Arnsberg. Freisprüche nach tödlichen Polizeischüssen auf Mouhamed Dramé in Dortmund: Gewerkschafter Ernst Herget zu den Folgen für die Kollegen.
Nach einem Jahr Verhandlung hat das Gericht am Donnerstag sein Urteil im Prozess um die tödlichen Schüsse auf den 16-jährigen Mouhamed Dramé verkündet. Der Einsatz im Innenhof einer Dortmunder Jugendwohngruppe, an dessen Folgen der junge Geflüchtete aus Senegal im August 2022 im Krankenhaus verstarb, endete mit Freisprüchen für die drei Polizisten und zwei Polizistinnen. Wie blickt die Polizei selbst auf den Fall und das Urteil?
Ernst Herget ist Vorsitzender des Bezirksverbandes Arnsberg der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Mitglied des Landesvorstandes und doziert an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Acht Jahre lang war er in unterschiedlichsten Funktionen einsatzbegleitend im Polizeidienst tätig. Er erzählt im Interview, wie der Fall ihn und seine Kolleginnen und Kollegen bewegt.
„Das Urteil stellt mich jetzt persönlich zufrieden.“
Herr Herget, alle fünf Polizistinnen und Polizisten, die beim Einsatz im Fall von Mouhamed Dramé vor Ort waren, sind nun freigesprochen worden. Wie blicken Sie auf dieses Urteil?
Aus meiner Sicht erstmal natürlich mit Erleichterung. Vorweg muss man aber sagen, dass immer noch ein Mensch gestorben ist und das ist insbesondere dann tragisch, wenn einer von uns dafür verantwortlich ist. Das will niemand. Trotzdem sind wir als Polizei mit genau solchen Lagen konfrontiert und müssen diese in irgendeiner Form lösen. Wir haben nun mal das Gewaltmonopol des Staates und die Schusswaffe ist Ultima Ratio. Und dann kann das passieren, obwohl es niemand will. Das Urteil stellt mich jetzt persönlich zufrieden. Ich habe gehofft, dass es so kommt, weil es ja auch eine totale Verunsicherung gegeben hat innerhalb der Kollegenschaft.
Wie geht man als Polizist mit der Last um, dass eine falsche Handlung so weitreichende Konsequenzen haben kann?
Keiner will einen Menschen töten. Die vordringlichste Sache ist die Gefahrenabwehr für Dritte, für den Menschen selbst und sich selbst. Das ist psychisch und emotional extrem belastend, vor allem wenn man damit konfrontiert ist, vor Gericht zu stehen. Letztlich ist das aber Teil unseres Jobs.
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Eine der angeklagten Polizistinnen brach bei ihrer Entschuldigung gegenüber der Angehörigen in Tränen aus. Was macht ein solcher Fall mit den betroffenen und anderen Beamten?
Die Kolleginnen und Kollegen erleben im Polizeiberuf die gesamte Bandbreite des gesellschaftlichen Elends und all das, was in einer Gesellschaft an Kriminalität und an schrecklichen Dingen passiert. Wenn dann noch ein Mensch stirbt und das durch das Tun eines Polizisten, dann belastet das enorm.
Haben Sie und Ihre Kollegen diesen Prozess über die Zeit aktiv verfolgt? Denken Sie oft daran?
Ja, absolut. Wir standen mit den Kollegen aus Dortmund heute in Kontakt und auch bei uns wird das Urteil viel diskutiert. So ist nach den ganzen Vorfällen der letzten Monate eigentlich jedem bewusst geworden, dass Menschen, die mit Messern bewaffnet sind, ultragefährlich sind. Die Gefahren, schwer verletzt oder getötet zu werden, die kann man sich vorher schwer vorstellen. Wir trainieren den Umgang damit. Wenn eine bestimmte Distanz unterschritten wird, dann ist man zum Handeln gezwungen, um Schaden abzuwenden. Dieser Prozess jetzt, der hätte jeden treffen können.
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Wie gehen Polizisten mit der psychischen Belastung um? Ist das überhaupt möglich?
Wir fordern, dass die Kolleginnen und Kollegen intensiv auf solche Einsatzlagen vorbereitet werden. So eine Situation ist eine Hochstressphase, in der man sich befindet. Da versucht man einfach nur zu funktionieren und das umzusetzen, was man gelernt hat. Einsatzkräfte werden aufgefangen und psychosozial begleitet, damit man posttraumatische Belastungsstörungen verhindert. Das bewegt alle, weil keiner einen Menschen töten will und das ist wirklich hochbelastend.
