Bochum. Bochumer Grundschüler sprechen über sexuellen Missbrauch. Was tun, wenn ein Kind gegen den Willen berührt wird? Dort setzt ein Projekt an.
„Wisst ihr noch, wie Angelo heißt?“, steigt Irene in ein. „Ja klar, Angelo“, antwortet die 3a der Gertrudischule in Bochum-Wattenscheid, die Kinder kichern. Es ist die dritte Stunde, in zwei Reihen sitzen die Jungen und Mädchen und blicken gespannt in Richtung der Theaterpädagogen Irene Schlump (56) und Angelo Enghausen-Micaela (52). Doch so lustig diese Stunde beginnt, so ernst ist das Thema: Es geht um sexuelle Gewalt gegenüber Kindern.
„Mein Körper gehört mir“, heißt das Projekt der Theaterpädagogischen Werkstatt, an dem die dritten und vierten Klassen der Gertrudisschule teilnehmen. Dreimal kommen die Theaterpädagogen innerhalb von drei Wochen und machen den Kindern deutlich: „Wenn ich berührt werde, weiß ich, wie es mir geht. Mein Gefühl, das ist echt, mein Gefühl hat immer recht.“ So heißt es auch in dem Lied, das extra für das Stück geschrieben wurde.
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Sexuelle Übergriffe: Theaterstück zeigt Kindern, was sie tun können
Schlump schlüpft in die Rolle eines Mädchens, das in etwa so alt ist wie die Kinder vor ihr. Es spielt mit einem Ball, trifft versehentlich die Tür eines Autos, in dem ein Mann sitzt, gespielt von Enghausen-Micaela. Das Mädchen kommt näher, der Mann öffnet seine Hose, zeigt ihm seinen Penis. Schreiend rennt das Kind weg.
Die Kurzfrequenz endet, die beiden Schauspieler verschwinden kurz hinter dem Vorhang, treten dann wieder hervor. „Was der Mann gemacht hat, das ist sexueller Missbrauch“, sagt Schlump. „Wisst ihr, was das ist?“ Die Kinder gucken erstaunt und erschrocken. Die beiden Theaterpädagogen erklären ihnen, was das ist, nennen unterschiedliche Beispiele: „Wenn du ein Kind bist und jemand fasst dir an deinen Penis oder an deine Vulva, viele nennen sie Scheide, und du dabei ein Nein-Gefühl bekommst, weil du merkst, dass da etwas komisch ist, dann ist das sexueller Missbrauch.“
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„Mein Körper gehört mir“ gibt es seit fast 30 Jahren
Enghausen-Micaela fragt: „Was würdet ihr in so einer Situation tun?“ Ein Kind antwortet, dass es sich seiner Mutter anvertrauen würde. „Genau richtig“, sagen die Pädagogen. Die Kinder sollen mit jemandem sprechen, dem sie vertrauen. Das können Eltern sein oder Lehrkräfte.
„Mein Körper gehört mir“: Auch an anderen Schulen in Bochum
Anfang Juni war die Theaterpädagogischen Werkstatt auch an der Gemeinschaftsgrundschule Westenfeld zu Gast, in den dritten und vierten Klassen.
„Das Programm wird seit Jahren an unserer Schule durchgeführt. Dieses Jahr freuen wir uns besonders, weil der Verein „Menschen gegen Kindesmissbrauch‘ die Kosten komplett übernimmt und uns das kostenintensive Programm überhaupt erst ermöglicht“, erklärt Schulleiter Johannes Maneke und bedankt sich dafür herzlich.
Seit fast 30 Jahren gibt es das Stück „Mein Körper gehört mir“. Es ist in drei Teile aufgeteilt. Zuerst geht es um Ja- und Nein-Gefühle, dann um sexuellen Missbrauch durch Fremde und anschließend im Nahbereich. Auf eine spielerische Art und Weise wird den Kindern ein inhaltlich schwieriges Thema näher gebracht. Schlump und Enghausen-Micaela machen das seit über 20 Jahren.
Es geht weiter mit dem nächsten Stück. Ein Mädchen chattet mit einem Jungen, der angeblich die Schule in der Nähe besucht. Er schreibt von seinem niedlichen Hund, lockt das Kind in einen Park. Es stellt sich raus: Der Junge ist eigentlich ein erwachsener Mann. „Jetzt ist das Mädchen in einer sehr gefährlichen Situation“, sagt Enghausen-Micaela.
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Lehrerin sagt: „Das hat mich sehr erschrocken“
Die Theaterpädagogen fragen die Kinder, wer schuld an der Situation ist. „Das Mädchen“, antwortet ein Kind. „Das Mädchen und ein bisschen die Eltern“, ein anderes. Die Mitschülerinnen und Mitschüler nicken zustimmend. Schlump klärt die Situation auf: „Nur eine Person hat hier die Schuld und das ist ganz klar der Mann.“ Gleichzeitig erklärt sie im Nachhinein im Gespräch mit der WAZ: Es sei nicht die Ausnahme, dass die Kinder die Schuld bei dem Mädchen sehen und nicht bei dem Erwachsenen.
Das hat auch Klassenlehrerin Stephanie Ellermeyer (52) erschrocken. Gleichzeitig bewertet die 52-Jährige den Besuch der Theaterpädagogischen Werkstatt hingegen sehr positiv bewertet. „Das ist total gut, die Kinder sind bisher nicht sensibilisiert.“
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