Bottrop. Eine Bottroper Pflegemutter muss bald Abschied nehmen von ihrem Lieblingskurort an der Ostsee. Ursache ist ein umstrittenes Verkehrsprojekt.
Seit 20 Jahren fährt die Bottroperin Gabriele Tanz mit ihren Pflegekindern zu Mutter-Kind-Kuren ins Haus „Baltic“ der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Und nicht nur sie: „Das halbe Ruhrgebiet war in den letzten 30 Jahren bei uns zu Gast“, sagt Andreas Frank, Geschäftsführer der Awo-Tochter „AW Kur und Erholung“, die das Haus direkt am Ostseestrand betriebt. Aber Ende 2023 wird Schluss sein: Die Awo gibt das Haus auf. Ursache dafür ist eines der größten und umstrittensten Bauprojekte Europas: der Fehmarnbelttunnel.
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Die Pläne für die Verbindung unter der Ostsee zwischen Deutschland und Dänemark sind über Jahre beklagt worden bis vor das Bundesverwaltungsgericht. Seit dem 3. November 2020 seien alle Klagen abgewiesen. „Das heißt: Das Vorhaben ist baureif“, meldete die Landesregierung von Schleswig-Holstein, die die Planung auf deutscher Seite betreibt.
Kurhaus läge künftig an der Autobahn
Wenn der Fehmarnbelttunnel gebaut wird, dann kommt auch der vierspurige Ausbau der Straße zwischen Puttgarden und Heiligenhafen. Und dann hätte das Kurhaus Baltic in Großenbrode einen Autobahnanschluss, den die Awo-Tochter gar nicht haben will. Schließlich wollen Kurgäste vor allem eines: ihre Ruhe und möglichst wenig Verkehrslärm. Noch kann die AW Kur werben mit der Lage: „Die Mutter-Kind-Kurklinik liegt am Ortsrand von Großenbrode, umgeben von Grünanlagen und nur 300 Meter vom Naturstrand der Ostsee entfernt. Dieser eignet sich zum Wandern, Baden und Sammeln von zahlreichen Strandsouvenirs wie Muscheln, Donnerkeilen, Hühnergöttern oder Krebsen.“ Eine Autobahnbaustelle nebenan passt so gar nicht in dieses idyllische Gemälde. Frank: „Unser Grundstück hat für einen Kurbetrieb keine Zukunft.“
Plan B der Awo war ein Umzug im Ort
Deshalb hatte die AW Kur schon vor Jahren einen Plan B entwickelt und ein Grundstück am anderen Ende des Ortes erworben. Die Politik begleitete die Pläne höchst wohlwollend, schließlich gehört die Awo zu den größten Arbeitgebern im Ort. Bürgermeister Jens Reise versicherte der „Heiligenhafener Post“ (HP): „Wir haben bereits vor Jahren gemeinsam ein Grundstück am Kai ins Auge gefasst, auf dem wir der Awo sehr gerne ihre Neubaupläne ermöglicht hätten.“
Diese Pläne setzt die AW jetzt aber nicht mehr um, weil sie durch die Corona-Pandemie und die Folgen wie die Preisexplosionen in der Bauwirtschaft Großbaupläne als zu riskant ansieht. Zur Begründung gegen den Umzug in einen Neubau in Großenbrode sagte Frank im September der HP: „Wir haben keine seriöse Planungssicherheit und haben dem Leitungsteam vor Ort unsere Entscheidung mitgeteilt, die auch uns sehr schmerzt, aber alternativlos ist.“ 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind von dieser Entscheidung betroffen.
Bis Ende 2023 sind noch Kuren im Haus Baltic möglich
„Bis 31. Dezember 2023 wird das Kurhaus Baltic den Betrieb aufrechterhalten“, sagt Andreas Frank. „Für die Zeit danach können wir Müttern und Kindern aus dem Ruhrgebiet Kuren und Behandlung etwa an der Nordseeküste in Büsum anbieten.“ Dort betreibt die AW Kur die „Nordseeklinik Erlengrund“. Sie trägt das Qualitätssiegel des Müttergenesungswerkes und ist nach AW-Angaben eine „zertifizierte Vorsorgeeinrichtung mit Schwerpunkt speziell auf Mütter und Kinder mit psychosomatischen Erkrankungsbildern.“ Die Klinik liegt am Rande des Naturheilbades Büsum, direkt am Deich.
Über die Nordsee werde sie vielleicht später mal nachdenken, sagt Gabriele Tanz. Vorher will sie Abschied nehmen von „ihrem“ Kurhaus Baltic. Den Antrag auf eine Mutter-Kind-Kur hat sie bereits gestellt. Die elfte Kur wäre dann die letzte am Fehmarnbelt.