Bochum. Thyssenkrupp will Hunderte Stellen in Bochum streichen. Kai Kühlborn und Mike Sperrhake könnten davon betroffen sein. Sie reden Klartext.

Hunderte Jobs will Thyssenkrupp an der Essener Straße in Bochum streichen und auslagern. Entsetzt hat die Belegschaft dort reagiert, als sie am Dienstag von den Plänen erfahren hat. „Das ist eine Katastrophe“, sagt Industriemechaniker Mike Sperrhake (40). Seit mehr als 20 Jahren ist er im Unternehmen. Und jetzt soll er überflüssig sein?

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Ähnlich konsterniert ist sein Kollege, der Verfahrenstechniker Kai Kühlborn (20). Beide arbeiten an der sogenannten Tandemstraße, die ebenso wie eine der beide Beize-Anlagen im Werk geschlossen werden soll. 300 Stellen könnte allein das kosten. „Die Nachricht ist ein ziemlicher Schock, besonders für uns junge Leute“, so Kühlborn.. „Die Tandemstraße ist ja ein Hauptaggregat. Wir sind eine wichtige Anlage, wo das Material erst einmal durchlaufen muss, bevor es weiterverarbeitet wird. Deshalb dachte man eigentlich, dass sie ein ziemlich sicherer Arbeitsplatz ist.“

Hunderte Thyssenkrupp-Mitarbeiter in Bochum bangen um ihre Jobs

Umso größer ist das Entsetzen, als sie am Mittag von den Plänen des Konzerns hören. Betriebsrats-Chef Engin Karakurt berichtet den mehreren Hunderte Beschäftigten in einer eiligst anberaumten Informationsveranstaltung über Eckpunkte, die ihnen der Vorstand am Abend vorgestellt hat.

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Keiner hat damit gerechnet, dass die Tandemstraße im Bochumer Werk gestrichen werden soll. Denn die ist, so ist am Werkstor zu hören, „die günstigste Straße im Stahlbereich überhaupt. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn der Vorstand sagt, für ihn zählen Zahlen, Daten, Fakten, dann kann er das doch nicht ignorieren.“ So sieht es auch Kai Kühlborn: „Uns wurde immer erzählt, das die Tandemstraße hier in Bochum die meisten Tonnen produziert.“

ThyssenKrupp: Betriebsrat informiert Beschäftige, 300 Stellen sind in Bochum gefährdet.
Am Tor Süd an der Essener Straße in Bochum hat der Betriebsrat für die Info-Veranstaltung ein mobiles Betriebsratsbüro aufgebaut. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Fällt sie weg und würden alle Kapazitäten demnächst nur noch in Duisburg bearbeitet, müsste viel Material hin und her transportiert werden. „Ob das wirtschaftlich ist?“, unken die beiden Stahlarbeiter. Der Jüngere von beiden hat einen dunklen Verdacht: „Ich denke, dass mit der Zeit auch die anderen Anlagen betroffen sind.“ Nur das wolle jetzt bestimmt noch niemand kommunizieren. Wie das mit den jüngsten Investitionen in Höhe von mehr als 300 Millionen Euro am Standort zusammenpassen soll, ist nicht nur ihnen schleierhaft. Viele Beobachter fragen sich: Wie geht das zusammen?

Alle reden von Unsicherheit und schwindendem Vertrauen

Derweil wissen viele im Werk offenbar nicht mehr, woran sie sich halten sollen. „Was wir im Moment hören, ist aus meiner Sicht alles ziemlich substanzlos“, beklagt etwa Dirk Stahlschmidt, der Betriebsratsvorsitzende an der Castroper Straße, dem zweiten Bochumer Standort. Gewerkschaftschefin Ulrike Hölter von der IG Metall wähnt, „dass einfach nur Zahlen rausgehauen werden, ohne dass der Vorstand einen wirklichen Plan hat.“ Und Kai Kühlborn spürt immer mehr eine Abwärtsspirale: „Alle drei Monate hört man andere Sachen. Man kann sich auf nichts verlassen. Es wird von Monat zu Monat schlimmer. Und heute, das hat uns schon ordentlich getroffen.“

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So schwindet denn auch das Vertrauen immer mehr: „Nach den heutigen Informationen glaube ich gar nichts mehr“, sagt Maik Sperrhake, als die Sprache darauf kommt, dass Thyssenkrupp angeblich betriebsbedingte Kündigungen vermeiden will.

Dirk Stahlschmidt, Betriebsratsvorsitzender im Thyssenkrupp-Werk Bochum an der Castroper Straße

„Was wir im Moment hören, ist aus meiner Sicht alles ziemlich substanzlos“

Dirk Stahlschmidt
Betriebsratsvorsitzender im Thyssenkrupp-Werk Bochum an der Castroper Straße

Unübersehbar ist, die beiden Männer sorgen sich um ihre berufliche Zukunft – so wie viele Hunderte andere in den Bochumer Werken und andernorts. Seit Jahren arbeiten sie „vollkonti“, d.h. in drei Schichten: zweimal früh, zweimal spät, zweimal nachts, dann vier Tage frei. „Man hat da keinen richtigen Schlafrhythmus mehr“, sagt Maik Sperrhake. Und jetzt, mit der Ungewissheit, was aus dem Arbeitsplatz wird, erst recht nicht.

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