Bochum. RUB-Studierende haben sie entwickelt, nun ging die Alarmanlage für Obdachlose in die Serienproduktion. Und hilft bald schon auf Bochums Straßen.
Das gefährliche Leben auf der Straße ein wenig sicherer machen: Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich der Verein „Unsichtbar“ mit einer Gruppe Elektrotechnik-Studenten zusammengetan – und eine Alarmanlage für Obdachlose entwickelt. Diese wurde nun in Serie produziert und soll Samstagnacht auf Bochums Straßen verteilt werden.
Alarmanlage wird am Samstag unter Bochums Wohnungslosen verteilt
„Humanitäre Technologie“ stand im Vorlesungsverzeichnis. Jannik Mertin und ein paar seiner Elektrotechnik-Kommilitonen an der Ruhr-Uni machte der Titel neugierig. So besuchten sie 2020 den praktischen Kurs bei Dozent Christoph Baer und halfen bei der Entwicklung des „Clochard Alert“ mit.
„Den ersten Prototypen haben wir zusammengesetzt, gemeinsam gelötet und dann am Signalton herumgebastelt, bis wir die richtige Frequenz erwischt haben“, so Jannik Mertin. Die Mini-Alarmanlage mit einem langen roten Kabel sollten Obdachlose in der Nacht über sich und ihre Wertsachen legen können. Sobald jemand daran zerrt oder das Kabel durchtrennt, soll ein ohrenbetäubender Alarm losgehen, von dem der oder die Wohnungslose wach wird und Passanten auf den Diebstahl aufmerksam werden.
Nach einem Praxistest mit den ersten 20 „Clochard Alerts“ gaben die Menschen aus der Straßenszene Rückmeldung, was an Signalton, Stecker und der Verkabelung noch zu verbessern ist.
Obdachlose geben Rückmeldung zu Mini-Alarmanlagen
Für den Dozenten Christoph Baer war klar: Um die Mini-Alarmanlagen in größerer Stückzahl produzieren zu können, benötige er Hilfe aus der Wirtschaft. Und die kam ganz unverhofft von Raimund Köhler, Geschäftsführer beim Leuchtenservice Melitec.
„Es war wirklich Gold wert, dass Herr Köhler auf uns zugekommen ist“, sagt Baer. „Ohne Melitec könnten wir das nicht auf die Straße bringen.“ Köhlers Firma hatte in der Vergangenheit bereits soziale Projekte mit Hochschulen umgesetzt und suchte an der RUB nach einer neuen Kooperation. „Wir haben gemeinsam den Prototypen analysiert, festgestellt, das ist herstellbar, und ihn werkstoffmäßig verfeinert“, berichtet der Melitec-Geschäftsführer. In diesem Frühjahr sei die Alarmanlage dann in Serie gegangen.
„Wir haben eine Erstserie von 1000 Stück in der Knopfversion gefertigt sowie 1000 Stück in der Schlüsselversion. Diese können auch im Privatbereich genutzt werden“, sagt Köhler. „So kann auch die Rentnerin im Rollstuhl, der schon mehrmals das Portemonnaie geklaut wurde, ihre Handtasche sichern.“ Er gebe sozialen Stellen die Alarmanlagen für Obdachlose zum Selbstkostenpreis ab. Die Schlüsselvariante der Anlage sei allerdings auch für den konventionellen Verkauf freigegeben.
Die in Serie optimierten Alarmanlagen sind vor Kurzem an den ursprünglichen Ideengeber, „Unsichtbar e.V.“-Gründer Holger Brandenburg, ausgeteilt worden. Die Mini-Alarmanlagen würden ihm aus der Hand gerissen. „Jeder will eine haben – die werden auch benutzt“, berichtet Brandenburg.
„Unsichtbar“ hilft Obdachlosen
Der Verein bittet um Hinweise: Wer einen Obdachlosen sieht, dem es schlecht zu gehen scheint, soll an die 0176 34347385 eine Whatsapp-Nachricht mit dem aktuellen Standort schicken.„Dann fahren wir zu der betroffenen Person und melden uns danach beim Melder zurück, erklären was wir getan und wie wir geholfen haben“, so Holger Brandenburg.Anstrengend seien die nächtlichen Touren nicht, da spüre er die Herzlichkeit der Menschen. „Anstrengend wird es, wenn ich später im Bett liege, meine Gedanken kreisen und ich merke, was für ein geiles Leben ich führe – und wie schlecht es diesem Herrn oder jener Frau auf der Straße geht.“
„Unsichtbar“ – Verein kümmert sich um Obdachlose in der Region
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Nacht für Nacht ist sein Team in den Straßenszenen von Wuppertal, Hagen und auch Bochum unterwegs, verteilt Kaffee und Süppchen und schaut, wie es den Wohnungslosen nachts geht. Mit ihrem Auto durchfahren sie Innenstädte, schauen in Ladeneingänge, auf Spielplätze und Friedhöfe. Auf eine Durchfahrgenehmigung durch die Bochumer City habe der Verein erfolglos gewartet. „Jetzt machen wir’s illegal und bisher drückt die Polizei ein Auge zu“, sagt der „Unsichtbar“-Gründer.
„Wir sind ein bisschen gaga, wir fahren bis spät in die Nacht raus, wenn wirklich keiner mehr unterwegs ist – um die Menschen zu erreichen, die gar nichts mehr haben.“ Manchmal lege er den Schlafenden nur eine Karte des Vereins hin. „Wenn sie am nächsten Tag aufwachen, freuen sie sich, dass jemand nach ihnen geschaut hat“, so Brandenburg.
Aufgrund fehlender Kapazitäten sei das Team von „Unsichtbar“ nicht mehr jede Nacht in Bochum unterwegs, wohl aber bei Meldungen von besorgten Bürgern. Das sei auch dringend notwendig, denn die Obdachlosigkeit „nimmt von Tag zu Tag zu“. Am Samstagabend will er mit einigen Alarmanlagen im Auto nach Bochum fahren, damit auch die Obdachlosen hier etwas sicherer einschlafen können.