Dortmund. Betrüger oder echte Telekom-Teams? Beim Thema „Glasfaser“ herrscht in Dortmund oft Unwissen: Was darf ich? Was muss ich? Und wie arbeiten Drücker?

„Sie wissen ja, dass Glasfaser bald zur Pflicht wird.“ Der Satz irritiert Florentine Erdmann. Ach ja? Weiß man das? Der nette Telekom-Vertreter an ihrer Wohnungstür im Dortmunder Klinikviertel wirkt sehr überzeugend und setzt nach: „Wenn Sie nicht unterschreiben, ist Ihr Internet bald weg.“ Das wäre natürlich schlecht, denkt die junge Frau. Aber direkt zu unterschreiben kommt ihr komisch vor. „Ich rufe mal meinen Vermieter an“, sagt sie. Der Mann nickt und wartet geduldig. „Machen Sie mal.“ Er ist sich seiner Sache offenbar sicher.

+++ Folgen Sie der WAZ Dortmund auf Facebook und Instagram +++

Aber Florentine Erdmann spricht nicht mit dem Vermieter, sondern mit einer anderen Bewohnerin des Hauses. Sie ist nämlich vorgewarnt. Tags zuvor hatte ein weiterer Hausbewohner in die gemeinsame WhatsApp-Gruppe geschrieben: „Achtung, vermeintliche Telekom-Mitarbeiter gehen von Tür zu Tür!“ Das verunsichert die junge Frau. Sind hier Betrüger am Werk? Die Mitbewohnerin rät ihr, den Mann wegzuschicken. Sie wimmelt ihn ab. Er geht nur widerwillig.

„Der war super seriös“, meint Florentine Erdmann später und gibt zu: „Wäre ich nicht vorgewarnt gewesen, hätte ich das glatt unterschrieben.“ Ein neuer Glasfaser-Anschluss ist im Haus. Das weiß die Mieterin. Aber sonst? „Ich hab ja keine Ahnung, wie das funktioniert. Der hätte mir alles erzählen können.“

Glaserfaser-Drücker in Dortmund: „Er hat keine Ruhe gelassen.“

So wie Florentine Erdmann geht es vielen Dortmunderinnen und Dortmundern. Von Glasfaser haben die meisten keine Ahnung. Das nutzen Drückerkolonnen aus, die im Auftrag der Telekom und anderer Unternehmen unterwegs sind. Illegal ist das nicht – die Telekom setzt Subunternehmen wie „Ranger Marketing“ als Trumpf im hart umkämpften Anbieter-Kampf ein. Das sei wichtig für das Unternehmen, erklärt Telekomsprecherin Katja Kunicke: „Eine Marktforschungsstudie der Telekom hat ergeben, dass die meisten Kunden nur deshalb nicht auf einen Glasfaser-Anschluss umsteigen, weil sie gar nicht wissen, dass ein solcher Anschluss bei ihnen zur Verfügung steht. Deshalb ist die Direktvermarktung neben Anzeigenschaltungen, Postwurfsendungen und Informationsveranstaltungen ein sehr wichtiger Kanal für den Glasfaserausbau.“

Telekom-Sprecherin: „Falschaussagen sind für uns ein No-Go.“

Dabei gelten laut Telekomsprecherin Kunicke strikte Regeln: „Alle unsere Vertriebspartner müssen mindestens zehn Pflichtschulungen erfolgreich durchlaufen. Alle haben sich unserem ‚Code of Contact‘ vertraglich verpflichtet. Darin ist festgelegt, wie die Kundenkontakte im Auftrag der Telekom ablaufen sollen.“ Dazu gehören etwa die Telekom-Kleidung, ein Ausweis, ein Autorisierungsschreiben, eine Rückrufnummer zur Identifikation der Mitarbeitenden per Telefon und ein scanbarer QR-Code auf dem Telekomausweis.