Haben Sie selbst in Ihrer Laufbahn auf Einsätzen ähnliche Situation erlebt?
So eine Situation habe ich persönlich noch nicht erlebt, es gibt aber viele Geschichten aus meiner dienstlichen Laufbahn. Gewalt gegenüber Kindern, gegenüber Frauen, wo wir einschreiten mussten. Wo man sich hinterher fragt, ob man alles richtig gemacht hat. Sind das Kind, die Frau jetzt in Sicherheit und haben wir wirklich alles getan, um hier die Gefahr abzuwehren? Der Polizeiberuf ist ein psychisch und genauso physisch sehr belastender Beruf.
Haben Sie das Gefühl, dass vor allem nach dem Fall in Dortmund die öffentliche Wahrnehmung Ihre Arbeit als Ganzes in Frage stellt?
Mir ist aufgefallen, dass es Gruppen gibt, die von vornherein sehr breit und sehr offen den Menschen in Uniform rassistische Motive bei den Schüssen auf den jungen Senegalesen vorgeworfen haben. Das ist etwas, was alle belastet. Der Staatsanwalt hat in seinem Plädoyer nochmal hervorgehoben, dass genau dieser Verdacht von Beginn eben nicht bestand und sich auch im Rahmen dieser intensiven Ermittlungen nicht ergeben hat. Diese plakativen Vorverurteilungen zu rassistischen Motiven oder Tendenzen sind nicht in Ordnung. Das hilft uns in der Diskussion nicht weiter und belastet alle Kollegen, das muss man einmal klar zum Ausdruck bringen.
Können Sie etwas dagegen tun, damit sich diese Wahrnehmung ändert?
Im Wesentlichen geht es darum, in Kontakt zu bleiben und einen vernünftigen Austausch miteinander zu haben. Also, dass die Polizei mit Menschen aus unterschiedlichen Milieus und Communities in Kontakt kommt - was das Land gerade auch schon umsetzt. Das ist gut und das ist richtig. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, grundsätzlich Vertrauen seitens der Polizei gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen aufzubauen.
Wenn wir technisch auf den Fall Mouhamed Dramé blicken: Sollte die Polizei vielleicht anders ausgestattet sein?
Wir haben den Taser eingeführt, weil wir der Auffassung waren, dass dieser erheblich deeskalierend wirkt. Es besteht keine hundertprozentige Sicherheit, aber im Vergleich ist es schon ein sehr gutes Einsatzmittel und ich würde mir wünschen, dass wir das vollständig auf alle Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen ausrollen. Dass die Kollegen eine Schusswaffe mit sich führen, ist absolut unumgänglich.
Gibt es in einer Situation, wie es sie in Dortmund gegeben hat, überhaupt eine richtige Entscheidung?
Rein technisch gesehen ist unser Auftrag die Gefahrenabwehr. Wir dürfen Zwang anwenden, wenn eine erhebliche Gefahr unmittelbar bevorsteht. Bei jemandem, der ein Messer in der Hand hat, und - wenn ich mich richtig erinnere - in einer kurzen Distanz gehockt auf den Zehenspitzen steht und dann auch noch einen Suizid versucht hat, also nicht berechenbar ist, dann ist das hier gegeben. Unterhalb von sieben Metern haben sie kaum eine Möglichkeit, auf jemanden zu reagieren, insbesondere dann, wenn der außer Kontrolle ist.
Könnte es trotz des Freispruches sein, dass Polizisten bei Einsätzen jetzt zögerlicher agieren, aus Angst vor Konsequenzen?
Da hat sich schon was geändert. Also zum einen haben wir schon ein paar mehr Fortbildungstage und der Bereich der psychischen Auffälligkeit ist mit hinzugetreten. Ich wünsche mir auch, dass wir das ausbauen. Jetzt ist das Urteil so gefallen, wie es gefallen ist. Man muss natürlich noch abwarten, ob Rechtsmittel eingelegt werden. Eine Verunsicherung ist immer da, aber ich glaube, dass der Prozess auch jedem ein bisschen in seiner persönlichen Einschätzung der Lage hilft.
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