Bochum. Thyssenkrupp will sich von seiner Stahlsparte trennen. Bochum und andere Standorte fürchten um Fortbestand. Betriebsrat erwartet harten Kampf.
„Stahl ist Zukunft“, skandieren sie. „Stahl ist Zukunft“. Immer wieder. Aus mehreren Hundert Kehlen von Beschäftigten dröhnt dieser Ruf am Donnerstagmorgen vom Tor Süd des Thyssenkrupp-Werks an der Essener Straße ins Land. Es ist eine Botschaft, die gemischt ist aus Entschlossenheit und Trotz. Und es ist eine Kampfansage an Konzernchef Miguel López. Dessen „Radikalplan“, so sagen die Betriebsräte von Thyssenkrupp Steel Europe (TKS) und die IG Metall, werde 10.000 Arbeitsplätze kosten. Darunter auch welche in Bochum.
Bochums TKS-Betriebsratschef Karakurt stimmt Belegschaft auf Kampf ein
„Herr Lopez will die ganzen Außenstandorte rasieren“, sagt Engin Karakurt, der Betriebsratsvorsitzende von Thyssenkrupp Steel Europe am Standort Essener Straße in Bochum, mit grimmiger Miene und blickt dabei in viele ernst und betroffen blickende Gesichter. Es ist die erste Informationsveranstaltung der Belegschaft in der aktuellen Krise. Viele weitere, so Karakurt, werden noch folgen.
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Dass der Konzern an der Essener Straße derzeit mindestens 250 Millionen Euro in zwei neue Produktionsanlagen investiert, sei alles andere als eine Bestandsgarantie. „Viele denken, wir kriegen gerade neue Anlagen, können uns deshalb zurücklehnen und das wird schon“, so der Betriebsratschef. „Wir haben vor vier Jahren den Kompromiss vereinbart, dass wir hier neue Anlagen kriegen und das Werk an der Castroper Straße heruntergefahren wird. Das sieht jetzt anders aus. Jetzt sollen alle Außenstandorte rasiert werden. Und dagegen müssen wir uns wehren.“
Bundestagsabgeordneter Schäfer (SPD) erinnert an Nirosta-Schließung
Dass eine Werksschließung noch gar nicht so lange her ist, daran erinnert Bundestagsabgeordneter Axel Schäfer (SPD) mit einem Blick in die unmittelbare Nachbarschaft. Dort hatte der finnische Konzern Outokumpu 2016 die frühere Thyssenkrupp-Tochter Nirosta geschlossen. 450 Beschäftigte verloren damals ihren Arbeitsplatz.
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Nun könnte Bochum weitere Industrie-Arbeitsplätze verlieren. 2030, wenn verabredungsgemäß das TKS-Werk an der Castroper Straße schließt, werden es ohnehin schon 600 Stahl-Jobs sein, die abgebaut werden. An der Essener Straße sind es derzeit noch 2000 Stellen. Und um die, das betonen alle Redner an diesem Morgen, müssen die Belegschaft, Gewerkschaft, Politik und die ganze Stadt kämpfen.
Bochums SPD-Chef Yüksel warnt vor Vernichtung von Stahl-Arbeitsplätzen
So sehr Bochum und viele der hier lebenden Familien mit Krupp und Thyssenkrupp verbunden sind, wie Bochums SPD-Chef und Landtagsabgeordneter Serdar Yüksel sagt. Sein Vater etwa sei 30 Jahre lang im Kaltwalzwerk beschäftigt gewesen, Freunde und Verwandte arbeiten heute noch im Werk. Es gehe um viel mehr. „Was wir im Moment erleben, ist nicht nur das Infragestellen von Standorten oder das Vernichten von Arbeitsplätzen, sondern es geht um die Substanz in unserem Land. Wie wollen wir die ganze Transformation hinbekommen, Häuser, Straßen und Brücken bauen, die Bundeswehr ertüchtigen, ohne eigenen Stahl? Eines muss gesagt werden: Stahl ist systemrelevant. Ohne deutschen Stahl gibt es keinen Fortschritt, keine Transformation und auch keine Zukunft.“
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Dafür erntet der SPD-Chef großen Applaus. Ebenso wie Bundestagsabgeordneter Max Lucks (Die Grünen), als er mit markigen Worten auf die Zwei-Milliarden-Euro-Hilfe aus Berlin für den Umbau zur grünen Stahlproduktion bei Thyssenkrupp erinnert. Geld, das der Konzern einerseits wolle. Andererseits sei sich die gleiche Konzernspitze aber offenbar nicht sicher, „ob sie den Stahl überhaupt hier behalten möchte. Da sage ich ganz klar in Richtung Herrn Lopez und anderen: Verarschen könnt ihr euch alleine, aber nicht uns.“
Allerdings: Betriebsrat und IG Metall haben beim Kampf um Standorte und Arbeitsplätze nicht nur einen Kontrahenten ausgemacht, so Betriebsratschef Engin Karakurt: „Der Businessplan des Stahlvorstands ist auch nicht super. Aber darum geht es noch nicht. Wir müssen erst einmal um die Finanzierung für die Verselbständigung der Stahlsparte kämpfen, sonst werden wir am Ende nicht überleben.“