Bochum. Das Apotheken-Sterben hält an. Wo ein weiterer Betrieb aufgegeben hat – und warum die Branche in den nächsten Jahren einen Kahlschlag befürchtet.
„Die Kunden weinen“, sagt George Daye und lässt spüren: Auch ihm ist zum Heulen zumute. Nach fünf Jahren hat der 41-Jährige seine Glocken-Apotheke an der Bessemerstraße geschlossen. Mehr als 100 Jahre habe es an diesem Standort eine Apotheke gegeben, berichtet Daye. Damit ist es zumindest vorerst vorbei: „Ein Nachfolger ist nicht in Sicht.“
Das Apotheken-Sterben in Bochum hält an. „Als ich vor 20 Jahren begann, hatten wir hier 120 Betriebe“, erinnert sich Apothekensprecherin Dr. Inka Krude (Alte Apotheke 1691). Aktuell sind es wenig mehr als 70. Seit 2023 haben laut Apothekerverband Westfalen-Lippe fünf Geschäfte ersatzlos aufgegeben: die Greif-Apotheke an der Josephinenstraße, die Apotheke Everaldo im Ruhrpark, die Linden-Apotheke an der Dorstener Straße, die Elbe-Apotheke in Kornharpen und die Berg-und-Hütten-Apotheke an der Herner Straße. Nun sind in der Glocken-Apotheke im Griesenbruch die Lichter ausgegangen.
Apotheke im Griesenbruch ist dicht: „Das war nicht mehr zu schaffen“
Zunehmende wirtschaftliche Probleme in der gesamten Branche führt George Daye als Hauptursache an. Hinzu kämen personelle Engpässe. Mit drei Mitarbeiterinnen habe er den Betrieb stemmen müssen: „Stress pur.“ Für ihn habe das eine 60-Stunden-Woche bedeutet. Neue Beschäftigte seien kaum zu finden. „Auch wenn es mir sehr leidtut: Das war für mich nicht mehr zu schaffen.“ Deshalb wolle er aus der Selbstständigkeit in ein Angestellten-Verhältnis wechseln.
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Das Ende der Glocken-Apotheke trifft vor allem Patientinnen und Patienten der benachbarten Hausarztpraxis Dr. Kampe: vielfach mit Migrationshintergrund. „Hier im Viertel waren wir auch medizinischer Berater in allen Lebenslagen“, sagt George Daye. Nun sind deutlich längere Wege erforderlich: „Die nächstgelegenen Apotheken befinden sich in der Innenstadt.“
Sechs Schließungen seit 2023: „Das ist in Bochum beispiellos“
Inka Kude hatte bereits das Aus der Apotheke in Kornharpen Ende 2023 als Weckruf verstanden: „Vor wenigen Jahren war es noch unvorstellbar, dass in einem so bodenständigen Stadtteil keine einzige Apotheke mehr existiert.“ Das gilt jetzt auch im Griesenbruch.
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Weitere Schließungen seien zu befürchten, bekräftigt Ralf Hohmann, Leiter der Bezirksstelle Bochum des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe. Sechs Betriebsaufgaben innerhalb von 18 Monaten, allesamt ohne Nachfolger: „Das ist in Bochum beispiellos.“
Verband warnt: Die wirtschaftliche Basis bröckelt zusehends
Dramatisch fällt die Bestandsaufnahme des langjährigen Inhabers der Kronen-Apotheke an der Brückstraße aus. Die Pharmazeuten sehen sich am Limit, haben mit Lieferproblemen, Personalnot und Unterfinanzierung zu kämpfen. „Unsere Vergütungspauschalen wurden seit elf Jahren nicht erhöht. Gleichzeitig sind unsere Kosten um 60 Prozent gestiegen“, schildert Hohmann.
Auch in Bochum sei offensichtlich: „Unsere wirtschaftliche Basis bröckelt zusehends..“ Nachfolger, auch für Ruheständler, seien unter diesen Bedingungen kaum zu finden. Auch die PTA-Fachkräfte würden knapp, weil der anspruchsvolle Beruf noch immer deutlich unterbezahlt sei: „Jede Pflegekraft verdient mehr.“
Branche wehrt sich gegen Reformpläne der Bundesregierung
Kein gutes Haar lässt der Bezirksleiter an der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplanten Apothekenreform. Danach soll in Filialbetrieben ein Apotheker wöchentlich nur noch acht Stunden vor Ort sein müssen. „Gegen diese ,Apotheke light‘ wehren wir uns mit Händen und Füßen“, betont Hohmann und konstatiert: „Die Reform würde alles noch schlimmer machen.“
Stelle die Politik nicht „endlich“ die Weichen für eine auskömmliche Finanzierung, sei ein Kahlschlag zu befürchten. 25 bis 30 Prozent der Apotheken könnten innerhalb der nächsten fünf bis sechs Jahre auf der Strecke bleiben, weitere komplette Ortsteile ohne Apotheke dastehen. „Dabei haben wir als Gesundheits-Dienstleister doch vielfach auch eine wichtige soziale Funktion für die Bürgerinnen und Bürger“, bekräftigt Hohmann.
So wie die Glocken-Apotheke, die seit wenigen Tagen Vergangenheit ist.