Duisburg. Der Industriepfarrer Jürgen Widera geht in den Ruhestand. Mit ihm endet ein Berufsbild, dass im Rheinhausener Arbeitskampf seinen Anfang nahm.

Er ist der letzte seiner Art: Industriepfarrer Jürgen Widera aus Duisburg geht in den Ruhestand. Über 32 Jahre setzte er sich in fünf evangelischen Kirchenkreisen - neben Duisburg auch Kleve, Moers, Wesel und Dinslaken - für die Belange der Arbeiter und Gewerkschaften ein.

Mit ihm wird der Einsatz eines „Pfarrers des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt“ (KDA) enden, künftig übernimmt das „Evangelische Laboratorium“ diese Arbeit - im Sinne einer Veranstaltungsplattform, die Fortbildungen organisieren will, das Gespräch sucht und seelsorgerlich für Arbeitnehmer und Leitende tätig sein will. Allerdings steht auch hier noch Widera als Ansprechpartner auf der Webseite www.ev-laboratorium.de.

Berufsanfang mitten in der Kruppkrise

Industriepfarrer Jürgen Widera ist auch Vorstand der Stiftung Duisburg 24.7.2010, die sich um Belange der Hinterbliebenen sowie die Gedenkstätte für die Opfer der Loveparade kümmert.
Industriepfarrer Jürgen Widera ist auch Vorstand der Stiftung Duisburg 24.7.2010, die sich um Belange der Hinterbliebenen sowie die Gedenkstätte für die Opfer der Loveparade kümmert. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Aktuell räumt Jürgen Widera sein Büro aus. Da ist einiges an Erinnerungen zusammen gekommen, die er dem Archiv der Landeskirche übergeben will. „Das ist ja ein Stück Geschichte!“, findet der 65-Jährige. Denn in seinen Beruf rasselte der studierte Theologe 1988 mitten in der Kruppkrise.

Als Pilotprojekt gedacht, wurde durch die Dynamik des Arbeiterkampfes eine feste Pfarrstelle, aus geplanten drei über 30 Jahre. „Ich habe es nie bereut. Ich hatte zwar keine eigene Gemeinde, aber die Arbeit habe ich als besonderes Privileg erlebt, sie hat mir ein unglaublich breites Spektrum geboten.“

„Geht es uns so schlecht, dass die die Kirche schicken?“

Der Pfarrer gesteht, dass er sich anfangs nicht sicher war, ob er dem Kampf gewachsen sein werde: „Ich bin entgegen aller Erwartung wohlwollend empfangen worden. Obwohl einige dachten: Geht es uns jetzt so schlecht, dass sie uns die Kirche schicken?“ erinnert er sich schmunzelnd.

Auch die Gewerkschaft habe das Einmischen eines Pfarrers anfangs kritisch gesehen. Dass sein Engagement glaubwürdig ist und sich auch Kirche für Themen der Arbeitswelt einsetzen kann, habe dann der legendäre Weihnachts-Gottesdienst im Walzwerk mit 25.000 Besuchern gezeigt, erzählt Widera stolz. Für seine Verdienste wurde der Rheinhauser mit der Hans-Böckler-Medaille der Gewerkschaften geehrt.

Seine Gottesdienste feierte er in besonderen Räumen, zu besonderen Anlässen, „sie waren kämpferischer, situationsbezogener, für eine breitere Besucherschaft, mitunter waren drei Viertel der Gäste muslimisch“, sagt Widera beeindruckt.

Das Laboratorium der Evangelischen Kirche

„Laboratorium“, das Evangelische Zentrum für Arbeit, Bildung und betriebliche Seelsorge, ist ein Netzwerker im Rheinland, der Akteure aus Betrieben, Gewerkschaften, Verbänden und der Politik zusammenbringen, Fortbildungen und Dienstleistungen anbieten sowie Forschungen anstoßen will.

„KDA“, der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt, ist Ansprechpartner für alle an der Arbeitswelt beteiligten Gruppen von den Betrieben bis zu den Kammern.

Als Netzwerker mit Herz und Humor organisierte der Vater zweier Kinder Seite an Seite mit den Gewerkschaften Aktionen gegen Fremdenfeindlichkeit, demonstrierte mit Bergarbeiterfrauen in Kamp-Lintfort gegen die Kohlepläne und war für die Streikenden von BenQ oder Citybank da, die um ihre Zukunft kämpften.

Engagement für Achtung und Respekt am Arbeitsplatz

„Wir haben Fortbildungen organisiert, und mit Auszubildenden der Stahlindustrie Seminare durchgeführt, um die Achtung und Respekt füreinander am Arbeitsplatz zu fördern. Ich bedauere sehr, dass die rheinische Kirche dieses Arbeitsgebiet, das die Präsenz in den Betrieben garantiert, nicht fortsetzt“, sagt Widera mit Blick auf das Ende des KDA. Ob und wie das Laboratorium in diese Lücke rutschen wird, sei noch nicht entschieden. Derweil werde Hans-Peter Lauer, der Pfarrer in Marxloh ist, einen Teil seiner Zeit in eine Interimslösung investieren.

Widera wird auch weiterhin in Duisburg präsent sein, etwa als Ombudsmann für die Opfer der Loveparade und Vorstand der Stiftung. Angst vor dem Ruhestand ist ihm fremd, denn „Ich mache ja weiterhin, was mir etwas bedeutet hat - aber das Ganze mit mehr Zeit.“