Aber was ist mit Inhalten, Argumenten und Gesprächsführung? Dazu erklärt die Telekomsprecherin: „Bei der Beratung akzeptieren wir keine Falschaussagen, um womöglich Druck aufzubauen. Das ist für uns ein No-Go. Kommt es zu Beschwerden, gehen wir den Vorwürfen sofort nach.“ Die Vorfälle in Dortmund, mit denen Florentine Erdmann offenbar nicht allein dasteht, seien der Telekom bekannt. Dazu stehe das Unternehmen „bereits im Austausch mit den verantwortlichen Vertriebspartnern“, so Kunicke. „Es wird mit den Mitarbeitenden gesprochen und konsequent nachgesteuert. Die Maßnahmen reichen von Nachschulungen bis hin zu personalrechtlichen Konsequenzen. Im schlimmsten Fall bis zur Entlassung.“

Marketing-Teams melden sich vorher bei der Polizei

Und die Telekom kennt die Probleme und Beschwerden über „ihre“ Marketingteams offenbar gut: In der Regel informieren die Vertriebs-Team vorher die Polizei über ihr Einsatzgebiet, so Kunicke. In Dortmund seien bald Berater im Auftrag der Telekom in Lütgendortmund unterwegs, kündigt Kunicke an. Davor sei der Einsatzschwerpunkt in der Innenstadt gewesen, auch in der Nordstadt, im Bereich um die Westfalenhalle, in Brechten, Deusen und Hörde.

Welches Unternehmen bei Florentine Erdmann vor der Tür stand weiß sie nicht. Aber die Marketing-Teams gehen fast alle knallhart vor: „Der wollte immer weiter diskutieren“, erinnert sich Erdmann. „Er hat keine Ruhe gelassen, das war wirklich aufdringlich und unangenehm.“

Immerhin: Der Vertreter vor Florentine Erdmanns Wohnungstür im Klinikviertel war (vermutlich) tatsächlich von der Telekom. Dennoch habe die Dortmunder Polizei vermehrt Hinweise auf mutmaßliche Betrüger bekommen, warnte die Behörde vor wenigen Tagen. Schwerpunkt seien die Innenstadt und die südliche Gartenstadt gewesen. Aber die Grenze zwischen Betrügern und Drückern verwischt an der Haustür: Im Eifer des Gefechts kontrolliert kaum jemand den QR-Code auf dem Namensschild der Vertreter. „Die Personen sollen Werbeprospekte einzelner Firmen und Ausweise bei sich gehabt haben und gaben sich unter anderem als Mitarbeiter der Deutschen Telekom aus“, erklärt die Polizei. „Das Auftreten der Personen war aufdringlich und aggressiv.“

Telekom-Subunternehmen wie „Ranger Marketing“: Hartnäckig und einschüchternd

Aber nicht nur „offizielle“ Subunternehmen von Telekom und Co. klingeln an der Haustür, warnt die Dortmunder Polizei: „Oft wollen sich diese Personen unter einem Vorwand Zutritt zu Häusern und Wohnungen verschaffen, um unbemerkt Eigentum zu entwenden.“ Die Polizei rät, gar nicht erst die Tür zu öffnen – und erst recht niemanden hereinzulassen.

Die Verbraucherzentrale ist nicht begeistert von den Praktiken der Telekom-Subunternehmen. Bekannt ist vor allem die Firma „Ranger Marketing“ aus Düsseldorf. „Verbraucher berichten uns, dass die Mitarbeitenden besonders hartnäckig sind oder sogar durch Falschaussagen Druck aufbauen“, erklärt VZ-Sprecher Burak Tergek. Er rate zwar zu Glasfaser, weil das schnelle Netz bei den steigenden Übertragungsraten immer wichtiger werde. „Daher macht es Sinn, die Angebote zu vergleichen und auf Glasfaser umzusteigen.“ Aber er mahnt zur Ruhe: Verträge lassen sich auch später noch unterschreiben – niemand müsse sich an der Haustür gedrängt fühlen.

