seit Jahren hier leben. Man kennt sich, die Gemeinschaft macht es aus.“ Die Wohnungen seien schön geschnitten, das Haus liege zentral und nah an Supermärkten. Und dann ist da natürlich der Ausblick vom höchsten Wohngebäude der Stadt, „der ist Wahnsinn“.
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Über einzelne Probleme kann die 53-Jährige hinwegsehen. Mieter, die sich nicht benehmen können, gebe es überall. „Ein Haus mit 320 Wohnungen ist wie ein ganzer Straßenzug, da bekommt man natürlich keine Ruhe rein.“ So sei es auch nicht verwunderlich, dass es mal zu Fällen von Kriminalität und Drogen kommt. Doch das Ausmaß und die Ursachen erschrecken sie immer wieder.
Hochhaus ist im schlechten Zustand: „Klingel ist seit Monaten kaputt“
Das beginnt beim Äußeren des Riesen. Neben dem Gebäude stehen seit langem so viele Einkaufswagen, als würden die Menschen nicht bei Kaufland, sondern im Riesen einkaufen. Auf den Fensterbänken über den vier Hauseingängen stehen Tauben Spalier, ihre Hinterlassenschaften durchziehen Beton und Asphalt.
Immerhin: Berge von Sperrmüll sind an diesem Nachmittag nicht zu erkennen. Die meisten Müllsäcke liegen nicht hinterm Haus, sondern in den Containern. Und auch die Menge an Plastikflaschen, Zigarettenpackungen und weiterem Müll auf den Gehwegen war schon mal größer. „Seitdem so viele Reporter vor Ort sind, wird plötzlich aufgeräumt“, kommentiert Manuela Spitzwieser.
Am Zustand des Hauses ändert das wenig. Um Spitzwieser zu treffen, müssen Gäste anrufen – „die Klingel ist seit Monaten kaputt“. Auf dem Weg in ihre Wohnung stoßen sie auf eine zersplitterte Scheibe an der ersten Haustür, auf eine kaputte Innenplatte an der zweiten. Dann gehts mit dem Fahrstuhl 33 Sekunden nach oben.
Gestank im Haus: „Wohnung ist voll mit Unrat, Kakerlaken und Tauben“
Angekommen auf der 13. Etage, liegt bereits ein Problemfall zur Linken: Eine Wohnung mit zerkratzter Tür, abgeklebten Türspalten und Rissen in den Wänden. Spitzwieser meint, der Eigentümer habe sie in den 90ern gekauft und lasse sie seitdem vergammeln, ohne sie zu vermieten: „Die Wohnung ist voll mit Unrat, Kakerlaken und Tauben.“
Der Gestank zieht durch den Hausflur, die Lüftungsschächte und damit durch die Nasen der Nachbarn auf der Etage. Die 53-Jährige ärgert sich darüber, dass die Hausverwaltung nichts unternimmt: „Sie meinte nur, sie hätte den Eigentümer kontaktiert und könne nichts weiter tun. Das ist eine Frechheit.“ Deswegen habe Spitzwieser nun das Gesundheitsamt gerufen.
Sie kennt einige Extremfälle im Gebäude. Neben leerstehenden Wohnungen, die verwahrlosen, gebe es auch solche, die völlig überbelegt seien: „Dann wohnen 15 Leute in einer Bude. Drei sind gemeldet, der Rest zahlt schwarz.“ Manche Wohnungen würden gar nicht auf dem Duisburger Wohnungsmarkt angeboten, sondern direkt an Menschen aus Osteuropa vermietet.
Rund 120 Eigentümer: Bewohnerin erkennt Grundproblem
Das Grundproblem sieht Spitzwieser in der Eigentümerstruktur des Gebäudes. Rund 120 verschiedene Personen, Firmen und Erbgemeinschaften besitzen Wohnungen im Weißen Riesen. Entscheidungen über das Haus werden in einem Eigentümerbeirat getroffen.
Bei Versammlungen des Beirats schließen sich laut Manuela Spitzwieser zwei Großeigentümer aus München und Berlin zusammen, die jeweils über 40 Objekte besitzen: „Die kleinen Privateigentümer haben keine Chance, sie zu überstimmen.“ Beide seien nicht daran interessiert, das Haus in einem ordentlichen Zustand zu halten.
Hausmeister seien überfordert, Bewohnerin bekämpft Ungeziefer selbst
Vor zwei Jahren sei es zu einem Knackpunkt gekommen. Der Beiratsvorsitzende, der sich lange gegen die Probleme im Hochhaus gewehrt habe, sei abgewählt und die Hausverwaltung ausgetauscht worden – „seitdem geht es bergab“, meint Spitzwieser.
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Viele Auflagen bei der Wohnungsvergabe seien gefallen, an allen Ecken werde gespart. Zum Beispiel würden nicht mehr Kammerjäger beauftragt, um Ungeziefer zu bekämpfen. Diese Arbeiten müssten nun die Hausmeister übernehmen, die ohnehin schon lange überfordert seien.
In ihrer eigenen Wohnung greift Manuela Spitzwieser deswegen selber durch: „Ich habe immer eine Gaskartusche zu Hause und seit einem Jahr bestimmt 250 Euro für den Kakerlakenschutz ausgegeben.“
Lösungen für den Weißen Riesen: Mieterin hält nichts von Abriss
Wer oder was kann die Probleme im Riesen lösen? Die 53-Jährige sieht den Gesetzgeber in der Pflicht: „Es muss wieder mehr Regeln für Eigentümer geben, an wen sie vermieten und wann sie die Wohnung zu sanieren haben.“
Von einem Abriss des Hochhauses, wie ihn zum Beispiel der SPD-Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir fordert, hält sie jedoch nichts: „Will man die Eigentümer, die die Wohnung als Altersvorsorge gekauft haben und jetzt darin wohnen, einfach auf die Straße setzen? Die würden doch in Homberg für dieselbe Miete nichts finden.“
Außerdem müsste die Stadt für eine Sprengung alle Wohnungen der rund 120 Eigentümer kaufen – ein Szenario, das Spitzwieser nicht nur für unrealistisch, sondern auch unfair hält: „Man darf doch nicht den Eigentümern, die ihre Wohnungen vergammeln lassen, dieselbe Entschädigung zahlen wie denjenigen, die sie pflegen.“
Spitzwieser ist optimistisch, dass sich doch noch etwas ändert in Duisburgs bekanntem Problem-Hochhaus. Bis es so soweit ist, sagt sie aber: „Gerade würde ich nicht empfehlen, hierher zu ziehen.“
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