Duisburg. Adelheid Schaary erlebt ihren 90. Sommer. Noch heute erinnert die Duisburgerin sich an eine emotionale Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft.

Die heutigen Sommer sind Adelheid Schaary zu heiß. An frühere Zeiten erinnert sie sich gern zurück. Die 89-Jährige verbindet aber auch viel Armut und harte Arbeit mit dieser Jahreszeit.

Ihre Kindheit in Oberschlesien war vom Krieg geprägt. „Vor der Evakuierung waren wir mehr im Luftschutzkeller als in der Schule“, bedauert die 1935 Geborene. Irgendwann seien die Klassenräume sogar zu einem Lazarett umgewidmet worden.

Seit 63 Jahren lebt sie im Duisburger Westen, lange in Rumeln-Kaldenhausen, jetzt im Lene-Reklat-Seniorenzentrum in Rheinhausen.

Adelheid Schaary als Kind, links mit Hut, mit ihrem Bruder, rechts und dem jüngsten Geschwisterchen im Kinderwagen.
Adelheid Schaary als Kind, links mit Hut, mit ihrem Bruder, rechts und dem jüngsten Geschwisterchen im Kinderwagen. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

1945 flüchtete die Familie aus Jaryschow in Oberschlesien nach Bayern und war nicht gerade willkommen: „Die Bauersfamilie musste für uns ein Zimmer freiräumen“, erinnert sie sich. Als älteste von fünf Kindern musste sie viel mit anpacken.

Mit dem Ochsen Klee über die Berge kutschiert

„Wir haben mit einem Ochsen Fuhren voll mit Klee geholt und ich durfte kutschieren.“ Den Berg runter sei das ein besonderer Spaß gewesen. Der Weg zur Schule sei im Winter tief verschneit gewesen, ihn konnte sie nur mit geliehenen Stiefeln der Bäuerin überwinden.

Adelheid Schaary zeigt ein Foto mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern.
Adelheid Schaary zeigt ein Foto mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Zurück in der Heimat, die mittlerweile zu Polen gehörte, besuchte Schaary eine Abendschule, konnte einen Abschluss machen. Tagsüber blieb sie bei den Geschwistern, weil die Mutter arbeiten ging. Im Schnellkurs wurde sie dann zur Pflegekraft ausgebildet, arbeitete im Krankenhaus.

Emotionale Momente bei Rückkehrern aus der Kriegsgefangenschaft

Ein Moment, der sich ihr besonders eingebrannt hat, war die Rückkehr eines Nachbarn aus der Kriegsgefangenschaft mitten im Sommer. „Josef stand im Dorf am Brunnen und kühlte sein Gesicht, als wir ihn erkannt haben. Wir haben ihn zum Feld geführt, wo seine Familie arbeitete, das war ein schönes Wiedersehen.“

Ihr eigener Vater sei 1942 gefallen. Von ihm weiß sie nur noch, dass er sehr groß war, über zwei Meter. „Er hat sich immer an der Tür den Kopf gestoßen.“

Kirschen klauen (und sich nicht erwischen lassen)

Die Unterschiede zwischen Polen und Deutschland seien damals deutlich spürbar gewesen. Apfelsinen und Bananen habe sie erst in Duisburg kennengelernt, „sowas gab es in Polen nur in den Feinkostläden großer Städte“.

Stattdessen habe sie mit anderen Kindern Kirschen geklaut. „Wir sind im Sommer barfuß herumgerannt und haben uns die Taschen vollgemacht.“ Wenn sie erwischt wurden, mussten sie alles zurückgeben und steckten ordentlich Schimpfe ein. In Bayern sammelten sie dann Birnen und Äpfel durch die Zäune von der Erde auf.

„Hier waren wir die Polacken, da die Nazis“

Ihre polnischen Sprachkenntnisse musste sie sich selbst aneignen, das meiste sei über die Jahre wieder verloren gegangen. Der Krieg habe dazu geführt, dass sie in beiden Heimaten nicht richtig willkommen war: „Hier waren wir die Polacken, da waren wir die Nazis“, beschreibt sie das Dilemma.

Zwei ihrer Kinder wurden in Jaryschow geboren, dass inzwischen zu Polen gehörte, zwei in Duisburg, dazwischen gelang nach vielen Anträgen der Weg nach Deutschland. „Fünf Jahre dauerte das“, sagt Schaary.

Als Saisonkraft arbeitete Adelheid Schaary (2.v.li.) auf einer Apfelplantage in Moers-Kapellen.
Als Saisonkraft arbeitete Adelheid Schaary (2.v.li.) auf einer Apfelplantage in Moers-Kapellen. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Als Saisonkraft arbeitete sie auf einer Apfelplantage in Moers-Kapellen. Für das Sommergefühl sei sie mit den Kindern zum Bettenkamper Meer gefahren. „Ich kann nur wie eine Bleiente schwimmen“, bedauert Adelheid Schaary. Aber Sonnenbaden und bis zum Bauch im Wasser stehen habe sie auch genossen. Einmal sei sie fast ertrunken, weil sie plötzlich einen Krampf im Bein bekam. „Da hat sich mein Neffe mächtig erschreckt.“

Gegen die Sommerhitze helfen Gardinen

Mit ihrem Mann, der 2008 starb, reiste sie später viel, war oft am Bodensee. Sechs Enkel hat sie, zwei Urenkel, gerade ist ein Zwillingspaar unterwegs, erzählt die Ur-Oma stolz.

Inzwischen lebt Adelheid Schaary schon sechs Jahre in der Awo-Einrichtung, vier Schlaganfälle hat sie überlebt. Die Angebote nimmt sie gern mit, Sitztanz, Bingo und Gymnastik, nur das Musikcafé ist ihr zu laut.

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Mit dem Sommer, wie er heute ist, hat sie abgeschlossen. Das wechselhafte Wetter strengt sie an. Und wenn es mal richtig warm ist, „zieh ich die Gardinen zu und bleib im Zimmer“. Das Maximum in diesem Jahr: im Schatten unter einem Schirm sitzen.

Adelheid Schaary als Kind, links, mit ihrer Mutter und den vier Geschwistern.
Adelheid Schaary als Kind, links, mit ihrer Mutter und den vier Geschwistern. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

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