Gibt es tatsächlich eine Glasfaser-Pflicht?

Nein, die gibt es nicht. „Falls Vertriebsmitarbeitende behaupten, es existiere die Pflicht, einen Glasfaserinternetvertrag abzuschließen, stimmt das nicht“, erklärt Burak Tergek von der Verbraucherzentrale. So ein Vertrag sei eine gewöhnliche Dienstleistung – deshalb herrsche Vertragsfreiheit. Wem die normale Internetleitung reicht, braucht kein schnelleres Netz. „Wer keinen Glasfaservertrag haben möchte, muss auch keinen abschließen.“

Ist mein Internet bald wirklich weg, wenn ich nicht unterschreibe?

Auch das stimme nicht, beruhigt Burak Tergek: „Der Nichtabschluss eines Glasfaservertrages hat auf den bestehenden Vertrag keine Auswirkung.“ Wer schon einen Internetvertrag hat, kann ihn nur selbst kündigen (oder auslaufen lassen).

Aber: Wenn sich die Drohung „dann haben Sie bald kein Internet mehr“ auf die Abschaltung der DSL-Leitung beziehe, könne es tatsächlich stimmen – allerdings erst in ferner Zukunft, so Tergek: „Aktuell gibt es keine konkreten Pläne für eine flächendeckende Abschaltung dieser Leitungen.“ Und wenn es passiere, würden Betroffene direkt informiert und hätten genug Zeit für andere Verträge oder Anschlüsse.

Darf ich Glasfaser abschließen, ohne meine Vermieterin zu fragen?

„Grundsätzlich kann ein Glasfaservertrag ohne Zustimmung der Vermieter abgeschlossen werden“, erklärt Verbraucherschützer Tergek. Anders sehe es bei Bauarbeiten im Gebäude aus: Mieterinnen dürfen nicht einfach selbst beauftragen, das Glasfaserkabel von der Straße zu einer Verteilstelle in den Keller zu legen. Auch bei anderen baulichen Maßnahmen muss die Vermieterin zustimmen, etwa beim Verlängern der Kabel bis hoch in die Wohnung: „Falls keine Leerrohre vorhanden sind, könnten bauliche Maßnahmen erforderlich sein, in die der Eigentümer zustimmen müsste.“ Ist die Anschlussbuchse aber erstmal in der Wohnung, steht dem Mieter alles offen.

Sind die Teams wirklich von der Telekom?

„Wenn Vertriebsmitarbeitende an der Haustür klingeln, handelt es sich in der Regel nicht um direkte Angestellte des jeweiligen Unternehmens, sondern um Angestellte eines Subunternehmens“, erklärt Burak Tergek. Nicht nur die Telekom nutzt Subunternehmen zum Direktmarketing, das tun auch andere Anbieter. Aber das System bleibt gleich: Der Anbieter (also das glasfaser-ausbauende Unternehmen) beauftragt eine eigenständige Fremdfirma für den Haustürvertrieb. 

Darüber hinaus warnt die Polizei: Es gibt auch „echte“ Betrüger, die einfach nur zum Stehlen in die Wohnung wollen – unter fadenscheinigen Gründen wie „wir müssen schauen, welchen Router Sie haben“.

Was hält die Verbraucherzentrale von Subunternehmen wie „Ranger Marketing“?

Verbraucherschützer Tergek rät zur Vorsicht: „Die Anbieter setzen auf diese Unternehmen, weil der Haustürvertrieb gerade für den Glasfaserausbau die wichtigste Vertriebsmethode darstellt. Allerdings kommt es immer wieder zu Beschwerden im Rahmen von Haustürgeschäften.“ Niemand müsse sich in einen Vertrag drängen lassen.

Wie arbeiten „Drücker-Kolonnen“ der Telekom und anderer Anbieter?

