Duisburg. Die Qualitätsbeauftragte der Duisburger Feuerwehr für den Rettungsdienst redet nach einem Vorfall in Wedau Klartext über Erste Hilfe und Gaffer.
Sechs Frauen leisten einem gestürzten Rollerfahrer Erste Hilfe. Männer gaffen, fahren oder gehen wortlos weiter: Zu dem Vorfall neulich in Wedau hat die Redaktion Andrea Hennrich, Qualitätsbeauftragte für den Rettungsdienst bei der Feuerwehr in Duisburg, befragt. Sie spricht einerseits von einem grundsätzlichen, gesellschaftlichen Problem.
„Früher hat man sich mehr um einander gekümmert – schon innerhalb der Familie oder unter Nachbarn“, so Hennrich. „Heute erleben wir eine immer größere Anonymität in der Gesellschaft. Viele Leute sind auf sich allein gestellt und wissen oft gar nicht mehr, wen sie im Fall der Fälle mal eben anrufen können.“ Das führe dazu, dass schon bei Kleinigkeiten der Rettungsdienst gerufen werde und die Zahl der Einsätze so in den vergangenen Jahren von 48.000 auf rund 60.000 gestiegen sei.
Erste Hilfe als Teil der Schulausbildung
Erste Hilfe werde bei Unfällen aber auch oft deshalb nicht geleistet – aus Angst, etwas falsch zu machen. „Das liegt auch daran, weil wir bei der Qualifizierung in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern weiter hinterherhinken“, so die Expertin. „Ein Kurs wird bei uns zwar für 30 bis 50 Euro von allen Hilfsorganisationen angeboten, aber in Skandinavien zum Beispiel ist Erste Hilfe Teil der Schulausbildung. Das wird auch bei uns angestrebt und ist bereits von der Kultusministerkonferenz beschlossen. Aber es hakt bei der Umsetzung.“
Es geht um zwei Doppelstunden pro Schuljahr ab der siebten Klasse, die geschulte Lehrer abhalten sollen. „Wir sind diesbezüglich schon ans Duisburger Schulamt herangetreten“, so Hennrich. „Nach vielen Mails liegt die Angelegenheit bei der Bezirksregierung. Aber angesichts des großen Personalmangels bei den Lehrerin ist der Plan, nach den Sommerferien zu starten, in weite Ferne gerückt.“
Bei Herz-Kreislauf-Stillständen zählt jede Minute
Der Rettungsdienst in Duisburg sensibilisiert aber bereits selbst für das Thema Erste Hilfe. „Dadurch ist die Zahl der Wiederbelebungen durch Ersthelfer gestiegen – von 12 Prozent vor fünf Jahren auf aktuell knapp 20 Prozent“, so Hennrich. „Das ist wichtig, denn gerade bei Herz-Kreislauf-Stillständen zählt jede Minute.“
Sie freut sich deshalb, dass der Rettungsdienst nach einer längeren Anlaufphase die kostenlose App „Corhelp3r“ seit Anfang 2019 einsetzen kann. Damit bekommen Ersthelfer, die sich nach einem eingegangenen Notruf in der Leitstelle in der Nähe befinden, eine Nachricht aufs Smartphone und werden zum Unfallort geleitet. Bereits knapp 450 Freiwillige haben sich dafür registriert. „Die ersten Rückmeldungen sind durchweg positiv“, so Hennrich.
Unterlassene Hilfeleistung
Sie betont, dass bei einem Notfall jeder gesetzlich verpflichtet sei zu helfen und andernfalls wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden könne. Wichtig sei es aber, sich nicht selbst zu gefährden. „Ansonsten kann man bei der Ersten Hilfe nichts falsch machen oder am Ende für irgendwas zur Rechenschaft gezogen werden“, so die Expertin. „Wer trotzdem unsicher ist, kann wenigstens einen Notruf absetzen.“
Zu gaffen und nichts zu tun, sei die schlechteste aller Varianten. Ein Thema, mit dem der Rettungsdienst in Duisburg immer wieder konfrontiert wird. „Wir habe da eine neue Dimension erreicht“, so Hennrich. „Dass große Personengruppen bei Unfällen wie in der Vergangenheit zum Beispiel in Hochfeld unsere Arbeit sogar behindern, ist weiter die Ausnahme. Aber der Respekt gegenüber den Unfallopfern nimmt immer weiter ab. Früher hat man auch hingeschaut, aber aus weiterer Entfernung. Jetzt wollen einige möglichst nah dran sein, um mit dem Handy noch Fotos machen zu können.“