Bochum. Nach der Säure-Attacke in einem Bochumer Café spricht erstmals das Opfer. Wie es ihm geht und wie die Awo mit einer Spendensammlung helfen will.
Der bei dem Säure-Attentat auf das Bochumer Café „Fräulein Coffea“ schwer verletzte Mann hat sich gut anderthalb Wochen nach dem Vorfall erstmals öffentlich zu Wort gemeldet. Wie die Arbeiterwohlfahrt (Awo) Ruhr-Mitte mitteilt, steht deren Vorsitzender Serdar Yüksel in engem Austausch mit dem Studenten und dessen Familie.
Dhia heiße der Student, der ursprünglich aus Tunesien stammt und seit 2018 in Bochum lebe. 30 Jahre alt war er, als der Säure-Angriff geschah; am Dienstag (9. Juli) hatte er Geburtstag, ist jetzt 31. Noch immer liege er im Krankenhaus, habe „Schmerzen und vor allem immer noch Angst“, heißt es in einer Mitteilung der Awo.
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- Fotostrecke: Die Bilder vom Einsatz im Café.
- Hintergrund: Lara T. (30) arbeitete im Café in Bochum, als ein Mann dort Gäste mit Säure übergoss. Lesen Sie hier, wie sie die Tat und ihre unmittelbaren Folgen erlebte.
Spontan ins Café eingekehrt
Bei dem Anschlag hatte ein Mann am Sonntagnachmittag, 30. Juni, völlig unvermittelt hoch-konzentrierte Schwefelsäure auf Gäste im Außenbereich des Cafés „Fräulein Coffea“ nahe dem Schauspielhaus gespritzt. Insgesamt elf Menschen – darunter auch Rettungskräfte – wurden verletzt. Der mutmaßliche Täter, ein Mann (43) aus Bergkamen, konnte von Passanten gestoppt werden. Er sitzt weiter in U-Haft. Gegen ihn wird wegen versuchten Mordes ermittelt. Der 43-Jährige streitet die Tat nach Angaben seines Anwaltes ab.
Der Tag des Angriffs sei eigentlich ein schöner gewesen: Dhia sei mit seiner Frau Angela am Kemnader See spazieren gewesen. Beide seien auf dem Weg nach Hause noch spontan für ein Stück Kuchen und einen Kaffee in ihrem Lieblingscafé im Ehrenfeld eingekehrt.
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Opfer sagt, er hat den Angreifer nie zuvor gesehen
„Wir saßen draußen, haben bestellt und die Kellnerin kam gerade mit dem Kuchen und dem Kaffee. Ich habe meine Frau angesehen – dann spürte ich einen brennenden Schmerz“, hat der 31-Jährige im Gespräch mit Awo-Ruhr-Chef Serdar Yüksel erzählt. Noch für einige Momente sei er bei vollem Bewusstsein gewesen, habe einen Mann davonlaufen gesehen. „Ich war dann wie in einer anderen Welt“, wird Dhia zitiert. „Meine Frau hielt meine Hand, die anderen Gäste im Café und die Mitarbeitenden haben mir geholfen und mich beruhigt, bis die Polizei und die Feuerwehr eingetroffen sind.“
Er habe den Angreifer nicht kommen sehen, habe ihn vor dieser Begegnung nicht gekannt. „Deswegen frage ich mich immer wieder, warum es mich treffen musste“, sagt Dhia. „Ich lebe gerne in Deutschland, engagiere mich sozial, lebe ein normales Leben. Warum?“
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Einmal operiert, weitere Hauttransplantationen folgen
Der 31-Jährige mache zurzeit seinen Master im Fachbereich Bauingenieurwesen in Mülheim, arbeite Teilzeit in der Branche. Er habe sich seinerzeit „aus voller Überzeugung“ für ein Studium in Deutschland entschieden, heißt es in der Awo-Mitteilung. „Ich bin Fußballer, verfolge den deutschen Fußball und das Land hat mich gereizt“, wird Dhia zitiert. Er hätte auch in Frankreich studieren können, sprachlich wäre das leichter gewesen. „Aber ich suchte die Herausforderung – und fühlte mich in Bochum zu Hause.“
Einmal sei er bereits operiert worden, weitere Hauttransplantationen werden folgen. Auch seine Ehefrau ist laut Awo-Informationen bei der Säure-Attacke an der Hand verletzt worden. Sie sei ebenfalls operiert worden.
„Ich lebe gerne in Deutschland, engagiere mich sozial, lebe ein normales Leben. Warum?“
Säure-Anschlag in Bochum: Eltern des Opfers fliegen nach Deutschland
Die tunesische Botschaft hat sich indes nach eigenen Angaben dafür eingesetzt, dass die in Tunesien lebenden Eltern des Opfers schnell ein Visum für Deutschland bekommen. Außerdem habe sie die Kosten für den Flug nach Deutschland übernommen. Die Maghreb Post, ein deutschsprachiges Online-Medium mit Berichten aus den Maghreb-Staaten, hatte unter Berufung auf „diplomatische Quellen“ berichtet, dass das tunesische Generalkonsulat bei dem Attentat von einem rassistischen Motiv ausgehe.
Die tunesische Botschaft möchte das auf Nachfrage der WAZ nicht bestätigen. „Da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, erscheint es uns angemessen, hier zu keinen Mutmaßungen zu kommen“, sagt Generalkonsul Mustapha Ziri. „Die Sorge, dass es sich doch um ein politisch-motiviertes Attentat handelt, ist berechtigt, da wir ähnliche Fälle erlebt haben, wo der Täter – wie in den meisten Fällen – als psychisch gestört eingestuft wurde.“
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Staatsanwaltschaft Bochum: Motiv ist unbekannt
Von der Staatsanwaltschaft hieß es bisher, dass weder ein politisches noch ein persönliches Motiv auf der Hand liege. Der mutmaßliche Täter sei wegen diverser Gewaltdelikte polizeibekannt. Ermittler hatten seine Wohnung in Bergkamen durchsucht. Dabei wurden keine Chemikalien gefunden. Die Staatsanwaltschaft Bochum hat sich auf eine Anfrage der WAZ zu neuen Ermittlungserkenntnissen nicht geäußert.
Das Café „Fräulein Coffea“ hat mittlerweile auf unbestimmte Zeit geschlossen. Kurz nach dem Anschlag hatte es wieder geöffnet. In einem Aushang an der Tür weist es seine Kundinnen und Kunden nun darauf hin, dass es vorerst geschlossen bleibe.
Die Awo Ruhr-Mitte hat derweil eine Spendenaktion für Dhia und seine Familie gestartet. „Dhia wird auf absehbare Zeit nicht arbeiten und studieren können. Er wird auf psychologische Begleitung angewiesen sein“, sagt der Vorsitzende Serdar Yüksel. „Zumindest finanzielle Sorgen wollen wir ihnen daher abnehmen.“
Spendenkonto:
- Inhaber: AWO Bochum
- IBAN: DE75 4305 0001 0001 2088 18
- Stichwort: Dhia
+++Was macht die WAZ Bochum eigentlich bei Instagram? Die Redakteurinnen Inga Bartsch und Carolin Muhlberg geben im Video einen Einblick.+++