Drücker-Kolonnen gehen von Haus zu Haus und bieten Verträge an, nicht nur für die Telekom, sondern auch für andere Telekommunikationsanbieter, Stromversorger, Hilfsorganisationen und so weiter. „Einige Verbraucherinnen und Verbraucher berichten uns, dass die Mitarbeitenden an der Haustür besonders hartnäckig sind oder sogar durch Falschaussagen Druck aufbauen und sie so zum Vertragsschluss bewegen“, weiß Burak Tergek. Aber niemand müsse direkt einen Vertrag abschließen. Sein Rat: nur die Vertragsunterlagen annehmen und das Angebot in aller Ruhe mit anderen Angeboten vergleichen. In aller Regel kann der Vertrag auch noch später unterschrieben werden. 

Was soll ich tun, wenn ich schon unterschrieben habe?

„Bei Haustürgeschäften hat der Gesetzgeber die Gefahr, überrumpelt zu werden, erkannt“, lobt Tergek. Daher gibt es per Gesetz ein 14-tägiges Widerrufsrecht für alle Verträge, die „zwischen Tür und Angel“ an der Haustür unterschrieben wurden. „Falls daneben eine Täuschung oder eine Drohung durch den Mitarbeitenden vorliegt, kann der Vertrag zusätzlich angefochten werden“, erklärt der VZ-Sprecher.

Gibt‘s auch „echte“ Betrüger, die Glasfaser als Vorwand nutzen?

Ja! Die Dortmunder Polizei warnte erst vor wenigen Tagen davor. In der letzten Woche habe es vermehrt Meldungen über Verdächtige gegeben, heißt es. Schwerpunkte seien aktuell die Dortmunder Innenstadt und die südliche Gartenstadt. Nicht nur Marketingfirmen im Auftrag der Anbieter seien in Dortmund unterwegs, sondern auch „echte Betrüger“.

Sie wollen sich unter fadenscheinigen Gründen Zutritt zu Wohnung oder Haus verschaffen, um sich dort in Ruhe umsehen zu können. Deshalb rät die Polizei: „Es ist Ihr gutes Recht, Fremde nicht in Ihre Wohnung oder Ihr Haus zu lassen, wenn sie sich nicht angemeldet haben oder von Ihnen eingeladen wurden.“

Wie weit ist der Ausbau in Dortmund – und wer baut aus?

Laut Stadt sind neben der Telekom auch Dokom21, Vodafone, 1&1, OXG und Westconnect am Glasfaserausbau in Dortmund beteiligt. Bis 2025 sollen 50 Prozent aller Dortmunder Haushalte auf das Glasfasernetz zugreifen können, so das Ziel. Aktuell seien es aber erst 34,4 Prozent, erklärt die Stadt. Damit hinkt Dortmund etwas hinterher: In ganz NRW sind es gut 37 Prozent. Der Stand sei aber von Juni 2024. Im Glasfaseratlas vom Gigabit kann man kreisscharf sehen, wie weit der Breitbandausbau in NRW ist.

Wie weiß ich, ob im Haus oder in meiner Wohnung schon Glasfaser liegt?

Wenn das Haus ans Glasfaser-Netz angeschlossen ist, hängt meist im Keller ein (recht neuer) Verteilerkasten an der Wand. Das heißt aber nicht, dass die Kabel auch schon in die einzelnen Wohnungen gezogen wurden. Oft nutzen die Anbieter dafür Leerrohre oder alte Kamine und Schächte, über die sich die Kabel leicht hoch in die Wohnungen ziehen lassen.

Dann wird direkt am Schacht ein kleines Loch gebohrt und das Kabel aus der Wand gezogen. Geht das nicht, sind Bauarbeiten nötig. Am Ende ist das Ergebnis das gleiche: Liegt Glasfaser in der Wohnung, erkennt man das an einer quadratischen Dose an der Wand. Ob man den Anschluss nun nutzt oder nicht, ist jedem selbst überlassen.