Bottrop. „Einzigartig in NRW“ nennt Ministerin Ina Scharrenbach die Projektumsetzung. Bottroper Brauchtum am Touchscreen und durch die VR-Brille gesehen.
Das Historische Erlebniszentrum (HEZ) im Rathaus nimmt Gestalt an. Davon konnten sich jetzt nicht nur die Stadtspitze und Mitglieder der Bottroper Vereine überzeugen, die bald im Mittelpunkt dieser Piloteinrichtung stehen. Auch NRW-Kommunal- und Heimatministerin Ina Scharrenbach zeigte sich geradezu begeistert. Das lag sicher nur zum Teil am spontanen Ständchen und den Blumen, die man der Landesministerin an ihrem Geburtstag überreichte, sondern vor allem wohl an dem unglaublichen Fortschritt, den das Projekt seit ihrem letztem Besuch im Dezember in den denkmalgeschützten Räumen dieses ältesten Rathaustraktes gemacht hat.
Bottrops Verwaltung und Traditionsvereine arbeiten für dieses Zentrum Hand in Hand
„Einzigartig in NRW und ein wunderschönes Beispiel, wie Verwaltung und Traditionsvereine Hand in Hand das Brauchtum der Allgemeinheit auf besondere Art und Weise näherbringen“, sagt die Ministerin, deren Haus mit weit über 300.000 Euro den Löwenanteil der insgesamt rund 450.000 Euro stemmt, mit denen das HEZ im Sommer endgültig für die Öffentlichkeit ans Laufen gebracht wird. Und „laufen“ ist kein schiefes Bild für das, was an moderner Präsentationstechnik aufgeboten wird. In zehn Modulen zeigen sich künftig Brauchtumsvereine von den Schützen über die neun Karnevalsgesellschaften, Kleingärtner, Brieftaubenreisevereinigung, aber auch der honorigen „Gesellschaft Erholung“ von 1874, die somit nach einigen kirchlichen Vereinigungen der älteste Bottroper Verein ist.
„Kenn’ ich nicht - so geht es vielen“, sagt Andreas Pläsken über die „Gesellschaft Erholung“. Der Stadtsprecher ist zugleich Vorsitzender des neuen HEZ-Trägervereins, der künftig die Geschicke des Zentrums in die Hand nimmt. Das liege vielleicht daran, dass dieser Verein, gegründet vom damaligen Amtmann Gustav Ohm, der Freizeitgestaltung der einstigen Hautevolee des alten Bauerndörfchens Bottrop dienen soll(te). „Bis heute tritt man auch nicht ein, sondern muss mindestens drei ,Empfehlungen’ vorweisen können. Dafür lockt dann auch eine gewisse Exklusivität, die in einem regelmäßigen Ball gipfelt.“ Mangels Bottroper Örtlichkeiten wird heute aber zumeist in Nachbarstädten getanzt.
Als Pendant dazu kam zwei Jahre später die Alte Allgemeine Schützengesellschaft dazu. Wie der Name andeutet: Eine Gesellschaft für alle. Es folgten Karnevalsgesellschaften, Brieftaubenvereine, die Ehrengarden des Bergbaus und der Kirche, die Historische Gesellschaft, Kleingärtner (die einzigen derzeit komplett ohne Nachwuchsprobleme): Die Liste Bottroper Vereine ist lang. Neun dieser ebenso schicken wie informativen Module sind gesetzt. Das zehnte soll regelmäßig wechseln. Mittels Touchscreen gelangen künftige Besucher auf verschiedene Ebenen: Bilder, Filme, Urkunden, zu jedem Modul gibt es ein Rätsel: Interaktives Mitspielen macht eine entsprechende Spielfigur möglich, die in einem schön gestalteten Holzregal untergebracht ist.
Neue Filme, neue Technik und Tausende historische Fotos
„Halbzeiteröffnung“ nannte sich diese Schnupperstunde deshalb, weil noch nicht alle Module funktionstüchtig eingerichtet sind. „Gerade bei den Filmen hat uns Corona viel Zeit gekostet“, sagt Daniel Spasojevic von der Firma NewsMedia, zuständig für die gesamte Technik bis hin zur Aufbereitung unzähliger historischer Fotos, die die Vereine geliefert haben, über die Filmdrehs bis hin zum Einrichten der VR-Brillen, die die Filmdokus in 3D zeigt.
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Auf den Emporen der ehemaligen Verwaltungsbibliothek gibt es entsprechend zu jedem Themenmodul Vitrinen, in denen es ganz analog zugeht. Alte Urkunden, Mitgliederverzeichnisse, frühe Geschwindigkeitsmesser für Brieftauben, Orden, Fahnen: Oben finden sich reale Entsprechungen dessen, was unten hochmodern aufbereitet erzählt wird. Emporenbrüstungen, Treppen und selbst das Sicherheitsverbundglas mussten übrigens erhalten bleiben, denn die Räume stehen unter Denkmalschutz.
Eine zeitgemäße Aufbereitung von Tradition, die auch junge Leute faszinieren soll
Stadtarchivarin Heike Biskup - die neue Brauchtumswartin des HEZ - hat schon Pläne: „Mit den Schülergruppen, die zu uns ins Archiv kommen, werden wir im Rathaus Stadt- und Heimatgeschichte endlich auch technisch zeitgemäß erzählen können.“