Duisburg-Rheinhausen. Der Industriepfarrer a.D. Jürgen Widera aus Duisburg erinnert sich an ein Treffen mit dem jüngst verstorbenen ehemaligen Bundesarbeitsminister.
Industriepfarrer Jürgen Widera hat sich erst kürzlich aus dem aktiven Dienst zurückgezogen. Er hat im Arbeitskampf vor 25.000 Stahlwerkern gepredigt und ist weiterhin Ombudsmann für die Opfer der Loveparade. An den kürzlich verstorbenen ehemaligen Bundesarbeitsminister Norbert Blüm kann er sich lebhaft erinnern.
„Es ist 15 Jahre her, da traf ich Norbert Blüm in seiner Wohnung in Bad Godesberg. Gemeinsam mit Pfarrer Dieter Kelp hatten wir ein längeres Interview verabredet für unser Buchprojekt „Rheinhausen ist überall – Kirche als Anwalt der kleinen Leute.“ Da sprachen wir nun in seinem Wohnzimmer zunächst über dies und das und saßen einem Mann gegenüber, der sich so gab, wie man ihn abseits der politischen Bühne häufiger in den Medien wahrnehmen konnte – jovial und humorig, mit auch schon mal flapsigen oder derben Formulierungen.
Doch als das Gespräch auf Kirche und Sozialethik kam, sahen wir den anderen Norbert Blüm: Einen humanistisch gebildeten, tiefgründigen und äußerst belesenen politischen Analytiker. Er, der auf dem zweiten Bildungsweg studiert und in Theologie promoviert hatte, genoss es sichtbar, mit uns in einen Diskurs über Soziale Gerechtigkeit zu treten, der sich von Amos und Paulus über Thomas von Aquin und Luther bis zur Enzyklika Rerum Novarum und dem Gemeinsamen Wort der Kirchen ‚Für eine Zukunft in Gerechtigkeit und Solidarität‘ spannte.
„Die Kirche braucht die großen Fahnen, nicht die kleinen Wimpel“
„Gerechtigkeit“, betonte er, „ist herunter geholte Transzendenz“. Sie stehe nicht zu unserer beliebigen Definition, ist etwas anderes als bloße „Fairness“ oder „Chancen-Gerechtigkeit“. Um Gerechtigkeit gehe es „gegen diese totale Monetarisierung des Menschen“. Das müsste die Kirche sich viel selbstbewusster auf die Fahnen schreiben. Um hinzuzufügen: „Und zwar auf große Fahnen. Anders als in Rheinhausen kommt ihr heute nur noch mit Wimpeln daher. Das braucht es jetzt: Wieder die großen Fahnen!“
Seine Bedeutung ist nicht zu überschätzen
Mit Norbert Blüm ging einer der bedeutendsten Politiker der jüngeren deutschen Geschichte, dessen Wirken als Arbeitsminister gerade für unsere Region während des Strukturwandels bei Kohle und Stahl in den 90er Jahren nicht überschätzt werden kann. Ich denke insbesondere an die mit ihm durchgesetzten Vorruhestandsregelungen, dem wohl wichtigsten Baustein des sozialverträglichen Arbeitsplatzabbaus.
Die Biographie Norbert Blüms hat viele Facetten – Malocher und Akademiker, verwurzelt in Arbeiterbewegung und katholischer Soziallehre, linkssozial und wertkonservativ, Gewerkschafter und Unionspolitiker. Vor allem aber war er engagierter Christ, eine klare Stimme gegen Unrecht weltweit wie Kinderarbeit und ein kämpferischer Mitstreiter für eine solidarische und gerechtere Gesellschaft.“