Dortmund. Westerfilde im Dortmunder Nordwesten ist voller Gegensätze. Ländliches Idyll, marode Arbeiterhäuser und sterile Betonburgen wechseln sich ab. Die Einwohner sind sich einig: Der Stadtteil war mal schön und ist es nicht mehr. Ein Ortstermin in Westerfilde, Dortmunds — vermeintlicher — Nazi-Hochburg.

"Westerfilde? Beschissen!" sagt Sven, 27 Jahre alt, 27 Jahre Westerfilde. Kurt Seefeld findet den Stadtteil eine "Katastrophe". Seefeld ist 84, wohnt schon Ewigkeiten hier, seine Frau Karin ist 74, sie ist hier geboren und sieht das genauso. Westerfilde hat ein Problem, das man auf den ersten Blick nicht erkennt.

"Beschissen" ist hier erst einmal nichts, wenn man nach Westerfilde kommt. Fährt man mit dem Auto hindurch, sieht man Straßen, mehr oder weniger marode wie sonst wo auch, eine Hauptstraße mit wenigen Geschäften und vielen Trinkhallen, dazu einige Spielhallen. Eine "Katastrophe" stellt man sich irgendwie katastrophaler vor als den Kern von Westerfilde.

Man kann sich der Problematik des Stadtteils anders nähern: 21,4 Prozent Arbeitslosigkeit. 13,5 Prozent wählten bei der Kommunalwahl am 25. Mai hier im Wahllokal 39104, einer städtischen Tageseinrichtung für Kinder, rechtsextrem. Im gleichen Wahllokal gingen aber auch nur 25,3 Prozent von denen, die wählen durften, wählen. Vielleicht haben die wenigen, die in diesem Lokal zur Wahl gingen, hier nicht für etwas gewählt — sondern gegen etwas anderes. Gegen den Niedergang?

"Tiefer kann man nicht sinken"

"Zehn Jahre", sagt Birgit Wulffmeier, die Frau aus dem Blumenladen, ist es her, dass sich die Dinge hier zum Schlechten entwickelt hätten. "Das, was wir heute hier haben...", sagt sie, und hält dann kurz inne - "...wie soll man das nennen? Tiefer darf es nicht sinken."

"Knapp 20 Jahre" sei es her, sagt die Frau aus der Kindertagesstätte, in der das Wahllokal 39104 war, dass sie aufgrund der Entwicklung weggezogen sei. "Als wir hierher zogen, gab es auf der Hauptstraße 13 Kneipen", sagt Herr Seefeld. "Heute gibt es noch zwei - und gehen Sie da mal rein." Herr Seefeld geht da nicht mehr rein.

Stadtteil in der Abwärtsspirale

Westerfilde ist in eine Abwärtsspirale hineingeraten, die offenbar auch mit der Wohnarchitektur und der Art, wie mit ihr umgegangen wird, zusammenhängt. Hier stehen, nur ein wenig abseits von der Hauptstraße, viele Wohnklötze und -klötzchen, die an den Plattenbau erinnern. Früher war das mal eine preiswerte Wohnform für Arbeiter und ihre Familien, Vermieter war die Dogewo. Die Träume wuchsen hier nicht in den Himmel, sie wuchsen vielleicht hinter das Steuer eines eigenen Opel.

Die Dogewo verkaufte dann irgendwann an das, was man Finanzinvestoren nennt, und das Geschäftsmodell solcher Immobiliengesellschaften ist in der Regel hochgradig asozial zu nennen: Mieten werden kassiert, investiert wird wenig oder nichts. Die Blöcke werden dann blockweise weiterverkauft, die Substanz wird immer schlechter, und wer kann, der zieht aus.

Wer bleibt, kann nicht anders. Anders formuliert stehen dann da verranzte und heruntergekommene Wohnwürfel in der Gegend rum, bei denen die aktuellen Besitzer in der Regel froh sind, überhaupt noch Mieter dafür zu finden. In der Regel sind das Zuwanderer, darunter viele Armutsmigranten aus Südosteuropa.

Müllberge und Kriminalität — die Probleme in Westerfilde

"Sind Sie von der Hausverwaltung?", fragt ein Mann dominant, als man mit seinem Schreibblock durch die Wohnwürfel läuft. So wie er fragt, hat er ein Problem mit irgendetwas und will das klären. Er selber hat kein Problem, sagt er dann, und man glaubt ihm das aufs Wort. Früher habe er in der ersten Bundesliga gerungen, erklärt der 1,90-Mann, er mache sich hier keine Sorgen.

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Aber es werde zunehmend schlechter: Laut und vermüllt sei es, die Kriminalität steige. Und die Bulgaren und Rumänen leben in seiner Wahrnehmung wunderbar vom Kindergeld und würden erst abends ihr Tagwerk beginnen. "Kommen Sie mal abends vorbei und schauen Sie sich das Spektakel an." Seine Hausverwaltung habe einen Securitydienst, abends kämen die zu viert oder zu sechst und mit einem scharfen Hund. Gewählt hat er nicht. "Alle labern sie vorher und beschissen wirst du sowieso."

Aus Protest AfD gewählt

Sven, der seit seiner Geburt hier wohnt und seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, hat die Alternative für Deutschland (AfD) gewählt, und er ist vielleicht der Prototyp eines Protestwählers. Jeder habe sich hier früher in irgendeinem Verein engagiert, wenn man in keinem Verein gewesen sei, sei man sozial kaputt gegangen.

Heute seien immer weniger Menschen in Vereinen. Er selber war Jugendtrainer in einem Fußballverein, der hatte mal 250 Jugendliche. Heute seien es noch 30. Die SPD habe das Zepter in der Hand und mache damit nichts, "was die sich hier leisten, ist eine Frechheit". Es gebe keinen Metzger mehr, keine Boutique, Ostern hat auch noch der Rewe zugemacht.

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Man kann Rewe nicht für den Niedergang verantwortlich machen, aber jetzt gibt es auch keinen Vollversorger mehr. Die Menschen, die etwas einkaufen wollen, fahren eben da hin, wo sie alles bekommen. Sagt Tim Kock, er ist Kassierer beim "Mengeder Ferienspaß", er baut am Freitagmittag Spielgeräte für ein kleines Straßenfest auf. Kinder hat er selber nicht, aber sein Bruder hat welche.

"Fesche Jungs" bei Neonazi-Aufmarsch

Wenn man den 84-jährigen Kurt Seefeld, der 1964 bei der Ritter-Brauerei angefangen hatte, fragt, was man mit Westerfilde machen soll, damit es wieder aufwärts geht, dann fällt ihm "wirklich nichts" ein. Die Wohnblöcke würde er abreißen.

Bei Frau Wulffmeier, die ihren Laden seit 23 Jahren betreibt, lebt im Blumengeschäft das alte Westerfilde noch: Menschen, die sich kennen, kommen und gehen, schnacken meistens herzlich und manchmal ein bisschen rau über dies und das und nehmen dann ein kleines Blumengebinde im Wert von sieben, acht Euro mit. Und auch in ihrer Wahrnehmung ist hier nichts besser geworden. Eine hatte dann doch etwas beobachtet, das ihr gefallen hat: Beim letzten Naziaufzug seien ja schon ein paar "fesche Jungs" dabeigewesen.

Nazi-Demo in Dortmund

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