Duisburg. Einem Duisburger wurde der Gang zur Toilette in einem Bezirksamt verwehrt. Er sieht darin unterlassene Hilfeleistung. Das sagt ein Experte.
Wolfgang de Greiff aus Duisburg, der die Toilette des Bezirksamtes in Homberg aufsuchen wollte und abgewiesen wurde (wir berichteten), sieht in seinem Erlebnis den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung erfüllt. Er beruft sich auf den Paragrafen 323c im Strafgesetzbuch. Dort heißt es wörtlich: „Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ Ist dieses Gesetz bei einem Fall wie diesem anwendbar?
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„Nein“, wie Marco Geiger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, auf Anfrage erklärt. Schaue man sich den Wortlaut des Paragrafen an, so ließen sich mehrere Tatbestandsmerkmale identifizieren. „Ein Verhalten ist nur dann strafbar, wenn alle erforderlichen Tatbestandsmerkmale einer Strafnorm erfüllt sind“, erklärt der Experte.
Zur „unterlassenen Hilfeleistung“ gehören demnach entweder ein Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr oder Not, ein Nicht-Hilfeleisten – „und darüber hinaus müsste das Hilfeleisten dann auch noch erforderlich und dem Täter zumutbar sein. Wenn allerdings schon kein Unglücksfall bzw. keine gemeine Gefahr oder Not vorliegt, dann ist es, einfach gesagt, ‘egal’, ob Hilfe geleistet wird oder nicht.“ Das Verhalten würde in diesem Fall so oder so nicht dem Paragrafen unterliegen.
Beispiel: Warum es keine unterlassene Hilfeleistung ist
Geiger gibt ein bewusst übertriebenes Beispiel: Ein Mann ist in schicker Kleidung auf dem Weg zu einer wichtigen Veranstaltung. Dabei verliert er das Gleichgewicht und droht in eine Schlammpfütze zu fallen. Im letzten Moment reicht er seiner Begleitung die Hand, damit diese ihn abfängt. Sollte die Begleitung nicht zugreifen, mache auch diese sich nicht wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar.
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Das Hinfallen sei im Sinne des Gesetzes kein „Unglücksfall“ – „auch, wenn ich das in meiner Situation persönlich durchaus als solchen beschreiben würde“, sagt Geiger. Das heißt: „Um dem Bestimmtheitsgrundsatz zu genügen, muss das Merkmal des Unglücksfalls einigermaßen eng umrissen definiert sein, damit der Straftatbestand des Paragrafen 323c nicht uferlos wird. Denn es gibt unzählige Umstände, die ein Einzelner als persönlichen Unglücksfall bezeichnen würde. Das soll aber nicht dazu führen, dass jeder Dritte in all diesen Fällen zur Hilfe verpflichtet sein soll.“
In der Rechtswissenschaft werde ein „Unglücksfall“ als ein „plötzlich eintretendes Ereignis definiert, das die unmittelbare Gefahr eines erheblichen Schadens für Leib, Leben oder Freiheit anderer Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert bewirkt“. Gesetze seien notwendigerweise abstrakt formuliert, erklärt Geiger. Damit soll die Zahl der Gesetze so gering wie möglich gehalten werden, um möglichst viele Einzelfälle mit einem Gesetz abzudecken. In vielen Fällen gebe es Meinungsstreite über Definitionen – „jedoch handelt es sich hier konkret um keinen solchen Fall“, betont Geiger.
Toilettengang verwehrt: Keine Möglichkeit für juristische Schritte
„Das Unglück von Herrn de Greiff ist zwar zweifelsohne ärgerlich, unangenehm und hätte zudem auch durch die Hilfe der Mitarbeiter vermieden werden können. Es ist aber nichts, was die unmittelbare Gefahr eines erheblichen Schadens für seinen Leib, sein Leben oder seine Freiheit bewirkt hat.“ Der Geschädigte habe demnach keine Möglichkeit, gegen das Erlebte juristisch vorzugehen. „Es gibt in Deutschland kein ‘Notdurfrecht’, welches jedem Bürger den Zugang zur Toilette gestatten würde“, sagt Geiger. Bis auf Einzelfälle gebe es keine Verpflichtung zu Bereitstellung einer Toilette.