Bochum. Ausverkauf bei „Atlantis MegaMax“ – der letzte Filmverleih Bochums schließt. Warum Filmfans hierher pilgern und das Ende der Branche betrauern.
Das Ende einer Ära: Seit 1986 steht an der Herner Straße 150 in Bochum das „Atlantis MegaMax“. Für lange Zeit war dieser Filmverleih – auch über die Stadtgrenze hinaus – eine wahre Instanz für Filmfans. Doch Ende des Jahres ist endgültig Schluss. Die letzte Videothek Bochums schließt zum 31. Dezember 2024.
Bis dahin versucht Wolfgang Mohrlang (73) seine Schätze noch so gut es geht unterzubringen. Alles – das heißt etwa 40.000 Filme für jung und alt, Konsolenspiele, Erotikfilme, -magazine und -spielzeuge und sogar die Regale im Laden – steht zum Ausverkauf. Und die Aktion zieht: Filmfans aus NRW kommen extra nach Bochum, um im „Atlantis“ zu stöbern und zu kaufen. Was treibt sie an, wenn Filmegucken im Internet doch so einfach wie nie und zu jeder Zeit zugänglich ist? Was für Gründe gibt es noch, in eine Videothek zu fahren?
Grund 1: Das Angebot ist besser als bei Streamingdiensten
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Ganz einfach: „Das Angebot ist besser als im Internet“, findet Ingo Werry (63). Er kam extra aus Mühlheim her, um hier Stücke für seine Sammlung zu finden. „Ich hab‘ selber alle möglichen Streamingdienste, aber jeder einzelne hat seine limitierte Mediathek. Das finde ich frustrierend.“ Und hier? „Hier gibt es einfach alles – und in Originalsprache.“ Der Filmfan schaut am liebsten nischige Produktionen aus Hongkong, Japan oder den USA. Und wer keine Blockbuster sucht, sondern spezielle Originalfilme aus anderen Ländern, der sei in einer Videothek deutlich besser beraten als bei einem Streamingdienst, findet der 63-Jährige.
Grund 2: Leihen hat seine Vorzüge
Auch das Geschäftsmodell der Videothek an sich hätte seine Vorzüge, findet Heinz Beyer (73). Er kommt seit 30 Jahren ins „Atlantis“. „Ich gucke gerne so einmal die Woche einen Film. Dafür wäre ein Streamingdienst viel zu teuer“, sagt der Rentner. Er leihe grundsätzlich lieber Filme aus, als sie zu besitzen und wolle ohnehin keinen Film mehrmals gucken.
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Grund 3: Eine Videothek inspiriert, das Internet überfordert
Maurice Dregen (34) ist erst vor Kurzem wieder auf Filmverleihe aufmerksam geworden. Besonders die Räumungsangebote locken ihn: „Es ist schade, dass dieser Kult verloren geht, obwohl es natürlich abzusehen war, dass Videotheken aussterben. Dafür klappere ich jetzt die ganzen Ausverkäufe ab – man wird hier unglaublich inspiriert und findet Filme, auf die man nie selber gekommen wäre“. Auch der Krankenpfleger aus Recklinghausen bezieht mehrere Streamingdienste, jedoch bemängelt er, dass „man immer vorher wissen muss, worauf man Lust hat.“ Hier könne man einfach stöbern und das Angebot auf sich wirken lassen.
„Man wird hier unglaublich inspiriert und findet Filme, auf die man selber nie gekommen wäre“
Das bestätigt auch ein Kunde der Erotikabteilung des „Atlantis“, der lieber anonym bleiben möchte: „Wenn man theoretisch alles haben könnte, dann steht man da und weiß nicht, wohin mit sich“. Das Internet überfordere mit seiner übermäßigen Freiheit, während einem eine Videothek unterschiedliche Dinge anbiete, von denen man sich ansprechen lassen könne.
Der Erotikbereich im „Atlantis“
Laut Wolfgang Mohrlang ist es übrigens dieser Erotikbereich, der seinen Laden in den letzten Jahren über Wasser gehalten hat. Dieser macht etwa die Hälfte der Ladenfläche aus und wird durch eine große Trennwand vor den Augen der „regulären“ Kundschaft geschützt.
„Früher waren die Verhältnisse zwischen Kunden des Erotikbereichs und ‚dem Rest‘ etwa 50:50 – heute überwiegt die Erotik“, erklärt der Geschäftsführer. „Doch auch das geht langsam verloren. Denn für die Erotikfilme kommen hauptsächlich ältere Kunden, die dem Internet nicht vertrauen und anonym bleiben wollen. Aber jüngere Leute und Pärchen rücken nicht nach – die sind es gewohnt, Pornografie im Internet zu konsumieren.“
„Ich würde weitermachen, wenn sich die Gelegenheit bieten würde“
Der 75-jährige Wolfgang Mohrlang betrauert das Ende seiner Branche: „Es tut einfach weh, das kann man nicht anders sagen“. Er hätte schon längst in Rente gehen können, machte aber „aus Spaß an der Freude“ weiter. Er liebe Filme selber und würde sogar in einer anderen Videothek weitermachen, wenn sich die Gelegenheit bieten würde.
„Ich habe es aus Spaß an der Freude so lange gemacht“
Bis Mitte Dezember erwartet Mohrlang noch Neuware: „Die Leute sollen ja noch bis zuletzt unser Angebot genießen können“. Bis dahin heißt es „alles raus!“ – es gibt Rabatte und Pakete. Was übrig bleibt, geht laut Mohrlang an andere der schätzungsweise 50 übriggebliebenen Videotheken in Deutschland, die sich bis jetzt noch halten konnten.
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